Es sollen sowohl das bereits beim Tennis erprobte Hawk-Eye-System zur Überwachung der Linie als auch das GoalRef-System erlaubt sein.

Zürich. Nach der größten Regel-Revolution im modernen Fußball tauchte Joseph Blatter ganz schnell ab. Fragen der wartenden Weltpresse zur bahnbrechenden Einführung der Torlinientechnologie wollte der Fifa-Präsident nicht beantworten. Die historische Entscheidung steht für sich, meinte Blatter wohl. Doch nach der Sitzung des International Football Association Board (Ifab) am Donnerstag in Zürich bleibt weiter vieles im Unklaren.

So ist weiter unsicher, wann und ob die Systeme Hawk-Eye oder GoalRef zur zweifelsfreien Torerkennung in Deutschland zum Einsatz kommen. Plötzlich stehen die nationalen Funktionäre von DFB und DFL unter Entscheidungszwang.

Fest steht immerhin: Erstmals sollen Schiedsrichter bei der Club-WM im Dezember in Japan die Hilfe offiziell in Anspruch nehmen können. Beim Confederations Cup 2013 und der WM 2014 in Brasilien wird das System einem großen, weltweiten Publikum präsentiert - Wembley-Tor-Mythen und Torklau-Schlagzeilen sollen dann endgültig der Vergangenheit angehören. „Natürlich ist es ein ganz entscheidender Tag für den Fußball. Es wurde jahrelang diskutiert. Nun haben wir eine klare Richtlinie“, sagte FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke. Beide Systeme müssten noch einen „Fifa-Stempel“ als Zertifikat erhalten und ständig auf ihre Tauglichkeit überprüft werden. Blatter war da nach Fifa-Angaben zu einem exklusiven TV-Interview in einem Séparée entschwunden.

Die Technik-Verwirrung könnte den Fußball-Fan schon bald befallen. In der WM-Qualifikation wird es zum Beispiel keine Schiri-Hilfe geben. Ein Verlierer des Tages ist auch Uefa-Präsident Michel Platini. Sein System mit zwei zusätzlichen Torlinien-Richtern wird zwar weiter geduldet. Doch verweigert Europas Kontinentalverband wie angekündigt die Technikeinführung bei seinen Top-Wettbewerben Champions League und EM, wird das Wehklagen bei der nächsten Fehlentscheidung garantiert noch lauter sein. Platini ist also in der Zwickmühle.

Wie die deutschen Fußball-Größen auch. Alle Verbände und Profiligen wie die Bundesliga oder die englische Premier League können selbst über eine Einführung der aufwendigen Systeme entscheiden – müssen aber auch die Kosten in erwarteter Millionenhöhe selber tragen. „Zum DFB kann ich nichts sagen. Der Ball liegt bei ihnen“, sagte Valcke. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und Ligapräsident Reinhard Rauball hatten sich der Technik gegenüber aufgeschlossen gezeigt, aber wohl eine andere Klärung der Finanzfragen vom Weltverband erhofft. Eine nationale Entscheidung wird nun mit Spannung von DFB und DFL erwartet – vor der übernächsten Saison 2013/14 ist eine Ausstattung aller Bundesliga-Stadien mit der bis zu 200 000 Dollar teuren Ausrüstung ohnehin unrealistisch.

Es hatte sich einiges zusammengebraut in Zürich. In der Fifa-Zentrale dauerte die Sitzung des Ifab-Gremiums deutlich länger als geplant. Vor den Türen ging ein kräftiger Hagelschauer nieder, kurz bevor die Entscheidung verkündet wurde. Valcke hatte Mühe zu betonen, dass die Entscheidung nicht den Fußball entzweit und nur die reiche Fifa sich die Technik leisten kann. Und: Weitere Technik wird es im Fußball nicht geben, versicherte Valcke.

Gewinner des Tages sind die Produzenten der Systeme Hawk-Eye und GoalRef. Die aus dem Tennis bekannte Technologie Hawk Eye stammt aus England. Bis zu sechs Kameras nehmen das Spielgeschehen auf und funken Bilder an einen zentralen Computer. Dieser berechnet aus der Bildersumme die Position des Balles und sendet bei einem Tor ein Signal auf die Armbanduhr des Schiedsrichters. Ein Schwachpunkt: Liegt ein Spieler auf dem Ball, können keine Bilder aufgenommen werden. Gekauft wurde das Knowhow kürzlich vom Unternehmen Sony - einem Fifa-Sponsor.

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Das Fraunhofer Institut in Erlangen war an der Entwicklung des sogenannten „Intelligenten Tores“ GoalRef maßgeblich beteiligt. Im Torrahmen wird dabei ein Magnetfeld erzeugt. Der Ball enthält drei Magnetspulen. Überschreitet der Ball die Torlinie, wird durch das Magnetfeld im Tor ein Magnetfeld im Ball aktiviert und ein zugeschalteter Computer sendet ein Signal auf die Armbanduhr des Schiedsrichters. Entwickelt wurden spezielle Bälle. Fifa-Sponsor adidas hat großes Interesse.

Fifa-Chef Blatter hatte sich erst nach den Fehlentscheidungen bei der WM 2010 in Südafrika aufgeschlossen gegenüber Technologien gezeigt – nach jahrelangen Diskussionen und Testphasen. Damals war unter anderem England ein Tor von Frank Lampard gegen Deutschland nicht gegeben worden. Bei der EM 2012 zeigte sich das System mit Torlinienrichtern als anfällig, da der Ungar Istvan Vad seinem Schiedsrichter Viktor Kassai einen klaren Treffer der Ukraine gegen England nicht signalisierte. Der Bezug zum legendären Wembley-Tor der Engländer im WM-Finale 1966 hatte der Debatte immer eine historisch unumstößliche Relevanz gegeben

(dpa)