Schalkes Trainer fordert vor dem Duell gegen den HSV, das Strafmaß für den Stürmer zu beschränken - und spricht auch über Freund Assauer.

Hamburg. Er gehört nicht zu den Leisetretern der Liga. Doch nach dem 0:1 in der Europa League gegen Twente war es nicht Huub Stevens, der gegen die Schiedsrichter wütete, sondern Manager Horst Heldt (s. Nachspiel). Schalkes Trainer Huub Stevens widmete sich vor dem Spiel gegen den HSV (So., 17.30 Uhr, Abendblatt-Liveticker) anderen Themen: seiner persönlichen Entwicklung, den Umgang mit seinem an Alzheimer erkrankten Freund Rudi Assauer - und zu hohen Strafen des DFB.

Hamburger Abendblatt: Herr Stevens, ist der Europa-League-Titel weiter realistisch?

Huub Stevens: So weit will ich noch gar nicht denken. Zunächst einmal gilt es jetzt, im Rückspiel gegen den FC Twente die 0:1-Niederlage durch einen unberechtigten Elfmeter umzubiegen. Ich bin mir aber sicher, dass uns unsere Fans richtig unterstützen werden.

Blicken wir auf den Sonntag. Wie beurteilen Sie die Entwicklung des HSV?

Stevens: Das ist aus der Distanz ganz schwer zu sagen. Ich stehe ja nicht mehr als Verantwortlicher an der Linie. Der HSV hatte eine sehr gute Phase, jetzt aber auch einige Male verloren. Aber sie haben die nötige Qualität, nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben. Das haben sie auch im Hinspiel gegen uns (1:2 für Schalke, d. Red.) bewiesen.

Was für ein Spiel erwarten Sie?

Stevens: Das ist eine wirklich schwere Frage, weil der HSV etwas machen muss - und wir eben auch. Aber ich muss erst mal sehen, wen ich überhaupt zur Verfügung habe, bei all den Verletzten und leider auch Gesperrten.

Apropos Sperre, wie beurteilen Sie Paolo Guerreros Foul und dessen Strafbemessung von acht Spielen Sperre?

Stevens: Natürlich habe ich das Foul gesehen. Ich kenne Paolo ja auch und weiß, dass er, wie sehr viele andere Bundesligaspieler auch, ein bestimmtes Temperament hat, das manchmal rauskommt. Die Aktion war doof, das weiß Paolo selbst. Aber ich halte acht Spiele Sperre für zu lang. Ähnlich wie damals bei uns für Jermaine Jones. Das sind dumme Aktionen, die zwar bestraft werden müssen, aber wenn keiner verletzt wird, sind solche Strafen meiner Meinung nach zu hoch. Die Vorbildfunktion des DFB in allen Ehren, aber da kommt noch viel auf uns zu - und sollen die Strafen denn immer höher werden? Ich glaube, jetzt gilt es, mal wieder etwas Maß zu halten.

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Apropos Maß halten. Ihnen wird nachgesagt, inzwischen menschlicher geworden zu sein. Sie sollen richtig nett im Umgang mit Ihren Spielern sein.

Stevens: Wer behauptet denn so etwas?

Das hat Ihr früherer Spieler Jörg Böhme behauptet, nachdem er kürzlich bei Ihnen als Trainer hospitiert hat.

Stevens: Na, dann muss es ja stimmen. Aber mal Spaß beiseite. Natürlich sammele auch ich meine Erfahrungen und reagiere auf die eine oder andere Stresssituation etwas gelassener. Aber klar ist auch: Nur mit Spaß geht es auch nicht.

Wie ist es für Sie nach 26 Jahren als Trainer mit der heutigen Generation? Können Sie noch alles nachvollziehen, was heute für junge Leute von Bedeutung ist?

Stevens: Ich bin zwar 58 Jahre alt, aber allemal jung genug, um meine Jungs zu verstehen. Das ist kein Problem. Im Gegenteil, das wäre es nur, wenn ich irgendwann nicht mehr mitgehen könnte. Sobald das der Fall ist, hätte ich keine Chance mehr. Aber glauben Sie mir, ich weiß, dass ich die Mannschaftsbesprechungen heute anders machen muss als noch vor 15 Jahren.

Weil die neue Generation sensibler geworden ist?

