Frank Arnesen und Lee Congerton haben die Scoutingabteilung des HSV reformiert. Erstes Ziel ist, einen neuen Mittelfeldstar zu finden.

Hamburg. Die Herren aus dem Aufsichtsrat waren beeindruckt über das, was ihnen gestern Abend im großen Aufenthaltsraum der Jürgen-Werner-Schule, dem Herzstück des HSV-Internats in Ochsenzoll, geboten wurde. Dabei überzeugten weniger die zwischendurch gereichten Rouladen mit Klößchen und Rotkohl als vielmehr der Power-Point-Vortrag Frank Arnesens über den Ist-Zustand des HSV. Im Zentrum des Berichts stand neben einer Analyse der Nachwuchsarbeit vor allem die Umstrukturierung der Scoutingabteilung, die der Sportchef gemeinsam mit Lee Congerton, dem Technischen Direktor des HSV, in den vergangenen Monaten vorangetrieben hatte. "Unser Ziel ist, durch perfektes Scouting Risiken bei Transfers in Zukunft zu minimieren", sagt Congerton, der seit Sommer Chef der 25-köpfigen Abteilung ist.

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Der Waliser, den Arnesen im Mai aus Chelsea mitgebracht hatte, hat das Scouting beim HSV personell und strukturell grundlegend reformiert. Dass zwei Scouts ohne Absprache zum gleichen Jugendturnier fahren, soll es nicht mehr geben. "Wir wollen alle relevanten Turniere adäquat besetzen, das war in der Vergangenheit nicht immer so", sagt Congerton, der nach einer Bestandsanalyse zunächst mal klare Zuständigkeiten verteilte. Christofer Clemens, von Fast-Sportchef Urs Siegenthaler als Chefscout vorgesehen, soll die Sichtung des internationalen Marktes koordinieren, Michael Schröder, Chefscout aus der Ära Dietmar Beiersdorfers, ist für den nationalen Markt verantwortlich. "Es ist wichtig, dass wir überall unsere Augen offen halten, gerade, weil wir nicht die finanziellen Mittel besitzen, um mal schnell irgendeinen Spieler zu kaufen", sagt Congerton.

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Beim 38 Jahre alten Fußball-Junkie, der selbst im Schnitt sechs Spiele pro Wochenende besucht, laufen alle Fäden zusammen. Mehrmals am Tag bespricht sich Congerton mit Arnesen, einmal im Monat bittet er alle Scouts an einen Tisch. Noch wichtiger als der regelmäßige Austausch ist laut Congerton aber die neue Software, für die Steve Houston verantwortlich ist und in der alle Scouts ihre Berichte einpflegen. "Durch unsere Datenbank ist gewährleistet, dass dem HSV unabhängig von Personen ein breites Wissen zur Verfügung steht", sagt Congerton.

Der HSV nutzt dabei die professionellen Dienstanbieter Scout7 und Xeatre, mit deren Hilfe jeder befugte HSV-Mitarbeiter per Mausklick sich nicht nur umfassende Statistiken und Hintergrundinformationen über mögliche Neuzugänge herunterladen, sondern auch noch Beweglichkeit und Ballgefühl durch Videosequenzen überprüfen kann. Dabei hat der HSV besonders vom Netzwerk Houstons profitiert, der ähnliche Erfahrungen schon vor Jahren in den USA bei seinen Stationen im Football (New England Patriots) und im Basketball (Boston Celtics) machte. Den Kontakten des Engländers ist es auch zu verdanken, dass der HSV nur einen Bruchteil des üblichen Preises von rund 70 000 Euro pro Saison an Scout7 überweisen muss. Und obwohl der HSV sparen will, sollen die Gesamtkosten von 1,3 Millionen Euro, die das Scouting zu Zeiten Beiersdorfer gekostet hat, unter Arnesen gestiegen sein.

Seit Saisonbeginn haben Hamburgs Scouts mehr als 600 Spiele gesehen und die Bewertungen der beobachteten Spieler in der Datenbank hinterlegt. Jeder Spieler wird dabei zunächst in fünf Hauptkategorien (Technik/Taktik, Physis, Gesundheit, Mentalität und Lebensweise) eingeordnet, bei grundsätzlichem Interesse am Ende mit A, B oder C bewertet. C bedeutet, dass der Spieler Potenzial hat, sich aber noch nicht beim HSV durchsetzen würde. B heißt, dass der Kandidat für den HSV geeignet wäre, aber aus unterschiedlichen Gründen (Preis, Verletzung, Leistungstief) nicht sofort verpflichtet werden soll. Und A bedeutet, dass man einen Transfer umgehend anstreben sollte. Mit A ist beispielsweise Basels Granit Xhaka bewertet, den der HSV gerne im Sommer für die noch nicht vergebene Planstelle im offensiven Mittelfeld verpflichten will.

Und obwohl die Verpflichtung eines Kreativspielers oberste Priorität hat, betonten Arnesen und Congerton vor dem Aufsichtsrat gestern, dass sie nicht nur für die Profis scouten lassen, sondern vorrangig nach Talenten für die Nachwuchsabteilung suchen. So sichtet der HSV in Hamburg und Umgebung bereits in den Altersklassen zwischen acht und zwölf Jahren, im norddeutschen Raum ab zwölf Jahren. Deutschlandweit sollen Talente frühestens ab dem 14. Lebensjahr beobachtet werden, im EU-Ausland ab dem 16. Lebensjahr und weltweit gilt die Volljährigkeit als Kaufbedingung. Wie sensibel dieser Bereich ist, merkten Arnesen und Congerton, als sie sich kürzlich um TeBe Berlins Supertalent Nico Franke bemühten. Mit einem Trainingsanzug und einer Sporttasche wollten die Hamburger dem 13-Jährigen einen Wechsel an die Elbe schmackhaft machen. Letztendlich entschied sich der Teenager aber für einen sehr viel lukrativeren Vertrag bei 1899 Hoffenheim - und löste unfreiwillig eine bundesweite Debatte über Transfers von Jugendspielern aus.