Del Bosques System und der zu trockende Rasen sorgen für Diskussionen – Fabregas rechtfertigt Aufstellung – Italien auf dem richtigen Weg

Danzig. Die Mixed Zone im Danziger Stadion wirkte unendlich lang, aber Cesc Fabregas machte das gar nichts aus. Als der spanische Retter beim 1:1 (0:0) gegen Italien zum EM-Auftakt nach einem viertelstündigen Interview-Marathon freudestrahlend bei den letzten Journalisten angekommen war, stellte Fernando Torres hinter seinem Rücken einen neuen Rekord auf. Keine 30 Sekunden hatte der Stürmer für die rund 50 Meter zum lilafarbenen Mannschaftsbus gebraucht – und Fabregas keines Blickes gewürdigt.

„Nicht mal ich dachte daran, spielen zu dürfen. Ich war der Überraschteste von allen“, bekannte Fabregas äußerst glaubwürdig. Im System ohne echte Spitze hatte der Mittelfeldspieler mit dem Ausgleich des italienischen Führungstreffers durch Antonio Di Natale seine Aufstellung gerechtfertigt und die Spanier bei der „Mission Titelverteidigung“ vor einem Fehlstart bewahrt. Der auf die Bank verbannte Torres hingegen vergab nach seiner Einwechslung den Sieg - und entfachte eine Diskussion, die Spanien wohl mindestens bis zum nächsten Gruppenspiel am Donnerstag gegen Irland begleiten wird.

Nichts gewonnen und nichts verloren hat der Welt- und Europameister im wohl schwierigsten Spiel der Gruppe C: „Mit zwei Siegen sind wir doch im Viertelfinale“, sagte Fabregas äußerst lässig. Die Geister der rund 39.000 Zuschauern aber schieden sich trotz des Fußballspektakels im Duell der beiden Weltmeister an der überraschenden Taktik von Spaniens Trainer Vicente del Bosque. „Die Mittelfeldspieler waren sehr gut. Aber das Spiel ohne Stürmer wirkte steril“, meckerte etwa Real Madrids Trainer Jose Mourinho wie auch del Bosques Vorgänger Luis Aragones.

Del Bosque selbst befand, sein Plan sei „gar nicht so schlecht aufgegangen. Fabregas ist zwar Mittelfeldspieler, aber ein sehr spezieller. Ich wollte seine Vorteile ganz vorne ausprobieren.“ Die gab es – aber übermächtig war Spanien nicht. Wohl auch deshalb erwägte der Verband noch am Montag einen offiziellen Protest über den angeblich zu trockenen Rasen. „Ein Desaster“, schimpfte Fabregas.

Seit eineinhalb Monaten hatte Barca-Spieler Fabregas keine ganze Partie mehr bestritten, zudem nach einer leichten Verletzung am Dienstag zum ersten Mal mit der Mannschaft trainiert. Die spanischen Journalisten waren sich kollektiv einig, dass del Bosque wie in allen Trainingsspielen Champions-Laegue-Sieger Torres als Ersatz für den verletzten Rekordtorschützen David Villa bringen würde. Der 61-Jährige aber entschied sich nach vier Jahren als Nationaltrainer für sein allererstes Spiel ohne Stürmer. Im Barca-Stil.

„Wir haben diese Aufstellung nicht geübt. Aber es zeigt doch nur, dass wir viele Varianten haben“, sagte Fabregas. Gegen die um Aushilfs-Libero Daniele Di Rossi clever verteidigenden und nach vorne fast auf Augenhöhe befindlichen Italiener spielte Spanien allerdings nur in der Schlussphase wie ein haushoher EM-Favorit - und da versagten ja Torres (75./85.) die Nerven.

„Es war der richtige Moment, um Fernando zu bringen. Und er hat sich ja auch einige Chancen erarbeitet“, sagte del Bosque, ließ die zwei vergebenen Siegchancen des Torjägers vom FC Chelsea aber lieber unkommentiert. Vielmehr versuchte das spanische Lager den nötigen Optimismus auf dem Weg zum „Titel-Hattrick“ aus seinem dominanten Mittelfeldspiel zu ziehen. „Es ist ein bittersüßes Gefühl. Aber der Schlüssel liegt nur bei uns. Ich vertraue darauf, dass wir ein starkes Turnier spielen“, sagte Andres Iniesta, der das Spiel durch zahlreiche Weltklasse-Aktionen in der zweiten Hälfte belebt hatte.

Torres gab sich vor den TV-Kameras noch nicht beleidigt. „Wenn Cesc weiterspielen kann, soll er das tun“, sagte er. Neben Torres war offiziell ohnehin der Rasen schuld: „Viel zu trocken. Wir konnten unser Spiel nicht wie gewohnt aufziehen. Die UEFA muss sich dafür etwas einfallen lassen“, forderte unter anderem Xavi. Der am Montag immer noch erwägte Protest wird aber wohl wenig Erfolg haben.

Die Bewässerung sei bewusst mehr als 75 Minuten vor Anpfiff gestoppt worden, ließ die UEFA auf dapd-Anfrage wissen. „Es ist die klare Ansage, den Rasen so viel zu wässern wie möglich, aber nur so weit, dass das Gras durch Überwässerung nicht beschädigt wird“. Von italienischer Seite kamen ohnehin keine Klagen.

Immerhin: Die vom Wettskandal, Verletzungssorgen und dreier Testspiel-Niederlagen gebeutelte Mannschaft ist nach dem Spiel am Montagabend offenbar auf dem richtigen Weg. „Das ist eben Italien! Wir sind geistig und körperlich gewachsen“, sagte Trainer Cesare Prandelli stolz, gab aber zu, dass das Spiel „sehr, sehr viel Kraft gekostet hat“. Aufbauarbeit für das kommende Spiel gegen Kroatien leistete Staatspräsident Giorgio Napolitano noch in der Kabine. Die Stürmer- und Rasendiskussion der Spanier können die Italiener nun entspannt verfolgen: Zu einem erneuten Aufeinandertreffen kommt es frühestens in drei Wochen – beim Finale in Kiew.