Der Schweizer Nationaltrainer und Sky-Experte verteidigt den Brasilianer und rät Boateng von einem Wechsel zu Bayern ab.

Abendblatt:

Herr Hitzfeld, die Bundesliga startet in die Rückrunde. Fehlt Ihnen nicht das Kribbeln?

Ottmar Hitzfeld:

Nein, dieser Lebensabschnitt ist für mich vorbei. Ich genieße es sehr, dass ich als Schweizer Trainer etwas mehr Ruhe habe.

Abendblatt:

Keine Rückfallgefahr?

Hitzfeld:

Definitiv nein, ich werde nicht mehr bei einem Verein arbeiten, weder als Sportchef noch als Trainer.

Abendblatt:

Hatten Sie auch mal ein Angebot vom HSV?

Hitzfeld:

Vor etwa drei Jahren gab es einen Kontakt. Aber damals habe ich abgesagt. Ich wollte ja bewusst pausieren ...

Abendblatt:

... bis Sie Anfang 2007 doch wieder zum FC Bayern zurückgekehrt sind.

Hitzfeld

(lacht): Da habe ich mich selbst überredet. Und am Ende wurden es anderthalb Jahre.

Abendblatt:

Wäre der HSV als Verein eine gute Adresse für Sie gewesen?

Hitzfeld:

Auf jeden Fall. Ich habe schon als Kind für den HSV geschwärmt, besonders natürlich für Uwe Seeler und die Dörfel-Brüder.

Abendblatt:

Aktuell macht einer Ihrer ehemaligen Spieler dem HSV Sorgen. Zé Roberto hat seinen Urlaub eigenmächtig überzogen.

Hitzfeld:

Ich kann den Fall aus der Ferne nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass sich Zé in unseren gemeinsamen Jahren beim FC Bayern nie etwas zuschulden kommen ließ. Er kam immer pünktlich aus dem Urlaub. Für mich ist Zé das absolute Musterbeispiel eines Profis ...

Abendblatt:

... sonst wäre er auch nicht so fit.

Hitzfeld:

Genauso ist es. Zé ernährt sich gesund, trinkt kaum Alkohol. Selbst nach großen Triumphen mit den Bayern hat er sich höchstens mal ein Gläschen gegönnt. Ich wusste, dass Zé für den HSV eine große Verstärkung werden wird.

Abendblatt:

Sie hätten ihn als Bayern-Trainer nicht gehen lassen?

Hitzfeld:

Nein, ich hätte den Vertrag mit ihm verlängert. Er ist für jedes Bundesliga-Team ein Gewinn.

Abendblatt:

Aktuell umwirbt der FC Bayern Jerome Boateng, der im Sommer für eine festgeschriebene Ablöse von zwölf Millionen Euro gehen könnte. Was raten Sie ihm?

Hitzfeld:

Grundsätzlich kann ich jedem jungen Spieler nur empfehlen, sich zunächst bei seinem Verein durchzusetzen.

Abendblatt:

Boateng ist erst seit einem halben Jahr Stammspieler beim HSV.

Hitzfeld:

Eben. Da könnte ein Wechsel noch zu früh kommen. Bei den Bayern ist der Konkurrenzkampf ungeheuer groß. Diesen Wechsel sollte man daher nur machen, wenn man schon ein absoluter Leistungsträger in seinem Verein ist. Sonst ist die Gefahr sehr groß, dass man am Ende auf der Bank sitzt.

Abendblatt:

Bruno Labbadia muss sich neben der Trainingsarbeit auch um die Transfers kümmern, da der HSV noch keinen neuen Sportchef hat. Kann das funktionieren?

Hitzfeld:

Für einen gewissen Zeitraum geht das. Aber auf Dauer wird das schwierig.

Abendblatt:

Felix Magath kriegt die Doppelfunktion ja auch hin, erst in Wolfsburg, jetzt auf Schalke.

Hitzfeld:

Mag sein. Aber wenn Sie auch noch international spielen, wird das schwierig - schon durch die vielen englischen Wochen. Dann geht das nur, wenn Sie ähnlich wie Alex Ferguson bei Manchester United die tägliche Trainingsarbeit auch mal den Assistenten überlassen. Aber für mich wäre das nie ein Modell gewesen.

Abendblatt:

In der vergangenen Saison ist Bruno Labbadia in der Rückrunde mit Bayer Leverkusen regelrecht eingebrochen. Droht ihm beim HSV ein ähnliches Schicksal?

Hitzfeld:

Nein, dafür ist der HSV viel zu gefestigt. Das hat das Team bereits in der Hinrunde gezeigt, als es so großes Verletzungspech hatte. Ich traue dem HSV von Platz eins bis fünf alles zu. Der Weg zum Titel führt allerdings nur über Bayern.

Abendblatt:

Ihr ehemaliger Arbeitgeber ist wieder im Aufwind ...

Hitzfeld:

Das Weiterkommen in der Champions League war der Schlüssel. In der Rückrunde werden wir ganz starke Bayern erleben.

Abendblatt:

Warum hat es am Anfang nicht geklappt?

Hitzfeld:

Wenn mit Louis van Gaal ein neuer Trainer kommt, dauert es seine Zeit, bis sich das Team auf sein Spielsystem einstellt. Aber jetzt läuft es.

Abendblatt:

So gut, dass in der Rückrunde Langeweile droht?

Hitzfeld:

Nein, auch die Bayern werden nicht alle 17 Spiele gewinnen. Und jede Niederlage führt sofort zu großer Unruhe, die die Mannschaft wegstecken muss. Ich habe das über Jahre erlebt. Auch der beste Kader garantiert nicht den Erfolg.