Der Abwehrspieler spricht über die schockierende Jugendzeit, den Fortschritt im Verein und seine Ansprüche im Nationalteam.

Abendblatt: Herr Boateng, ist alles wieder gut bei Ihnen?

Jerome Boateng: Klar. Was soll denn nicht gut gewesen sein?

Abendblatt: Sie mussten gegen Stuttgart am Sonnabend in der Halbzeit angeschlagen raus.

Boateng: Ich hatte Oberschenkelprobleme. In Wien kann ich aber spielen.

Abendblatt: Nach den Ausfällen von Collin Benjamin und Paolo Guerrero gilt erhöhte Vorsicht im Team, oder?

Boateng: Der Kader ist enger geworden, klar. Aber wir müssen noch nicht in Panik verfallen. So bitter die Ausfälle sind, es überwiegen momentan die positiven Erkenntnisse.

Abendblatt: Für Sie läuft es nach dem letzten, eher enttäuschenden Jahr unter Martin Jol bei Bruno Labbadia wieder rund, oder?

Boateng: Absolut. Ich fühle mich topfit und kann meine eigenen Ansprüche erfüllen. Sowohl beim HSV als auch bei der Nationalmannschaft.

Abendblatt: Zumindest bei der U 21 konnten Sie das. Jetzt soll die Premiere in der A-Nationalelf folgen. Die logische Folge Ihrer guten Leistungen?

Boateng: Logisch weiß ich nicht, aber es ist die Folge der guten Leistungen. Ich weiß aber auch, dass ich noch einen weiten Weg zu gehen habe. Ich muss das, was ich zuletzt gezeigt habe, über einen deutlich längeren Zeitraum bestätigen, um reelle Ansprüche haben zu dürfen.

Abendblatt: Ihr U-21-Kollege Mesut Özil wurde für seine ersten A-Länderspiele gefeiert und gilt als neuer Hoffnungsträger im Mittelfeld. Haben Sie das Potenzial, der neue "Abwehr-Özil" zu werden?

Boateng: Inwieweit diese Erwartungen gerechtfertigt sind, weiß ich nicht. Ich glaube, dass ich einen längeren Zeitraum mit guten Spielen brauche, um sagen zu können: Ich bin ein guter A-Nationalspieler. Dass ich es werden kann, weiß ich. Aber ich feiere nie, bevor abgepfiffen wurde.

Abendblatt: Mit Ihrer A-Nationalelf-Premiere würde sich ein Kreis mit vielen Hindernissen und Tiefschlägen schließen. Ihre Fußballjugend in Berlin war ja nicht nur schön, oder?

Boateng: Das ist richtig. Ich musste in der Jugend teilweise Schläge im wahrsten Sinne des Wortes einstecken.

Abendblatt: Wo? Und warum?

Boateng: Zumeist, wenn es für uns als Jugendregionalliga-Team mit Hertha BSC in den Osten Deutschlands ging. Da sind wir in Chemnitz, Dresden und bei Sachsen Leipzig nicht nur beleidigt, sondern auch bespuckt worden, weil wir eine hohe Anzahl ausländischer Spieler in der Mannschaft hatten. Da gab es schon Szenen, die man keinem Zwölfjährigen zumuten sollte. Es traf ja nicht nur uns Spieler. Sogar unsere Eltern wurden bespuckt. Das war ein Schock.

Abendblatt: Wie lange hat Sie dieser Fremdenhass im Fußball begleitet?

Boateng: Zum Glück nur ein paar Jahre in der Jugend. Als es in den Erwachsenenbereich ging, normalisierte sich alles. Ich habe viel daraus gelernt und fühle mich heute stärker. Ich hatte damals Glück, etwas mehr Talent für Fußball zu haben als einige Freunde.

Abendblatt: Was ist aus diesen Freunden geworden?

Boateng: Nicht alle haben ihren Weg gefunden. Wir haben damals alles für den Fußball gemacht - eben auch die Schule schwänzen. Aber viele meiner damaligen Mannschaftskameraden sind heute in der Bundes- oder der ersten türkischen Liga aktiv.

Abendblatt: Wo sind Sie Stand heute aus Ihrer Sicht angekommen?

Boateng: Am Anfang. Mal wieder. Es ist ein heftiges Auf und Ab bei mir gewesen. Aber jetzt stimmen die Voraussetzungen bei mir und beim HSV. Wir sind stärker als in den vergangenen beiden Jahren. Wenn wir in dieser Saison besser aufpassen und in der Rückrunde nicht wieder einbrechen, dann können wir uns viel vornehmen.

Abendblatt: Den Titel?

Boateng: So weit gehe ich noch nicht. Aber wir können uns im Vergleich zur Vorsaison deutlich verbessern, in der Liga und auch international. Das wollen wir schon am Donnerstag bei Rapid zeigen.

Interview: Marcus Scholz

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