Der Geschäftsführer von ECE über Erfolg im Fußball, falsche Werte, Guerreros Blackout und Führungscoaching.

Er war einer der vier Wirtschaftsgrößen, die im Januar 2009 in den Aufsichtsrat des HSV einzogen. In der ECE-Zentrale in Poppenbüttel empfing der 42-Jährige nun das Abendblatt zu seinem ersten großen Interview, um über die Folgen des Abgangs von Jerome Boateng zu reden und über Parallelen zwischen Sport und Wirtschaft zu diskutieren.

Abendblatt:

Herr Otto, Jerome Boateng wechselt zur neuen Saison zu Manchester City. Wie soll sich der HSV in der Spitze etablieren, wenn der Klub immer seine besten Spieler verliert?

Alexander Otto:

Es muss unser Ziel sein, Spieler langfristig an uns zu binden und damit die Identifikation mit dem Verein zu erhöhen. Aber es gibt natürlich auch wirtschaftliche Erwägungen, die im Hinblick auf das Gesamtgefüge berücksichtigt werden müssen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder gute Spieler zum HSV geholt und kontinuierlich weiterentwickelt, und ich bin überzeugt, dass unsere sportliche Leitung gemeinsam mit dem Trainer auch einen sehr guten Nachfolger für Jerome Boateng finden wird.

Muss man sich damit abfinden, dass Spieler heute nur noch eine kurze Verweildauer haben?

Spieler können zehn bis 15 Jahre Fußball spielen und dabei viel Geld verdienen. Sicher kann man keinem Fußballer verübeln, wenn er zu einem Top-Verein wechselt. Jeder Spieler muss sich aber fragen, ob er nicht auf einen Teil seines Gehalts zugunsten besserer sportlicher Entwicklungsmöglichkeiten verzichten sollte. Das gilt gerade für die jungen Fußballer. Ich denke, zukünftig werden auch wieder Vereinsführung, Vereinsinfrastruktur, Entwicklungsperspektiven, Fans, Stadion und Stadt wichtige Entscheidungskriterien sein.

An Kontinuität fehlte es dem Verein auch bei den Trainern, fast ein Jahr war die Stelle des sportlichen Leiters unbesetzt. Sind das nicht auch Gründe, warum der große Erfolg ausblieb?

Ich denke, wir haben nach wie vor eine gute Chance, diese Saison mit einem ganz großen Erfolg abzuschließen. Vorstand und Aufsichtsrat haben aber auch klar die Bedeutung von Kontinuität erkannt. Deshalb haben wir mit Urs Siegenthaler einen Sportchef verpflichtet, der eine langfristig angelegte Philosophie umsetzen soll. Wir brauchen größere Kontinuität im Spielsystem und in der Nachwuchsarbeit. Es darf nicht sein, dass jeder neue Trainer wieder neue Spieler für sein spezielles System holen muss.

Ein ehrenvolles Ziel. Aber ist das nicht in der Realität schwer durchsetzbar, wenn Sie einen Trainer verpflichten wollen, der sich nicht hereinreden lässt?

Es wird in der Tat nicht einfach, aber das ist auch der Reiz am Fußball, weil eben der Erfolg - siehe Real Madrid - nur bedingt planbar ist. Ich glaube aber schon, dass es gelingen kann, einen Rahmen zu schaffen, der Erfolg wahrscheinlicher macht. Und es ist nun mal extrem teuer, eine Philosophie komplett über den Haufen zu werfen.

Wie häufig tauschen Sie in Ihrem Unternehmen Mitarbeiter aus?

Wir setzen auf eine langfristige Strategie. Die meisten Führungskräfte sind schon viele Jahre im eigenen Haus, kennen das Geschäft sehr gut und haben sich weiterentwickelt. Das ist das wichtigste Erfolgskriterium. Umgekehrt ist es durchaus sinnvoll, gute Leute von außen zu holen, um neue Impulse zu setzen und Innovationskraft zu haben. Es braucht eine gute Balance.

Wie würden Sie als Unternehmer Erfolg im Sport definieren? Die Tendenz geht ja dahin, dass nur noch Titel oder Goldmedaillen zählen.

