Köln. Das glückliche 2:2-Unentschieden gegen Frankreich wirft eine Frage auf: War die Qualifikation für den Weltmeister zu leicht?

Joachim Löw ließ seine Weltmeister den Jubel zum Jahresabschluss nur kurz genießen. In die vier Monate ohne Länderspiele verabschiedete der tiefenentspannte Bundestrainer die Mannschaft mit einem klaren Auftrag. „Ich habe ihnen gesagt, was wir für die WM erwarten. Sie müssen die Saison mit der richtigen Einstellung durchziehen, wenn wir in Russland erfolgreich sein wollen“, sagte Löw nach dem etwas glücklichen 2:2 (0:1) zum Ende eines „überragenden Jahres“ gegen Frankreich.

Confed-Cup-Sieg, makellose WM-Qualifikation, seit 21 Spielen ungeschlagen – ein sichtlich aufgeräumter Weltmeistercoach verließ das Kölner Stadion sieben Monate vor der WM (14. Juni bis 15. Juli) mit einem guten Gefühl: „Ich bin nach diesem Jahr völlig entspannt und habe keine schlaflosen Nächte.“

Mit seinem Last-Second-Tor in der Nachspielzeit (90.+3) rettete Lars Stindl auf Vorlage des Rückkehrers Mario Götze die seit dem Halbfinal-Aus bei der EM 2016 andauernde Erfolgsserie des Weltmeisters und sorgte zudem dafür, dass Löw der erste Bundestrainer seit Berti Vogts (1997) ist, der ein Kalenderjahr ohne Niederlage übersteht. Für Löw sind solche Statistiken allerdings bedeutungslos: Er hat seit Monaten nur noch die erfolgreiche WM-Titelverteidigung im Kopf.

Französische Pressestimmen zum Länderspiel gegen Deutschland

"L'Équipe"

„Schade, denn das war gut. Unternehmungslustig und oft gefährlich – das französische Team hat sich in Deutschland von einer guten Seite gezeigt. Deutschland hat wie durch ein Wunder seine Unbesiegbarkeit gerettet. Trapp ist trotz der beiden Gegentore ein Gewinner. Er hat keinen Fehler begangen und darf sich trotz seiner Rolle als Ersatztorwart bei Paris Saint-Germain Hoffnung auf ein WM-Ticket machen. Draxler hat voller Lust, aber ohne Durchschlagskraft gespielt.“

"Le Parisien“

„Das französische Team hat sich teilweise mit sich selbst versöhnt. Gegen die Weltmeister von 2014 hat es Spiel, Rückgrat und Abwechslung in seinen Angriffen wiedergefunden, aber es konnte seinen Traum nicht zum Ende führen, weil es ihm nicht gelungen ist, beide Halbzeiten auf dem gleichen Niveau zu sein.“

"Ouest France"

"Fast wäre den Blauen die Überraschung gelungen. Trotz des Gegentores in letzter Sekunde scheint die Zukunft vielversprechend."

"Courrier de l'Ouest"

"Die Blauen werden in letzter Sekunde von den Deutschen eingefangen. Ein wertvolles Unentschieden. Die Blauen schrammten nur knapp am Sieg vorbei."

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Daher war es dem 57-Jährigen viel wichtiger, „dass wir zweimal nach einem Rückstand zurückgekommen sind“. Die Mannschaft sei nach den Gegentoren von Alexandre Lacazette (33., 71.) nicht nervös geworden, betonte Löw. In dieser mentalen Stärke sieht er einen elementaren Baustein für eine erfolgreiche WM: „Wir sind fußballerisch auf höchstem Niveau. Aber man muss sich vor dem Turnier auch psychische Robustheit aneignen. Jede Mannschaft will uns in die Knie zwingen. Da stoßen wir auf wahnsinnige Widerstände. Darauf müssen wir vorbereitet sein.“

Doch auch spielerisch offenbarte die Mannschaft wie schon beim 0:0 in England am Freitag Defizite. Die Weltmeister haben in einer makellosen, jedoch kaum herausfordernden Qualifikation offenbar den Sinn fürs Blitzartige verloren. Löw weiß um dieses Problem: „Wir müssen nach Ballgewinnen schneller umschalten, mit Dynamik zum Tor. Es ist wichtig, dass wir das Richtung WM wieder einschleifen“, forderte der Bundestrainer bereits am Freitag.

