Nach seinem Frustfoul an Torwart Ulreich droht dem besten Hamburger Stürmer eine wochenlange Sperre - HSV will Strafe verhängen

Hamburg. Um 12.17 Uhr öffnete sich die Tür zum Mannschaftstrakt. Erst gab Paolo Guerrero eine Handvoll Autogramme, dann stellte sich der Peruaner den Fragen zu jener Szene, an die er noch lange zurückdenken wird. Die 54. Minute im Spiel gegen Stuttgart lief, als der Ball Richtung Eckfahne vor der Nordwesttribüne rollte. Guerrero sprintete über 30 Meter VfB-Torwart Sven Ulreich hinterher, kam aber nicht mehr annähernd in die Nähe des Balls. Als dieser schon die Auslinie erreichte, setzte der HSV-Torjäger zu einer Grätsche an und traf Ulreich mit voller Wucht in der linken Wade. Schiedsrichter Peter Sippel gab sofort Rot.

"Ich kann nicht behaupten, dass ich den Ball spielen wollte", gab sich Guerrero am Sonntag erst gar keine Mühe, seine brutale Aktion zu beschönigen. "Ich wollte um den Ball kämpfen, habe dann aber gesehen, dass der Ball raus ist ... Emotionale Sachen passieren. Auf dem Feld kannst du nicht alles kontrollieren. In diesem Moment habe ich nicht nachgedacht. Ich war frustriert. Nachdem das 0:3 gefallen war, dachte ich nur: Scheiße! Wir hätten einen wichtigen Schritt nach vorne machen können. Ich ärgere mich am meisten darüber, weil ich jetzt der Mannschaft und dem Verein nicht helfen kann."

Direkt nach der Partie und ein zweites Mal während der sonntäglichen Spielanalyse entschuldigte sich Guerrero bei seinen Mitspielern und fügte später hinzu: "Entschuldigen möchte ich mich auch bei den Zuschauern." Diese konnten am Sonnabend förmlich spüren, wie Guerreros Frustlevel kurz vor seinem Platzverweis bis zum Anschlag gestiegen war. Eine Minute nach dem zweiten Elfmeter von Kuzmanovic (47.) forderte der Peruaner vehement einen Strafstoß für sein Team, weil er von Gotoku Sakai im Strafraum der Schwaben umgerissen worden sei.

Wie lange Guerrero den Hamburgern fehlen wird, muss nun das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) entscheiden. HSV-Sportdirektor Frank Arnesen verglich das Vergehen Guerreros mit dem Platzverweis für Hertha-Profi Andreas Ottl, der gegen Stuttgart von hinten in die Beine Hajnals gegrätscht war und dafür drei Spiele Sperre wegen groben Foulspiels kassierte. Ein Blick in Paragraf acht der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB lässt vermuten, dass Guerrero wegen rohen Spiels gesperrt wird. Laut Definition liegt dieser Tatbestand vor, wenn ein Spieler "den Gegner rücksichtslos im Kampf um den Ball verletzt oder gefährdet". Das Strafmaß könne zwischen zwei Wochen und sechs Monate betragen. "Alles andere als sechs Spiele Sperre würde mich wundern", vermutete der frühere Fifa-Schiedsrichter Markus Merk bei Sky, während Borussia Dortmunds Trainer Jürgen Klopp bei Sport1 forderte: "Die Aktion war völlig wahnsinnig. Da muss jetzt eine richtige Strafe her."

Eine satte Geldstrafe wird Guerrero auch vom Verein aufgebrummt bekommen, wie Arnesen ("Das darf nicht passieren, aber es passiert im Fußball") ankündigte. Über die Höhe wird in den nächsten Tagen im Vorstand entschieden. Der 28-Jährige kennt das Prozedere. Schon einmal, nach dem berühmten Flaschenwurfskandal im April 2010, als er einem pöbelnden Fan seinen Plastiktrinkbehälter ins Gesicht warf, musste er 60 000 Euro zahlen und laut eines Beschlusses des Amtsgerichts Altona zudem 100 000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung spenden. Mehrfach fiel er seit Vertragsbeginn 2006 mit Undiszipliniertheiten und der unvergessenen Flugangst-Affäre (2009) auf. Während er gegen Stuttgart den ersten Platzverweis in der Bundesliga erhielt, wurde er nach einem Länderspiel für Peru gegen Uruguay im Sommer 2009 für sechs Spiele gesperrt, weil er den Schiedsrichter übel beleidigt hatte.

Guerrero reagierte gestern betroffen auf die Frage nach diesen Geschichten in der Vergangenheit: "Ich verstehe nicht, warum das in der Öffentlichkeit so dramatisiert wird! Ich könnte sofort eintausend schlimmere Beispiele nennen, der Torwart ist sofort aufgestanden. Das war Rot, ich bekomme eine Sperre, die ich natürlich akzeptieren werde." Entschuldigt bei Ulreich hat er sich übrigens nur via TV-Kamera, aber noch nicht persönlich.

Unverständnis über Guerrero, der bis Juni 2014 beim HSV unter Vertrag steht, herrschte auch unter den Mitspielern. "Das war einfach doof", sagte Marcell Jansen, "man setzt kein Zeichen an der Eckfahne." Auch Kapitän Heiko Westermann kritisierte: "Paolo schwächt sich und die Mannschaft." Einzig Mladen Petric versuchte nach dem Abpfiff noch, seinen Sturmpartner in Schutz zu nehmen: "Das war kein Frustfoul, er wollte um den Ball kämpfen. Es sah so aus, als ob sich Ulreich in den Mann reindreht." Zur Verteidigung sei gesagt: Zu diesem Zeitpunkt hatte er die TV-Bilder noch nicht gesehen.