Wolfsburg . Wolfsburg deklassiert Real Madrid im Viertelfinale der Champions League. Kahn rechnet mit Ronaldo ab, Hecking moniert “Schauspielerei“.
Die Chance auf die Sensation ist für den VfL Wolfsburg plötzlich ganz real: Mit einem beherzten Auftritt und äußerster Effektivität blamierten die Niedersachsen im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League das pomadige Starensemble von Real Madrid und haben nach dem 2:0 (2:0) alle Chancen aufs Weiterkommen in der eigenen Hand.
Gegen den spanischen Rekordmeister um Superstar Cristiano Ronaldo und Weltmeister Toni Kroos reicht dem Team von Trainer Dieter Hecking am kommenden Dienstag sogar eine Niederlage mit einem Tor Unterschied, um erstmals den Sprung unter die besten vier Teams Europas zu schaffen. Am Tag nach dem Wolfsburger Fußball-Fest und Reals erster Niederlage in dieser Saison in der Königsklasse hält Sie der Splitter auf dem Laufenden:
Presse: "Wolfsburg häutet Real"
Wolfsburgs 2:0-Coup hat in Spanien Bestürzung und Ernüchterung ausgelöst. Das Urteil reichte von "gehäutet, ausgetanzt und verspeist" über "absolutes Desaster und Fiasko" bis hin zur "Alptraumnacht in Wolfsburg". Die internationalen Pressestimmen im Überblick:
Die internationalen Pressestimmen
Marcelos „Schauspielerei“ erzürnt Hecking
Eine Schwalbe der ganz besonderen Art hat Dieter Hecking dermaßen geärgert, dass er kurzzeitig richtig sauer war. Nach dem Spiel geriet der Trainer des VfL Wolfsburg deshalb mit dem brasilianischen Nationalspieler Marcelo aneinander. In den Katakomben der Wolfsburger Arena gab es ein Wortgefecht. „Ich habe ihm gesagt, er soll die Schauspielerei sein lassen“, berichtete der Trainer.
Marcelo hatte in der 67. Minute des Champions-League-Viertelfinales eine besonders dreiste Einlage gezeigt. Zunächst trat der Linksverteidiger nach hinten gegen Maximilian Arnold aus, dann versuchte er einen Kopfstoß gegen den Wolfsburger - um sich anschließend theatralisch fallen zu lassen und eine Verletzung zu simulieren. Die Folge waren nach dem folgenden Gerangel mit Spielern beider Teams Gelb für Wolfsburgs Arnold und Gelb für Madrids Gareth Bale - während der unbegabte Real-Schauspieler ungeschoren davon kam. „Das hat mich geärgert“, gab Hecking zu. Und zu Arnold sagte der Trainer: „Wenn man da genau hinguckt, ist er zu einer Gelben Karten gekommen, die er nicht verdient hat.“
Kahn kritisiert Ronaldo scharf
ZDF-Experte Oliver Kahn redete sich mal wieder in Rage – diesmal bekamen vor allem die Superstars der Königlichen ihr Fett weg. Der frühere Nationaltorwart rechnete nach dem 2:0 für Wolfsburg zur Pause damit, dass Real Madrid in der zweiten Hälfte „ein Feuerwerk abbrennen“ werde. Doch am uninspirierenden Auftritt der Spanier änderte sich kaum etwas.
Als Grund machte Kahn vor allem Lustlosigkeit fest. „Sie wirkten fast beleidigt, dass sie hier in Wolfsburg spielen mussten“, sagte der ehemalige Bayern-Profi und legte gegen einzelne Spieler nach: „Es ist bekannt, dass Ronaldo und Bale keinen Bock auf Defensivarbeit haben, sodass hinter den beiden Außen immer eine Lücke klafft.“ VfL-Trainer Dieter Hecking habe seine Mannschaft perfekt auf diese Schwäche des Gegners eingestellt.
Auch wenn der Sensations-Erfolg auf eine geschlossene Mannschaftsleistung zurückzuführen sei, hob Kahn zwei Spieler besonders hervor. „Henrique hat den ungewohnten Platz auf Rechtsaußen fantastisch ausgenutzt“, lobte der „Titan“. Die zweite Schlüsselrolle nahm seiner Ansicht nach Wolfsburgs Eigengewächs Maximilian Arnold ein. „Solche Spieler brauchst du gegen Real: frech, respektlos, keine Angst vor großen Madrilenen. Real hat gespürt, wie präsent er war und sie immer wieder geärgert hat“, sagte Kahn mit feurigen Augen.
