Berlin/Hamburg. Damaliger DFB-Generalsekretär Schmidt wusste schon 2000 vom Schreiben an Warner. Kanzlerin fordert “transparente Aufklärung“.

Der zurückgetretene DFB-Präsident Wolfgang Niersbach soll laut verschiedener Medien schon länger von dem ominösen Vertragsentwurf zwischen Franz Beckenbauer und Jack Warner gewusst haben. Neben Niersbach soll auch der amtierende Generalsekretär Helmut Sandrock von Stellvertreter Stefan Hans über das Schreiben informiert worden sein, berichtet die „SZ“. Niersbach hatte jegliches Wissen um einen Bestechungsversuch bei der Vergabe zur WM 2006 abgestritten.

Grindel am Montag in Frankfurt kurz vor Niersbachs Rücktritts-Bekanntgabe
Grindel am Montag in Frankfurt kurz vor Niersbachs Rücktritts-Bekanntgabe © Witters

Unterdessen ist der Machtkampf um die Niersbach-Nachfolge voll entbrannt. Schon vor den wegweisenden Treffen der Gremien kommende Woche wird hinter den Kulissen mit allen Tricks gearbeitet. Die Landesverbände schieben DFB-Schatzmeister Reinhard Grindel in die Favoritenrolle, zudem fordern die Amateure eine schnelle Lösung – die Liga pocht aber weiter auf ergebnisoffene Diskussionen über den Zeitplan. Auch die Frage Ehren- oder Hauptamt ist umstritten. In der größten Krise des DFB droht ein zähes Ringen um die notwendige personelle und strukturelle Neuausrichtung.

Als erster Landeschef preschte der frühere DFB-Vize Karl Rothmund nach vorne und überraschte mit der Aussage, dass der ebenfalls hoch gehandelte Interimschef Rainer Koch nicht für den dauerhaften Chefposten kandidieren werde. Koch unterstütze vielmehr Grindel: „Das weiß ich seit zwei Tagen und das wissen viele seit zwei Tagen.“

Mögliche Kandidaten fürs DFB-Präsidentenamt

Rainer Koch

Der Vize-Präsident des DFB hat Ambitionen auf die Niersbach-Nachfolge - und als Chef des Süddeutschen Fußball-Verbandes eine starke Hausmacht im Rücken. Der Jurist hat seit Jahren großen Einfluss im Verband, wäre ein starker Kandidat der Amateurbasis und brachte sich am Montag mit starken Aussagen in Richtung Franz Beckenbauer bereits in Position.

Reinhard Rauball

Der Ligapräsident und Chef von Borussia Dortmund genießt einen exzellenten Ruf und ist vom Führungsstil durch und durch präsidiabel. Er wäre - Stand jetzt - aber nur ein Übergangskandidat für eine Amtszeit, da er mit 68 Jahren kurz vor der DFB-Altersgrenze (70) steht.

Reinhard Grindel

Der CDU-Bundestagsabgeordnete gehört seit zwei Jahren als Schatzmeister zum DFB-Führungszirkel. Als Nachfolger von Horst R. Schmidt hat er sich in der DFB-Zentrale schnell etabliert. Wie Niersbach arbeitete er früher als Journalist. Zu klären wäre, ob er wegen der FIFA-Statuten seinen Politiker-Job aufgeben müsste.

Helmut Sandrock

Der frühere Junioren-Nationalspieler und Vorstandschef des MSV Duisburg rückte als Nachfolger von Niersbach auf den Posten des DFB-Generalsekretärs. Den Job verrichtet er eher im Hintergrund als im Scheinwerferlicht. Eher unwahrscheinlich.

Heribert Bruchhagen

Außenseiterkandidat. Früher Manager des FC Schalke 04 und Hamburger SV, aktuell seit fast zwölf Jahren Vorstandschef von Eintracht Frankfurt: Der Ex-Geschäftsführer der DFL ist bestens vernetzt. Wird nach dieser Saison bei der Eintracht aufhören und wäre damit zumindest als Übergangslösung frei. Hat eine Kandidatur zuletzt aber ausgeschlossen.

Oliver Bierhoff

Der prominenteste Name. Seit über elf Jahren Teammanager der Nationalmannschaft und wichtigster Mitarbeiter von Weltmeister-Trainer Joachim Löw. Der Europameister von 1996 ist sehr gut vernetzt im Profibereich und bei Sponsoren. Und der 47-Jährige ist ein Medienprofi. Für die einflussreiche Amateurbasis ist er aber nur schwer vermittelbar. Zudem wiegelt er selbst (noch) ab.

