Der Peruaner feierte beim 4:1 im Testspiel gegen Pampow sein Comeback. Ein Porträt des umstrittenen Angreifers, der acht Spiele gesperrt war.

Hamburg. Genau 52 Tage war er zum Zusehen verdammt. 52 lange Tage, die Paolo Guerrero aufgrund seiner Sperre nach dem brutalen Tritt und der folgenden Roten Karte gegen Stuttgarts Torwart Sven Ulreich unter Wettkampfbedingungen nicht das tun konnte, was ihm am meisten Spaß macht: Fußball spielen. Gestern Abend durfte er beim Testspiel gegen den MSV Pampow (4:1) erstmals wieder mitmischen und meldete sich mit dem Treffer zur 2:1-Führung zurück (weitere HSV-Tore: Petric, Arslan, Töre). Gegen den Verbandsligaklub brauchte der Peruaner zwar ein wenig, um ins Spiel zu finden, zeigte dann aber gute Ansätze.

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Guerrero bezeichnete die vergangenen Wochen im Abendblatt-Interview unlängst als "schwierigste Zeit seiner Karriere". Wegen der unbefriedigenden sportlichen Situation seines Vereins, aber auch aufgrund seiner persönlichen Situation nach dem Aussetzer gegen den VfB Stuttgart. Er sah sich teils heftiger Kritik ausgesetzt, viele Fans forderten den sofortigen Rauswurf. Zu dick war inzwischen sein Sündenregister. Zunächst die "Flugangstaffäre" Anfang 2010, als Guerrero mehrfach bei dem Versuch scheiterte, aus Peru mit dem Flieger nach Hamburg zurückzukehren und ernsthaft erwogen wurde, ihn mit dem Schiff auf den Weg zu schicken. Es folgte der "Flaschenwurfskandal", als Guerrero nach einem Spiel auf dem Weg zur Kabine seine gefüllte Plastiktrinkflasche gezielt auf einen Zuschauer warf, der ihn zuvor provoziert hatte. Das schlimme Foul gegen Ulreich brachte das Fass bei vielen zum Überlaufen. "Paolo zeigt unter Stress sehr extreme Verhaltensweisen, die zudem auch andere schädigen. Er braucht professionelle Unterstützung", urteilte Olaf Kortmann, Mentalcoach und ehemaliger HSV-Aufsichtsratkandidat.

Wer jedoch länger mit Guerrero redet, erkennt einen Menschen, der sich seinen zwiespältigen Ruf gar nicht erklären kann. In sich gekehrt, gar schüchtern, wirkt der Vater eines Sohnes abseits des Fußballs. Natürlich, sagt Guerrero, sei er ein emotionaler Mensch, so wie die meisten Südamerikaner. Doch üble Fouls wie jenes seien eigentlich nicht seine Art, die Rote Karte die erste in seiner Karriere gewesen und der Flaschenwurf gegen einen Fan liege lange zurück. Manchmal gehe eben das Temperament mit ihm durch - aber das passiere anderen ja auch.

Guerrero hatte während der Flugangstphase in Peru auch psychologische Hilfe in Anspruch genommen, mittlerweile reiche ihm jedoch das Gespräch mit seiner Familie. Wie wichtig diese ihm ist, zeigt sein Werdegang. Vor zehn Jahren kam Guerrero als 18-Jähriger ohne Deutschkenntnisse nach München zum FC Bayern. Mutter Petronila, seine wichtigste Bezugsperson, blieb in der Heimat. Er vermisste sie schon damals sehr, auch wenn sie immer wieder für mehrere Wochen nach Deutschland kam. Auch in Hamburg wirkt Guerrero mitunter einsam. Er wohnt abseits seiner Kameraden in Wellingsbüttel, geht nur selten aus, spielt viel mit seiner Playstation.

In der Mannschaft ist Guerrero durchaus beliebt. So hatte sich der komplette Mannschaftsrat nach dem Flaschenwurf beim Vorstand für den Angreifer starkgemacht und gebeten, ihn nicht rauszuschmeißen. Doch es fällt ihm schwer, sich zu öffnen. "Echte" Freunde hat Guerrero nur wenige im Team. Vincent Kompany war zu seiner HSV-Zeit so einer, bis der nach Manchester ging. Auch zum Brasilianer Zé Roberto hatte er einen guten Draht. In der aktuellen Mannschaft gilt Tomas Rincon als sein engster Vertrauter.

Doch nicht nur in der Mannschaft bleibt Guerrero vorsichtig, was enge Beziehungen angeht. Oft wechselte er seine Berater. Ein echtes Vertrauensverhältnis konnte keiner zu ihm aufbauen. Guerrero übergab ihnen zwar seine Vertragsangelegenheiten, verzichtete jedoch weitgehend auf persönliche Ratschläge. So auch nach dem Flaschenwurf, als sein damaliger Berater Roger Linse nur wenig Einfluss auf seinen Klienten nehmen konnte.

Bei seinen Trainern war und ist Guerrero jedoch durchweg beliebt. Sie überzeugten nicht nur seine fußballerischen Fähigkeiten, sondern auch das generelle Auftreten des Nationalspielers: fleißig, motiviert im Training und - mit Ausnahme der bekannten Ausraster - diszipliniert, ja pflegeleicht. Auch wenn er mal auf der Bank saß, gab es keine bösen Worte. Bruno Labbadia hatte sein ganzes Spielsystem auf Guerrero ausgerichtet, war dementsprechend konsterniert, als sein Stoßstürmer mit einem Kreuzbandriss ausfiel. Sein Nachfolger Armin Veh bekniete den damaligen HSV-Boss Bernd Hoffmann, den Vertrag mit Guerrero zu verlängern. Und der aktuelle Trainer Fink wird nicht müde zu betonen, wie abhängig die HSV-Offensive von ihrem komplettesten Stürmer sei und stellt ihm einen Einsatz gegen Mainz in Aussicht. "Wenn einer unserer Spieler für acht Begegnungen gesperrt wird und wir deshalb jammern, werden wir ihn auch einsetzen, wenn er wieder spielberechtigt ist - sonst hätten sie ihn ja auch gleich zehn Wochen sperren können."

So hat Guerrero in den verbleibenden Bundesligapartien noch Zeit, mit Toren zur Rettung des HSV beizutragen und damit seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Bis 2014 läuft sein gut dotierter Vertrag, und aufgrund seines letzten Aussetzers und des damit einhergehenden Wertverlustes des Profis ist die Chance groß, dass er diesen auch erfüllt. Denn ohne eine Millionenablöse im hohen, einstelligen Bereich wird beim HSV niemand auf den schüchternen Hitzkopf verzichten wollen.

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