Hamburg . Die Hamburgerinnen sagen über ihre ungewöhnliche Fußball-Karriere auch: „Wir möchten Vorbilder sein“. Ein Interview.

Zwei afghanische Nationalspielerinnen, wer würde sie mitten in Hamburg vermuten? Die Schwestern Shabnam Ruhin, 24, und Mariam Gitti Ruhin, 23, laufen für den ESV Einigkeit Wilhelmsburg in der Verbandliga auf – und engagieren sich nicht nur auf dem Feld für andere Frauen und für ihr Land.

Hamburger Abendblatt : Wie lange spielen Sie beide schon beim ESV Einigkeit Wilhelmsburg?

Shabnam Ruhi: Seit zehn Jahren. Einer unserer jüngeren Brüder spielte hier. Matthias Bolle sprach uns an. Er suchte Mädchen für seine Jugendmannschaft. So kamen wir hierher.

Mariam Gitti Ruhin: Matthias Bolle erwies sich schnell als einer der besten Trainer in Hamburg. Er unterstützt uns, wo er nur kann. Die Spielerinnen kennen sich schon lange Zeit. Wir sind von der Bezirksliga bis in die Verbandsliga aufgestiegen. Das nächste Ziel ist der Aufstieg in die Regionalliga. Wir könnten uns gar nicht mehr vorstellen, woanders hinzugehen.

Shabnam: Wir lieben es, hier in Wilhelmsburg zu spielen. Diese tolle Truppe ist wie eine große Familie.

Welche Positionen spielen Sie?

Shabnam: Ich habe schon alle möglichen Positionen gespielt. Momentan bin ich auf der Sechs.

Mariam: Ich bin Rechtsverteidigerin.

Wie wurden Sie zu Nationalspielerinnen Afghanistans?

Shabnam: Eine lustige Geschichte. 2011 sprach uns nach einem unserer Spiele mit dem ESV Einigkeit ein Mann an. Angeblich vom afghanischen Frauenfußballverband. Er gab mir seine Visitenkarte. Darauf stand der Name eines Pizza-Services und seine Nummer. Er sagte nur: „Ruf mich an.“ Dann ging er. Das hat uns verunsichert.

Mariam: Der nächste Versuch 2012 klappte besser. Der afghanische Verband schickte seinen zuständigen Scout (lacht). Der schaute nicht nur zu, sondern redete auch mit uns.

Wie war der afghanische Verband auf Sie aufmerksam geworden?

Mariam: In Hamburg gibt es nicht so viele afghanische Mädchen, die Fußball spielen. So wurden sie schneller auf uns aufmerksam. Trotzdem wollten die erst einmal sehen: Können die überhaupt Fußball spielen?

Und?

Shabnam: Der Scout war begeistert. Er fand uns gut. Und bot uns gleich an, im selben Jahr in Sri Lanka bei der Fußball-Südasienmeisterschaft mitzuspielen. Wir sagten zu. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das 4:0 gegen Pakistan in der Vorrunde. Ein tolles Spiel, und ich habe zwei Tore erzielt. Unsere afghanische Mitspielerin Manija Mir vom ESV Einigkeit war da noch nicht dabei. Sie wurde 2015 Nationalspielerin.

Mariam: Für mich war Sri Lanka eine schöne Erfahrung. So viele gleichaltrige Mädchen waren plötzlich unsere Teamkameradinnen. Es ist ja sehr multikulturell bei uns. Manche Spielerinnen kamen sogar aus Amerika, manche aus Afghanistan. Wir kannten uns vorher nicht. Es gab das Frauen-Nationalteam noch nicht lange. Wir kommunizierten auf Farsi, Dari und Englisch. Laufwege, Taktik, Spielzüge – alles musste schnell einstudiert werden. Und wir kamen immerhin bis ins Halbfinale gegen Nepal.

Shabnam: Wunderbar war auch, dass unser Vater dabei war und uns unterstützt hat, wo er nur konnte. Unsere Eltern sind vor 25 Jahren vor dem Krieg aus Afghanistan geflohen, um uns und unseren zwei jüngeren Brüdern ein besseres Leben in Deutschland zu ermöglichen. Das haben sie geschafft. Wir verdanken ihnen viel.

Waren viele Zuschauer da?

Shabnam: Nein. Wir haben vor circa 200 Leuten gespielt. Das machte uns nichts. Bei der Südasienmeisterschaft in Pakistan 2014 waren übrigens schon mehr Leute da.