Statistik bestätigt Kahn-Kritik an Ronaldo
Die Statistik gibt dem ehemaligen Nationalkeeper recht. Ronaldo hatte während des Spiels nur 45 Ballkontakte. Sogar Wolfsburgs Torhüter Diego Benaglio war häufiger am Ball als der dreimalige Weltfußballer des Jahres. Es ist zudem der schlechteste Wert aller Feldspieler der Madrilenen, die über 90 Minuten gespielt haben. Der Portugiese konnte lediglich 23 Pässe an den eigenen Mann bringen. Auch in diesem Wert liegt Ronaldo im Mannschaftsvergleich auf den hinteren Plätzen. Immerhin schoss er sechs Mal auf das Tor und war in dieser Hinsicht der fleißigste Spieler auf dem Platz.
De Bruyne gratuliert Wolfsburg
„Ich freue mich für jeden in Wolfsburg, großes Resultat“, schrieb der belgische Nationalspieler bei Twitter. Der Offensivspieler hatte gleich doppelt Grund zur Freude. Mit Manchester City erspielte er sich mit dem 2:2 (1:1) bei Paris St. Germain eine glänzende Ausgangslage für das Rückspiel. Der Offensivspieler, der im vergangenen Sommer für rund 75 Millionen Euro vom Bundesligisten nach England wechselte, erzielte das zwischenzeitliche 1:0 für die Citizens.
Vier Wolfsburgern droht Sperre im Halbfinale
Nach den Viertelfinal-Rückspielen (12. und 13. April) werden alle Gelben Karten im laufenden Wettbewerb gelöscht. Dennoch droht gleich vier Wolfsburgern im Falle eines Einzugs ins Halbfinale eine Sperre. Denn Maximilian Arnold, Diego Benaglio, Luiz Gustavo und Vieirinha haben bisher zwei Verwarnungen gesammelt. Bei der dritten wären sie für ein Spiel zum Zuschauen gezwungen. Somit könnten gleich vier "Wölfe" das Halbfinal-Hinspiel (26. und 27. April) verpassen.
Mehr als 8,5 Millionen sehen Wolfsburg-Sieg
Der überraschende Triumph des VfL Wolfsburg hat dem TV-Sender ZDF eine sehr gute Quote beschert. Das 2:0 der Niedersachsen verfolgten 8,63 Millionen Zuschauer vor dem Fernseher, dies entsprach einem Marktanteil (MA) von 28,7 Prozent. Die Übertragung erzielte damit den Tageshöchstwert im Zweiten.
Auch die Sehbeteiligung in der nachfolgenden halben Stunde erreichte gute Werte. Die ZDF-Zusammenfassung des zweiten Spiels des Abends zwischen Paris St. Germain und Manchester City (2:2) sahen 6,74 Millionen Zuschauer (MA: 31,0 Prozent). Die Kurzberichte von den Begegnungen des Vortages kamen auf einen Marktanteil von jeweils 26,4 Prozent, Bayern München gegen Benfica Lissabon sahen noch 5,19 Millionen Zuschauer, FC Barcelona gegen Atletico Madrid 4,69 Millionen.
Hecking lobt seine "Waffe"
Für die meisten Fußball-Fans und -Experten war es eine Überraschung, Wolfsburgs Verantwortlichen glaubten hingegen auch vor dem Spiel schon an den Coup gegen Real. "Ich wollte eine Mannschaft, die durchs Feuer geht – und das haben wir heute getan", sagte Hecking am Mittwochabend. Beim Sieg im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League nahm Wolfsburg Reals Superstars Cristiano Ronaldo und Gareth Bale nahezu komplett aus dem Spiel. Für den Trainer war der Schlüssel zum Erfolg aber ein anderer. "Wir wollten Reals Mitte mit Kroos und Modric nicht zur Entfaltung kommen lassen – das ist uns eindrucksvoll gelungen."
Auch wenn sich Hecking normalerweise davor scheut, einzelne Spieler hervorzuheben, erhielt ein "Wolf" ein Extra-Lob. "Henrique war eine Waffe, er hat seine taktischen Vorgaben perfekt umgesetzt. Mit seiner Schnelligkeit war er für Marcelo ein Problem."
Wolfsburger glauben ans Halbfinale
Durch den Triumph wurde die Tür fürs Halbfinale schon etwas geöffnet, jetzt muss Wolfsburg nur noch durchgehen. "Mit dem 2:0 nehmen wir eine sehr gute Vorlage mit nach Madrid. Aber wir wissen auch, dass uns das Spiel im Bernabéu alles abverlangen wird und dass es ein ganz heißer Tanz werden wird. Wir haben jetzt eine realistische Chance und können uns am kommenden Dienstag hoffentlich darüber unterhalten, wie wir es geschafft haben, ins Halbfinale einzuziehen", bilanzierte Hecking. Der VfL wolle auch im Rückspiel mutig nach vorne spielen. "Ich traue uns dort ein Tor zu", sagte Manager Klaus Allofs. Für ein Weiterkommen bräuchte Real dann schon mindestens vier Tore. "Das wird dann schon schwer", so Allofs.