Stevens: Ich würde es nicht zwingend sensibler nennen. Sie sind ganz einfach anders aufgewachsen, wurden anders erzogen und haben einen anderen Lebensstil kennengelernt als wir früher. Das habe ich doch auch daheim bei meinem Sohn miterlebt. Die Kunst für mich als Trainer ist, alles genau zu beobachten und anzunehmen, mich darauf einzustellen. Ich muss auch von meinen Spielern lernen, muss ihnen zuhören und mir Dinge bei ihnen abgucken. Ich kann mein Motto 'Jeder Tag, an dem ich nicht dazu lerne, ist ein verlorener Tag' ja nicht nur vorgeben, sondern muss es selbst auch leben.

Dennoch haben Sie früher einmal angekündigt, mit 60 Jahren nicht mehr mit Fußballprofis auf dem Trainingsplatz stehen zu wollen .

Stevens: Ach Gott, ich habe irgendwann beim HSV auch mal gesagt, nie wieder in den Niederlanden Trainer sein zu wollen und bin aus verschiedenen Gründen doch zurück. Bei solchen Entscheidungen geht es doch immer um den jeweiligen Moment. Ich gehe zwar jetzt davon aus, noch zwei Jahre als Trainer zu arbeiten und dann aufzuhören. Aber im Moment habe ich auch jede Sekunde riesigen Spaß an meiner Arbeit. Sollte das so bleiben und ich mich mit 60 noch richtig gut fühlen, könnte es durchaus sein, dass ich weitermache.

Zumal Ihnen noch ein Meistertitel fehlt, von dem in Gelsenkirchen geträumt wird.

Stevens: Als wir oben standen, habe ich immer wieder gesagt, dass Träumen völlig okay ist. Ich träume ja selbst manchmal - allerdings wache ich auch immer ganz schnell wieder auf. Natürlich wollen wir dahin kommen. Aber für mich wäre auch ein riesiger Erfolg, wenn wir uns für den internationalen Wettbewerb qualifizieren. Denn, und das wird hier wie überall gern schnell vergessen, wir müssen auch bedenken, wo wir herkommen. Wir haben vergangene Saison noch gegen den Abstieg gespielt, haben hier einen Umbruch begonnen, der noch nicht vollzogen ist.

Wie beim HSV, wo Sie 2011 fast gelandet wären, bevor Sie Schalke zusagten.

Stevens: Das stimmt. Ich hatte sehr gute Gespräche mit Schalkes Manager Horst Heldt und habe mich für Schalke entschieden, weil der Verein eine Philosophie hat, mit der ich mich identifizieren kann. Ich hatte hier von Beginn an ein sehr gutes Gefühl.

Das hatten Sie nach den Gesprächen mit HSV-Sportchef Frank Arnesen auch.

Stevens: Auch das stimmt. Aber der HSV hat mir damals abgesagt , als ich den Klub informierte, dass es auch ein Interesse von Schalke 04 gibt. Das war auch völlig legitim.

Könnten Sie mit einem Titel auch Ihrem an Alzheimer erkrankten Freund und ehemaligen Schalke-Macher Rudi Assauer einen Lebenstraum erfüllen?

Stevens: Rudi Assauer hat Schalke geprägt wie kaum ein anderer. Ein Titel würde ihn bestimmt sehr freuen. Aber Rudi braucht jetzt andere Dinge, die viel wichtiger sind. Ich will ihm helfen und glaube, ich helfe ihm deutlich mehr, wenn ich mich mit ihm alle drei, vier Wochen treffe, häufig mit ihm spreche. Wir haben immer wieder tolle Momente und Erinnerungen, die guttun.

Wie ist der Umgang mit Ihrem Freund?

Stevens: Ich finde es bewundernswert, wie offen sich Rudi allem stellt. Es ist ganz sicher nicht einfach, Treffen mit ihm kosten häufig sehr viel Kraft. Aber ich habe mit ihm immer auch großen Spaß. Ein Titel verliert in solchen Momenten an Bedeutung. So schön er ist, da erkennt man, dass auch ganz banale Dinge im Leben viel wichtiger sind, als das, was bei uns immer so aufwendig diskutiert und analysiert wird, als wäre es für uns alle existenziell.

Sie meinen den Profifußball.

Stevens: Zum Beispiel. Allerdings sollte man auch fair bleiben. Man darf nicht alles vermischen und aneinander messen. Manche Dinge müssen einfach losgelöst voneinander jeweils für sich und auf ihre Art wichtig genommen werden. Ich glaube, das kann ich.