Sie haben 2014 nicht teilgenommen. Warum eigentlich nicht?

Mariam: Uns fiel die Entscheidung schwer. Pakistan ist halt kein sicheres Land. Wir entschieden uns daher, daheim zu bleiben. Diesen Sommer in Indien sind wir wieder dabei.

Pünktlich für das Turnier hat Sportartikelhersteller Hummel ein Frauentrikot mit einem Hijab auf den Markt gebracht. Wie finden Sie das?

Mariam: Das ist sehr gut für Mädchen und Frauen auf der ganzen Welt. Gerade dort, wo Religion eine wichtige Rolle im Alltagsleben spielt, können sie nun ihren Glauben und ihre Leidenschaft für den Fußball miteinander verbinden. Das ist eine Riesenerleichterung.

Shabnam: Ich finde das ebenfalls großartig. Außerdem gibt es einen praktischen Grund: Versuchen Sie mal, bei großer Hitze mit einem Kopftuch Fußball zu spielen – ganz schön stickig.

Werden Sie das Trikot mit dem Hijab bei Spielen tragen?

Shabnam: Nein.

Mariam: Ich auch nicht.

Warum nicht?

Shabnam: In der Nationalelf ist es uns freigestellt. Unsere Eltern lassen uns frei entscheiden.

Wenn Sie die Option, ein Kopftuch beim Fußball tragen zu können, begrüßen, heißt das auch, dass es für Sie kein Symbol der Unterdrückung ist?

Shabnam: Das sehen wir beide nicht so. Gute Freunde von mir tragen es mit Leidenschaft. Ich verurteile niemanden, der ein Kopftuch trägt. Jede Frau soll das individuell entscheiden.

Wie steht es denn aus ihrer Sicht um die Frauenrechte in Afghanistan?

Mariam: Das ist ein schwieriges Thema. In den Medien sieht man natürlich viele dramatische Bilder. Ich finde, es ist besser geworden. Geschichten, die uns Mitspielerinnen aus Afghanistan erzählt haben, haben uns sehr bewegt. Sie gehen ihren Weg, setzen sich für ihre Interessen ein. Die Frauen sind natürlich noch nicht da angekommen, wo sie sein sollten, sind nicht so gleichberechtigt wie in Deutschland.

Shabnam: Es gibt zum Beispiel Frauen in Afghanistan, die die Burka ablegen und ein Kopftuch tragen. Das gab es vor fünf Jahren nicht. Einschränkungen wie bei der Aufnahme einer Arbeit gibt es natürlich noch immer.

Welche Bedeutung hat das afghanische Frauen-Nationalteam für ihr Land?

Shabnam: Unser Land hat viel durchgemacht. Wir möchten mithelfen und ein Vorbild sein, dass es sich von seiner sportlichen Seite zeigt. Und dass es zeigt: Frauen können vieles, auch Fußball spielen. Es gibt in Hamburg ein nettes Pärchen. Die haben eine kleine TV-Sendung im afghanischen Fernsehen und unterstützen uns. Dort haben wir nun einen Aufruf gestartet: Wir suchen afghanische Fußballerinnen. In Hamburg organisieren wir im Sommer ein internationales Hallenturnier. Wir wollen eine Mannschaft aufbauen, die wirklich stark ist, die gegen europäische Teams mithalten kann.

Was fehlt dazu noch?

Mariam: Wie gesagt: Wir sind über die Welt verteilt. Mal eben so den Kader zusammenholen und gemeinsam trainieren ist schwer. Die Eingespieltheit fehlt oft.

Haben Sie Vorbilder?

Mariam: Wenn ich einen Mann nennen darf: Christiano Ronaldo. Mit welcher Leidenschaft er auf dem Feld alles für den Erfolg gibt, das imponiert mir.

Shabnam: Ich habe kein Vorbild.

Wie wäre denn mal eine Partie gegen die deutsche Fußballnationalmannschaft. Hätten Sie daran Interesse?

Mariam: Natürlich. Wer würde das nicht wollen? Da müssen wir nur noch eine ganze Menge trainieren.

Shabnam: Wenn wir irgendwann richtig gut sind und mithalten können, dann sehr, sehr gerne. Der nächste große Traum ist aber der Sieg beim Südasien-Cup in Indien.