Der Sport setzt immer höhere Maßstäbe, die Erfolgserwartungen werden immer größer. Es wäre sinnvoll, dass wir Erfolg realistischer messen. In unserem Unternehmen bedeutet für mich Erfolg nicht nur eine gute Wertentwicklung unserer Einkaufszentren, sondern auch das Schaffen einer Unternehmenskultur, die eine Entwicklung guter Mitarbeiter und Innovationen ermöglicht. Echter Erfolg ist immer langfristiger Natur.

Ist eine Wertediskussion im Sport überhaupt möglich?

Nach dem Tod von Robert Enke ging es ja in diese Richtung, aber man konnte in den vergangenen Wochen beobachten, wie kurzlebig diese Diskussionen sind. Wir streifen hier ein Gesamtthema unserer Gesellschaft. Man sollte deshalb auch vorsichtig sein, über Fußballspieler oder Banker zu schimpfen. Fehlverhalten gibt es in jeder Berufsgruppe. Denken Sie momentan an die Kirche.

Wo muss der Klub kurz- und mittelfristig ansetzen, um erfolgreicher zu werden?

Die Arbeit in der Vergangenheit war schon sehr erfolgreich, das möchte ich hier betonen. Was aber sicher noch fehlt, ist ein stärkeres Einzelcoaching der Spieler mit dem Schwerpunkt auf der psychologischen Betreuung. Mit der erfolgten Einstellung eines Psychologen werden wir in diesem Bereich noch besser und professioneller werden.

Können Ausraster wie der von Paolo Guerrero verhindert werden? Welche Konsequenzen muss man ziehen?

Jedem Sportler muss seine Vorbildfunktion noch bewusster gemacht werden. Gerade für junge Menschen sind Sportler neben den Eltern Vorbilder, an denen sie sich orientieren. Ein 20-jähriger Fußballprofi, der sich ja selbst noch in der Entwicklung befindet, ist für noch jüngere Menschen bereits Vorbild. Dessen muss er sich bewusst sein und hier müssen die Verantwortlichen in den Vereinen noch stärker einwirken. Guerreros Fehlverhalten ist nicht zu entschuldigen. Dafür ist er mit der höchsten Vereinsstrafe belegt worden. Die Vereinsführung hat eine abgewogene Entscheidung getroffen.

Müssten nicht auch Führungskräfte stärker gecoacht werden?

Das trifft sowohl im Sport als auch auf die Wirtschaft zu. In der Finanzkrise hat man erlebt, wie erfolgsverwöhnte Führungskräfte, die sich für unfehlbar hielten, falsche Entscheidungen getroffen haben, weil sie noch nie eine persönliche Krise erlebt haben.

Welche Schlüsse haben Sie in Ihrem Unternehmen gezogen?

Wir haben im vergangenen Jahr alle Führungskräfte gecoacht, um ihr Führungsverhalten weiterzuentwickeln. Dabei war die Geschäftsführung sogar das Versuchskaninchen. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.

Was kann die Wirtschaft vom Sport lernen?

Eine ganze Menge. Für Erfolg braucht man Teamgeist. Wir beschäftigen uns sehr genau mit Abläufen, mit Teambildung und wie eben erwähnt mit dem Thema Führung: Wie werden Entscheidungen gefällt, was sind die Kompetenzen des Einzelnen?

Umgekehrt verkommt der Sport immer mehr zum knallharten Business, übt aber auch eine wichtige soziale Funktion aus. Sie engagieren sich stark mit Ihrer Sportstiftung, aber sind diese Pole überhaupt noch in eine Balance zu bringen?

Es ist möglich, auch im Profisport. Denken Sie an den Hamburger Weg, der Hilfsbedürftige unterstützt. Sport hat eine unglaubliche Kraft, zur sozialen Integration beizutragen.

Sie sind seit gut einem Jahr im Kontrollgremium. Macht's noch Spaß?

Ja, großen Spaß (lacht). Beachtlich ist die Arbeitsintensität, ich habe etwa 80 Termine wahrgenommen. Aber es ist wirklich sehr spannend.