Wolfgang Niersbach

Der Gedanke klingt im Lichte des Rücktritts absurd. Aber auszuschließen ist nichts. Sollte der Ex-Präsident bei allen Ermittlungen reingewaschen werden, ist ein Comeback nicht grundsätzlich auszuschließen. Mit seiner Demission hat er nicht an Kredit verspielt und von vielen Wegbegleitern sogar Respekt gewonnen. Bedingung wäre aber ein Freibrief durch die Staatsanwaltschaft.

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Unter der Hand bestätigen mehrere Landesfürsten ihre Präferenz für den gebürtigen Hamburger Grindel, zeigen sich aber ungehalten über Rothmunds Offenbarung.

Am Rande des heutigen Länderspiels gegen Frankreich wollen Koch, Co-Interimschef Reinhard Rauball, Grindel und DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock das weitere Vorgehen besprechen .

Abendblatt.de hält Sie auch am Freitag über den DFB auf dem Laufenden:

Die Chronologie des WM-Skandals

16. Oktober

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) räumt in einer Pressemitteilung Ungereimtheiten rund um eine Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro an den Weltverband Fifa ein.

16. Oktober

„Der Spiegel“ berichtet, dass für den Zuschlag der Fußball-WM 2006 Geld aus einer schwarzen Kasse des Bewerbungskomitees geflossen sei, um damit vier entscheidende Stimmen im Fifa-Exekutivkomitee zu kaufen. Das Geld soll von Ex-Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus gekommen sein.

17. Oktober

Erstmals äußert sich DFB-Präsident Wolfgang Niersbach: „Ich kann versichern, dass es (...) definitiv keine schwarzen Kassen beim DFB, dem Bewerbungskomitee oder dem Organisationskomitee gegeben hat.“

18. Oktober

Franz Beckenbauer meldet sich zu Wort und dementiert den „Spiegel“-Bericht: „Ich habe niemandem Geld zukommen lassen, um Stimmen für die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland zu akquirieren. Und ich bin sicher, dass dies auch kein anderes Mitglied des Bewerbungskomitees getan hat.“

19. Oktober

Die Staatsanwaltschaft prüft einen Anfangsverdacht für ein Ermittlungsverfahren. Mögliche Tatbestände: Betrug, Untreue, Korruption.

19. Oktober

Niersbach weist die Korruptionsvorwürfe erneut zurück, räumt aber „den einen offenen Punkt“ ein: „Dass man die Frage stellen muss, (...) wofür diese Überweisungen der 6,7 Millionen verwendet wurden.“

21. Oktober

Die DFB-Landesverbände fordern von Niersbach eine schnelle Aufklärung der Vorwürfe.

22. Oktober

Niersbach tritt in Frankfurt sichtlich erschöpft vor die Presse und bringt nur wenig Licht ins Dunkel.

23. Oktober

Das DFB-Präsidium stärkt Niersbach den Rücken.

23. Oktober

Zwanziger bezichtigt Niersbach der Lüge und berichtet im „Spiegel“ von der mutmaßlichen Existenz einer schwarzen Kasse „in der deutschen WM-Bewerbung“. Es sei „ebenso klar, dass der heutige Präsident des DFB davon nicht erst seit ein paar Wochen weiß, wie er behauptet, sondern schon seit mindestens 2005“.

26. Oktober

Beckenbauer räumt in der Affäre erstmals einen „Fehler“ ein: Das Organisationskomitee hätte nicht auf einen Vorschlag der Fifa-Finanzkommission eingehen dürfen, um einen Finanzzuschuss zu bekommen.

3. November

Die Staatsanwaltschaft führt beim DFB eine Steuerrazzia durch. Zudem durchsucht sie die Wohnungen von Niersbach, Zwanziger und Ex-DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt. Der Verdacht: Steuerhinterziehung in einem schweren Fall.

6. November

„Der Spiegel“ veröffentlicht angeblich von Niersbach stammende handschriftliche Notizen auf einem Schreiben des WM-OK an die Fifa aus dem Jahr 2004. Diese sollen belegen, dass er nicht erst 2015 von den Vorgängen Kenntnis hatte.

9. November

Am Nachmittag trifft sich das DFB-Präsidium zu einer Sitzung mit Niersbach. Der 64-Jährige erklärt seinen Rücktritt.

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Hessen-Minister stellt Forderungen

16.12 Uhr: Hessens Innenminister Peter Beuth fordert den DFB zu einer lückenlosen Aufklärung der WM-Affäre auch über die strafrechtlichen Belange hinaus auf. „Der DFB muss reinen Tisch machen. Im Sinne der Integrität des Sports dürfen strafrechtliche Verjährungsfristen bei der Aufklärung keine Rolle spielen“, sagte der CDU-Politiker auf der Sportministerkonferenz der Länder (SMK) in Köln.

