HSV-Oberkontrolleur Otto Rieckhoff sorgt bei der Versammlung mit seinem Vorstoß für Neuwahlen für Wirbel. Antrag auf Fernwahl abgelehnt.

Hamburg. Um 15.50 Uhr, fast fünf Stunden dauerte die Mitgliederversammlung des HSV auf der Westtribüne des Stadions an, bröckelte das Interesse der Basis spürbar. Einige der 580 Mitglieder hatten sich bereits auf den Heimweg gemacht, als die bis dahin eher unspektakuläre Veranstaltung ihren Höhepunkt lebte. Die Diskussion um die künftige Größe des Aufsichtsrats nutzte deren Vorsitzender Otto Rieckhoff zu einer überraschenden Abrechnung mit seinem Gremium.

"Der Aufsichtsrat muss komplett aus der Öffentlichkeit raus", kritisierte er. "In anderen Vereinen weiß man gar nicht, was die Aufsichtsräte tun. Beim HSV wissen die Leute alles, leider nicht nur das Gute. Das würde ich gerne ändern, halte dies aber in der jetzigen Konstellation nicht für umsetzbar." Rieckhoffs Schlussfolgerung: "Wir sollten den Aufsichtsrat verkleinern und den Weg frei machen für den neuen HSV", forderte er und schloss mit seinem radikalen Lösungsvorschlag: "Eleganterweise sollten wir unter dieser Voraussetzung (Annahme auf Verkleinerung des Aufsichtsrats, die Red. ) alle zurücktreten und uns gegebenenfalls im Januar neu zur Wahl stellen." Rums!

Rieckhoffs Vorstoß, mit dem er sogar einige Aufsichtsratskollegen überrumpelte, spricht Bände, wie es um die Zusammenarbeit beim HSV innerhalb dieses Gremiums trotz aller gegenteiligen Beteuerungen noch immer bestellt ist. Während Rieckhoff für seine Worte von den Mitgliedern durchaus auch Lob erhielt ("Mutig", "Ehrliches Eingeständnis"), erntete er zugleich harte Kritik: "Ungeheuerlich", kommentierte Aufsichtsrat Jürgen Hunke, "hier geht es am Ende doch nur um deine Macht."

Verkleinerung des HSV-Aufsichtsrats abgelehnt

Der FC Barcelona kommt

Der ehemalige HSV-Präsident warf Rieckhoff vor, dass dieser nur seine Position bei den kommenden Wahlen stärken wolle, da eigentlich nur vier der acht Plätze neu zu besetzen wären. Auch Supporters-Chef Ralf Bednarek monierte: "Hier wird die ganze Arbeit der Vergangenheit wieder umgestoßen. Das Problem im Verein ist, dass keiner dem anderen traut und jeder überlegt, wie er den anderen übers Kreuz legen kann. Dabei müssten wir überlegen, wie wir die vergangenen Jahre der Spaltung überwinden."

Konsequenzen hatte die lange Diskussion über die Verringerung des Aufsichtsrats allerdings keine. Zumindest vorerst nicht. Der Antrag von Horst Becker, das Gremium von zwölf auf nur noch sieben Mitglieder zu verkleinern, wurde mit 262 zu 244 Stimmen bei vier Enthaltungen (510 Mitglieder waren noch anwesend) abgelehnt. Seinen Kompromissantrag (Reduzierung auf neun Aufsichtsräte) nahm daraufhin Claus Runge zurück

Intern werden die Worte Rieckhoffs allerdings noch weiter für heftige Diskussionen sorgen. Möglich schien, dass nun einige Aufsichtsräte Rieckhoffs Rücktritt fordern. Jörg Debatin indes verteidigte Rieckhoff: "Otto ist ein super Aufsichtsratsvorsitzender, der in einer ganz schwierigen Situation wirklich ganz hervorragend gearbeitet hat. Deshalb sollten wir ihn mit seinem Begehren nach einem kleineren Aufsichtsrat ernst nehmen."

Auch beim zweiten großen Thema des Tages, der möglichen Einführung der Fernwahl, gab es keine Satzungsänderung. Nach zweistündiger intensiver Diskussion war Antragsteller Jan Talleur zwar mit 256 Ja- und 324 Neinstimmen weit von der erforderlichen Dreiviertelmehrheit für eine Satzungsänderung entfernt, doch ein Achtungserfolg war das Stimmenverhältnis allemal. Das Thema bleibt aktuell.

Dritter Schwerpunkt der gestrigen Veranstaltung war das Thema Investorenmodelle. Wie im Vorfeld angekündigt, zog Ingo Thiel seinen Antrag zurück, nachdem der Vorsitzende Carl Jarchow versichert hatte: "So etwas wie bei Klaus-Michael Kühne, dass ein Teil der wirtschaftlichen Transferrechte von bereits verpflichteten Spielern veräußert werden, wird es nicht geben." Dass aber nicht immer 100 Prozent der Transferrechte in der Hand des Klubs lägen, sei auch in Zukunft möglich und gängige Praxis.

Um 17.55 Uhr, nur noch 316 Stimmberechtigte waren anwesend, einigten sich die Mitglieder mehrheitlich darauf, die Abstimmung über weitere Satzungsänderungen auf einen späteren Zeitpunkt zu vertagen - was einige Funktionäre ärgerte. "Wo sind wir eigentlich? Wir sind der HSV und nicht Barfuß Jerusalem", ärgerte sich Amateurvorstand Hartmut Stöpel, weil es dem Verein wieder nicht gelungen war, alle Punkte abzuarbeiten. Eine neue außerordentliche Mitgliederversammlung ist bis Januar geplant.

Danach begann schließlich die Informationsveranstaltung mit den Berichten des Vorstands und des Aufsichtsrats, die bis 19.14 Uhr andauerte. Peter Krohn war da schon längst wieder zu Hause. Der ehemalige Präsident hatte die Sitzung bereits nach 27 Minuten verlassen. Als Rieckhoff Krohn ermahnte, sich bei seinem ersten Wortbeitrag kürzer zu fassen, erwiderte der Ex-Präsident: "Du kannst ja deinen Ordnern Bescheid sagen, dass sie mich hier vom Podium runterholen." Als dann einige Mitglieder mit demonstrativem Beifall auf Krohns Frage antworteten, ob er gehen solle, verließ er wütend mit seiner Frau Doris sofort die Versammlung.