Naldo überragt bei Blitz-Comeback
Nach seinem starken unf vor allem überraschenden Blitz-Comeback kam Wolfsburgs Innenverteidiger Naldo aus dem Lachen gar nicht mehr heraus – und er hatte sogar noch Zeit, sich anschließend als Dolmetscher für seinen Mannschaftskollegen Bruno Henrique zu betätigen. Nur wenige Wochen nach seiner schweren Schulterverletzung kehrte Naldo beim Erfolg gegen Real auf den Platz zurück – und wie!
Der Deutsch-Brasilianer war einer der Garanten für den Sieg der Niedersachsen. Ronaldo und Co. fanden in Naldo ihren Meister. „Mein Gefühl ist super. Dass ich nach nur fünf Wochen wieder auf dem Platz stehe, war sehr wichtig“, sagte der 33-Jährige, bei dem nach einer Schultereckgelenks-Sprengung Ende Februar eigentlich schon das Saison-Aus befürchtet worden war. Am Mittwoch fiel die Entscheidung über einen Einsatz erst wenige Stunden vor dem Anpfiff.
„Es geht um die Grundeinstellung nach so einer Verletzung. Ob er sich zutraut, in die Zweikämpfe zu gehen. Trotzdem hast du auch eine Fürsorgepflicht gegenüber deinem Spieler“, sagte Trainer Dieter Hecking. Letztendlich habe auch die medizinische Abteilung dann ihr Grünes Licht gegeben, Hecking stellte ihn auf: „Das war die richtige Entscheidung.“
„Ich habe ihn gefragt, ob er sich das wirklich zutraut“, verriet Hecking und betonte: „Es geht um die Grundeinstellung nach so einer Verletzung.“ Und der Brasilianer hatte dem Coach geantwortet: „Ich habe keine Angst wegen meiner Schulter.“
Nach dem bisher größten internationalen Erfolg der Vereinsgeschichte konnte Naldo vergnügt sagen: „Es hat sich sehr gut angefühlt.“ Und er lobte die Leistung des ganzen Teams als „sensationell“.
Auch De Bruyne glücklich
Der ehemalige Wolfsburger Kevin De Bruyne freut sich ebenfalls über den Erfolg der Wölfe. Auf twitter postete der belgische Nationalspieler:
Übersetz heißt das in etwa: „Ich freue mich für jeden in Wolfsburg, großes Resultat.“ Der Offensivspieler hatte am Mittwoch gleich doppelt Grund zur Freude. Mit Manchester City erspielte er sich mit dem 2:2 (1:1) bei Paris St. Germain eine glänzende Ausgangslage für das Rückspiel. Der Offensivspieler, der im vergangenen Sommer für rund 75 Millionen Euro vom Bundesligisten nach England wechselte, erzielte das zwischenzeitliche 1:0 für die Citizens.
Real gibt sich trotz Blamage kämpferisch
Trotz des schwachen Auftritts und der verdienten Pleite beim krassen Außenseiter denkt bei Real Madrid niemand an ein Scheitern im Viertelfinale der Champions League. „So eine Niederlage tut weh. Ein 0:2 haben wir nicht erwartet“, sagte Real-Trainer Zinédine Zidane: „Trotz allem bin ich stolz auf mein Team. Wir haben noch die Chance, das Ergebnis zu drehen.“
Auch Offensivstar Gareth Bale hegte keine Zweifel, dass die Königlichen im Rückspiel am kommenden Dienstag im heimischen Bernabeu das frühe Aus abwenden werden. „Wir wissen, dass es kein gutes Ergebnis ist, und vielleicht war es auch keine gute Leistung,“ sagte der Waliser, „aber wir wissen auch, dass wir noch Zeit haben, um weiterzukommen.“
Superstar Ronaldo wollte sich nach dem Spiel nicht äußern, als er mit starrem Blick eine Viertelstunde vor Mitternacht durch die Interview-Zone stolzierte. Auch der Portugiese erwischte am Mittwoch einen rabenschwarzen Abend. Mit seinen Dribblings blieb er oft in der VfL-Abwehr hängen, seine Sprints zog er oft vergeblich an. Seine Teamkollegen waren jedoch nicht besser, auch der deutsche Weltmeister Toni Kroos nicht.
Muss Zidane um seinen Job bangen?
Der Leistungseinbruch des spanischen Rekordmeisters nur vier Tage nach dem überzeugenden 2:1-Prestigesieg im Clásico bei Erzrivale FC Barcelona erklärte Zidane mit der fehlenden Einstellung zu Spielbeginn. „Das passiert, wenn man nicht vom Start weg mit der notwendigen Intensität spielt“, sagte der Franzose, der bei einem Viertelfinal-Aus seinen Job verlieren könnte: „Ich habe die Gesamtverantwortung. Ich muss jetzt die Gründe und Lösungen finden.“
wal/sid/dpa