Hat sich Deutschland in der Qualifikation von seinen schwächeren Gegnern etwa einlullen lassen? „Tschechien, Norwegen, Nordirland – das ist nicht unser Maßstab“, sagte Löw. Tatsache ist: Die Franzosen waren in ihrer Gruppe gegen Schweden, die Niederlande und Bulgarien sicher stärker gefordert.

Problemzone Außenverteidigung

„Wenn du jetzt alle Spiele gewinnst, spielt es bei der WM nicht so eine Rolle“, weiß auch Löw. „Was man bei einem Turnier braucht, ist mentale Stärke und körperliche Robustheit. Die Spiele in der K.-o.-Runde stehen alle auf der Kippe. Ein 7:1 wie gegen Brasilien in einem Halbfinale wird es nicht mehr geben. Da entscheiden kleine Dinge.“

Die Baustellen auf dem Platz sind allerdings überschaubar. Es fehlt weiterhin gleichwertiger Ersatz für die Außenverteidiger Joshua Kimmich und Jonas Hector. Doch ansonsten steht den Spielern der wohl härteste Konkurrenzkampf der deutschen WM-Geschichte bevor. „Wir haben uns in jedem Mannschaftsteil weiterentwickelt und hungrige Spieler dazugewonnen“, sagte Innenverteidiger Jerome Boateng der „Sport-Bild“. Rund 40 Kandidaten rangeln um die 23 Tickets, ein Dutzend Profis um die Weltmeister Manuel Neuer, Mats Hummels und Toni Kroos hat seinen Platz sicher.

„Wir haben uns eine wahnsinnig gute Basis erarbeitet. Deswegen macht mich in der Vorbereitung nichts mehr nervös“, sagte Löw. Auch nach diesem überragenden Jahr müssten sich die Automatismen weiter einspielen, so Löw, der seine Vorstellungen verdeutlichte: „Wir müssen die Räume, die man für eine kurze Phase zur Verfügung hat, nutzen. Zudem ist die Feinabstimmung wichtig sowie die Organisation und die Kompaktheit in der Defensive.“

Einigen fehlt die Klasse

Offensiv verfügt der Bundestrainer im Gegensatz zu den vergangenen Jahren über reichlich Alternativen. Timo Werner untermauerte gegen die Franzosen vor der wenig stimmungsvollen Kulisse von 36.948 Zuschauern mit seinem siebten Länderspieltor in diesem Jahr (56.) seinen derzeitigen Status als Stürmer Nummer eins. Mit seiner Vorlage zum Stindl-Treffer meldete sich auch Götze nach einjähriger Pause im DFB-Trikot eindrucksvoll zurück. „So eine Aktion, die zum Tor geführt hat, war schon klasse. Er ist auf einem guten Weg“, lobte Löw.

Torhüter Kevin Trapp zeigte, dass auf ihn trotz seiner Reservistenrolle bei Paris Saint-Germain Verlass ist. Für seinen WM-Traum erwägt der 27-Jährige sogar einen Vereinswechsel in der Winterpause.

Dennoch bleibt der Weg zum zweiten WM-Titel nacheinander ein schmaler Grat. Kaderkandidaten wie Niklas Süle, Emre Can, Antonio Rüdiger, Marvin Plattenhardt, Marcel Halstenberg oder Julian Brandt fehlt noch ein ganzes Stück zur internationalen Spitzenklasse. Götze, Ilkay Gündogan und der im Moment erneut angeschlagene Jérôme Boateng müssen nach ihren Comebacks erst ihr Spiel stabilisieren.

Nur zwei Tests bis zur WM

Die Nationalspieler haben Löws Erwartungen verstanden. Daher machte sich der Bundestrainer mit Blick auf die WM „natürlich Gedanken, aber keine Sorgen“, und er verschwand gelöst in die Kölner Nacht.

Bis zur WM bleiben noch zwei Gelegenheiten, die Form zu überprüfen: gegen Spanien am 23. März in Düsseldorf und gegen Brasilien am 27. März in Berlin. Sollte die Nationalmannschaft auch diese beiden Spiele ohne Niederlage überstehen, hätte sie ihren Rekord eingestellt: Von Oktober 1978 bis Dezember 1980 blieb sie ebenfalls in 23 Begegnungen unbesiegt.

Für den Bundestrainer geht das WM-Tuning schon in zwei Wochen mit der Reise nach Moskau weiter. Das erste Länderspieljahr ohne Niederlage seiner Ära spielt dann schon keine Rolle mehr. In Kreml werden die WM-Gruppen ausgelost. Für Löw ein „immer spannender“ Termin: „Dann wissen wir, wer die Gegner sind und auf wen wir uns einstellen müssen.“