In Belgien (21.05 Uhr im Liveticker bei abendblatt.de) geht es um den größten Vereinserfolg seit 23 Jahren - und um die Zukunft des Trainers.

Lüttich. Bruno Labbadia war gestern einer der Ersten, die aus der kleinen Chartermaschine am Liège Airport ausstiegen. Pünktlich um 12.05 Uhr war der Hamburger Reisetross im frühlingsmilden Lüttich gelandet, und es schien fast so, als ob der HSV-Trainer bloß keine Zeit vor dem entscheidenden Viertelfinalrückspiel gegen Standard am heutigen Abend verlieren wollte. Schnell überquerte der 44-Jährige im feinen HSV-Ausgehanzug das Rollfeld, durchschritt staatsmännisch die kleine Gepäckhalle und stieg in den bereits vor dem Eingang wartenden Mannschaftsbus ein.

"Wir haben ein großes Ziel vor Augen", sagte Labbadia und meinte damit das Erreichen des Halbfinals nach dem 2:1 im Hinspiel und die damit verbundene Möglichkeit, weiter vom ersten HSV-Titel seit 23 Jahren zu träumen.

"Eine Stadt, ein Finale, ein Ziel" - so stand es auch gestern an der HSH-Nordbank-Arena in großen Buchstaben geschrieben. Dabei ist dem zuletzt heftig in die Kritik geratenen Labbadia auch 520 Kilometer von der Heimat entfernt bewusst, dass am heutigen Abend bei einer Niederlage sehr viel mehr auf dem Spiel steht als nur das angestrebte Heimfinale in Hamburg am 12. Mai.



Bei einem Ausscheiden könnten neben dem Titeltraum auch seine eigenen Zukunftspläne wie Seifenblasen in der Luft zerplatzen. So wurde bereits über eine vertraglich festgeschriebene Abfindung von einer Million Euro berichtet. Labbadia weiß das, will aber nicht darüber reden: "Wir müssen zusehen, dass wir uns nicht unsere Freude nehmen lassen", sagte er, "ich hoffe sehr, dass sich nicht jeder von dieser negativen Stimmung beeinflussen lässt."

Tatsächlich scheint der Plan des HSV-Trainers aufzugehen, den Fokus auf das heutige Spiel (21.05 Uhr/live auf Sat.1 und im Liveticker bei abendblatt.de) zu legen. Seine Spieler wirkten gestern trotz der zuletzt fehlenden Erfolge, der immer schärfer geführten Trainerdebatte und der Aufregung um den Flaschenwurf Paolo Guerreros entspannt und gelöst. Mladen Petric ließ sich kurz vor dem Abflug am Flughafen Fuhlsbüttel seinen Espresso schmecken, Torhüter Frank Rost plauderte angeregt mit Dolmetscher Dennis Pauschinger, Marcus Berg und Tomas Rincon frischten ihre rudimentären Deutschkenntnisse durch intensive Zeitungslektüre am Gate auf. Sogar der vermeintliche Bösewicht Guerrero gab lächelnd zu Protokoll, dass er den Flug trotz Flugangst gut überstanden hätte - von Endzeitstimmung vor dem ersten Endspiel der Saison konnte also keine Rede sein.

Ohnehin wollte Labbadia vor der Ankunft in der luxuriösen Mannschaftsherberge Chateau des Thermes vor den Toren Lüttichs keinen Hehl daraus machen, dass er nur wenig Verständnis für die Diskussionen um seine Person hat: "Das ist alles schon ein bisschen eigenartig", sagte der Fußballlehrer, "man muss bedenken, dass wir im Viertelfinale der Europa League stehen und uns auch in der Bundesliga erneut für Europa qualifizieren können."

Einen Bruder im Geiste fand Labbadia einmal mehr in seinem Mannschaftskapitän David Jarolim, der ankündigte, heute Abend nicht nur für das Erreichen der nächsten Runde, sondern auch für seinen Vorgesetzten zu kämpfen: "Zuletzt haben wir dem Trainer nicht wirklich geholfen. Deshalb ist es wichtig, dass wir gegen Lüttich unsere Leistung bringen. Nur so können wir auch den Trainer wieder unterstützen."

Mithelfen wollen dabei auch die zuletzt angeschlagenen Achsenkräfte Joris Mathijsen, Zé Roberto, Mladen Petric und Ruud van Nistelrooy. Das Führungsspieler-Quartett, von denen nicht alle so begeistert von einer Weiterbeschäftigung Labbadias sein sollen wie der emsige Jarolim, trainierte mit dem Rest der Mannschaft gestern Abend im Maurice-Dufrasne-Stadion und gab nach der lockeren Abschlusseinheit grundsätzlich Entwarnung. "Natürlich nervt es, wenn es nicht läuft, aber wir müssen alles Negative zur Seite schieben und uns nur auf unsere Aufgabe konzentrieren", sagte der zuletzt an den Adduktoren gehandicapte Petric, der noch am Morgen am Hamburger Flughafen sämtliche TV- und Radio-Interviewwünsche abgewimmelt hatte. Allerdings waren keine kritischen Fragen zum Trainer oder zur Gesamtsituation der Grund, sondern vielmehr ein geschwollener Lymphknoten als Folge seines Heuschnupfens, der ihm das Sprechen erschwert hatte.

Bis zum Abend war dieses Problem gelöst - alle anderen Problemlösungen sollen am heutigen Abend im ausverkauften Maurice-Dufrasne-Stadion folgen.