2001 besiegte Ex-Stürmer Heiko Herrlich einen Tumor. Jetzt ist er Bundesliga-Coach - und will in Hamburg seinen ersten Erfolg feiern.

Hamburg/Bochum. Als Bochums Sportvorstand Thomas Ernst vor drei Wochen bei Heiko Herrlich nachfragte, ob er sich vorstellen könne, neuer VfL-Trainer zu werden, zögerte Herrlich keine Sekunde. Deutschlands damaliger U-19-Trainer setzte sich ins Flugzeug, um DFB-Sportdirektor Matthias Sammer persönlich um die Freigabe zu bitten. "Ich wusste nicht mal, ob Matthias zu Hause ist, habe es nur geahnt", erinnert sich Herrlich. Sammer war da und stimmte zu. Vor dem Bochumer Gastspiel in Hamburg sprach der frühere Nationalstürmer, der seinen größten Sieg 2001 über einen Gehirntumor feierte, im Abendblatt über seine Ambitionen mit dem angeschlagenen VfL (17. Platz), berichtet über eine Begegnung mit Bruno Labbadia auf einem Parkplatz und erklärt, warum ihn Oskar Lafontaines Krebserkrankung besonders berührt.

Abendblatt: Herr Herrlich, hatten Sie einen Plan B in der Tasche, als Sie bei Sammer vor der Haustür standen.

Heiko Herrlich: Ich brauchte keinen Plan B, ich war mir sicher, dass Matthias zustimmen würde.

Abendblatt: Warum?

Herrlich: Matthias ist nicht nur ein emotionaler, sondern auch ein sehr rationaler Mensch. Er weiß, dass es schwierig ist, mich umzustimmen, wenn ich mir erst mal was in den Kopf gesetzt habe. Und ich ließ gar keine Zweifel aufkommen, dass ich unbedingt zum VfL Bochum wollte.

Abendblatt: Haben Sie Ihre Hartnäckigkeit nach den ersten beiden Pleiten zum Start schon wieder bereut?

Herrlich: Auf keinen Fall. Natürlich will ich endlich einen Sieg schaffen, aber viel wichtiger ist doch, dass ich langfristig mit dem VfL Erfolg habe.

Abendblatt: Am Sonntag treffen Sie auf den HSV und Trainer Bruno Labbadia. Wie schätzen Sie ihren früheren Gegenspieler als Trainer ein?

Herrlich: Ich schätze ihn sehr, weil er einen ganz genauen Plan hat. Er macht sich ähnlich viele Gedanken über Fußball und Spielsysteme wie ich. Als er noch Trainer in Fürth war, haben wir uns einmal durch Zufall auf einem Parkplatz getroffen. Wir haben uns dann anderthalb Stunden lang über Fußball unterhalten, obwohl er eigentlich gar keine Zeit hatte. Er hat mir genau aufgezeigt, was er von seiner Mannschaft erwartet. Das hat mir imponiert. Seine Arbeit beim HSV bestätigt diesen Eindruck.

Abendblatt: Sie mussten Ihre Spielerkarriere zunächst lange wegen einer Krebserkrankung unterbrechen, später wegen einer Verletzung beenden. Wie sehr ist der besiegte Gehirntumor bei Ihnen noch heute präsent?

Herrlich: Ich habe nicht mehr die gleiche Unbekümmertheit wie damals. Früher wollte ich mich nie mit dem Tod beschäftigen, aber durch meine Erkrankung musste ich das zwangsläufig. Ich musste akzeptieren, dass es für jeden irgendwann vorbei ist. Das Überwinden der Krankheit hat mir geholfen zu differenzieren, was wirklich wichtig ist und was nicht.

Abendblatt: Am Dienstag wurde bekannt, dass Oskar Lafontaine an Prostatakrebs erkrankt ist. Denken Sie bei derartigen Schlagzeilen an Ihren eigenen Leidensweg zurück?

Herrlich: In meinem Kopf kommen dann schon Bilder hoch, die eigentlich schon lange zurückliegen. Die Erinnerungen an die Strahlentherapie und die Krankenhäuser sind nicht die schönsten. Ich fühle auch mit Lafontaine mit, weil ich genau weiß, was jetzt auf ihn zukommt, welche Ängste und Sorgen er womöglich hat.

Abendblatt: Relativiert sich das Geschäft Fußball, wenn man sich auch mal die Zeit nimmt, über derartige Dinge nachzudenken?

Herrlich: Natürlich. Trotzdem will ich mich meinem Job auch stellen. Denn trotz allem macht mir der Druck, dem ich mich ja freiwillig aussetze, auch Spaß. Sonst wäre ich ja nicht in die Bundesliga zurückgekehrt. Ich habe einfach einen Ball im Kopf.

Abendblatt: Was ist Ihre Philosophie von Fußball?

Herrlich: Über diese Diskussion muss ich immer wieder schmunzeln. Der eine soll ein offensiv denkender Trainer sein, der andere ein Betonmischer. Dabei ist es doch ganz einfach. Die Hälfte des Spiels arbeitet man mit, die andere Hälfte gegen den Ball.

Abendblatt: Barcelona ist also keine offensiv ausgerichtete Mannschaft?

Herrlich: Ich habe vor Jahren im "Spiegel" und in der "Süddeutschen Zeitung" Berichte über Barcelona gelesen, in denen Barcelonas Offensivspiel in höchsten Tönen gelobt wurde. Vor anderthalb Jahren war ich dann selbst vor Ort, habe mir das Training von der ersten Mannschaft bis runter in die B-Jugend angeschaut. Und wissen Sie, was alle Mannschaften trainiert haben? Die Defensive.

Abendblatt: Es scheint Ihnen Spaß zu machen, sich damit zu beschäftigen.

Herrlich: Und wie. Ich habe mit Begeisterung Italiens Weg zum WM-Titel 2006 verfolgt. Die defensive Ordnung der Mannschaft war beeindruckend. Bei der EM 2008 habe ich dann für den DFB die Spiele der Niederlande analysiert. Das Team hat in den ersten drei Spielen einen überragenden Fußball gespielt, war Europameister der Vorrunde. Die Mannschaft hat offensiv alles geboten, was es im modernen Fußball gibt. Trotzdem hatte ich Bedenken, dass diese Mannschaft ihr Spiel auch durchsetzen kann, wenn sie wirklich unter Druck gerät. Und tatsächlich hat Holland gegen die erstklassig organisierten Russen die Kontrolle verloren.

Abendblatt: Perfekt wäre es also, wenn der VfL nach vorne wie die Holländer und nach hinten wie Italien spielt?

Herrlich: Das wäre toll, aber daran müssen wir noch arbeiten. Am besten fangen wir gegen den HSV damit an.

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