Beuth betonte, dass der DFB als größter nationaler Sportverband eine große gesellschaftliche Verantwortung trage und durch die Erfolge der Nationalmannschaft auch großes internationales Ansehen genieße. Zu dieser Verantwortung und zur Vorbildfunktion gehöre auch die Pflicht, Fehler einzugestehen, kommentierte Beuth.

Horst R. Schmidt kannte Beckenbauer-Vertrag

14.36 Uhr: Der frühere DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt hat seine frühzeitige Kenntnis von dem dubiosen Vertrag zwischen Franz Beckenbauer und dem früheren Fifa-Vize Jack Warner eingeräumt. „Ich kann bestätigen, das Papier im Jahr 2000 gesehen zu haben. Und ich glaube auch, dass ich nicht der einzige war, der es gesehen hat“, sagte Schmidt der „Bild“-Zeitung.

In dem von Beckenbauer unterzeichneten Schreiben wurden dem inzwischen wegen Korruption gesperrten Warner vier Tage vor der Vergabe der WM 2006 Vorteile zugesichert. Schmidt wies darauf hin, dass er sich 15 Jahre danach nicht mehr exakt an die Inhalte des Schreibens erinnern könne.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuvor berichtet, mehrere DFB-Spitzenfunktionäre seien bereits im Jahr 2000 über das brisante Dokument informiert gewesen. Dies belege auch ein Aktenvermerk vom August 2000, der nun bei den Ermittlungen der externen DFB-Prüfer von der Kanzlei Freshfields gefunden worden sei. Dies lege den Verdacht nahe, dass die frühere Verbandsspitze den Fall habe vertuschen wollen, heißt es in dem Bericht. Es ist unklar, ob der Vertrag zwischen Beckenbauer und Warner jemals wirksam wurde.

Merkel fordert von DFB "transparente Aufklärung"

13.59 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet eine offene Aufarbeitung des Skandals um die WM-Vergabe. Sie hoffe, „dass der Deutsche Fußball-Bund alles transparent aufklärt, was geschehen ist“, sagte die CDU-Politikerin bei einer Pressekonferenz mit dem australischen Premierminister Malcolm Turnbull in Berlin. Mit Blick auf das damalige Sommermärchen mit einer besonderen Stimmung in Deutschland betonte die Kanzlerin: „Die Erinnerungen sind unveränderbar.“

Urteil gegen Spanier macht Beckenbauer Hoffnung

12.18 Uhr: Fifa-Vizepräsident Angel Maria Villar Llona ist von der Ethik-Kommission des Weltverbands verwarnt und mit einer Geldstrafe belegt worden. Der Chef des spanischen Fußballverbands und Vizepräsident der Uefa kam damit milder davon als Franz Beckenbauer, der für das gleiche Vergehen im WM-Sommer 2014 vorübergehend für alle Fußball-Aktivitäten gesperrt worden war. Villar Llona muss laut der Mitteilung vom Freitag 25.000 Schweizer Franken (rund 23.000 Euro) zahlen, weil er den Fifa-Ermittlern zunächst keine Aussage zur umstrittenen Vergabe der WM 2018 und 2022 an Russland und Katar lieferte.

Später habe Villar Llona jedoch seine Bereitschaft zur Kooperation in der Untersuchung gezeigt, begründeten die unabhängigen Fifa-Ethiker ihr Urteil. Im Fall Beckenbauer steht die endgültige Entscheidung der Kammer noch aus. Er hatte zunächst eine Aussage in der Affäre verweigert und dies mit Verständnisschwierigkeiten der auf „Juristen-Englisch“ formulierten Fragen begründet. Seine Sperre wurde aufgehoben, nachdem er die Aussage nachreichte. Da er von den Fifa-Ethikern nur noch wegen mangelnder Zusammenarbeit angeklagt ist, darf er ebenfalls auf eine milde Strafe hoffen.

Zudem sperrte die Ethikkommission am Freitag den Vizepräsidenten und den Generalsekretär des kongolesischen Fußballverbands, Jean Guy Blaise Mayolas und Badji Mombo Wantete, für sechs Monate. Ihnen wird Korruption vorgeworfen.

Die Sperren der Fifa-Ethikkommission

17. November 2010

Amos Adamu (drei Jahre), Reynald Temarii (ein Jahr, Geldstrafe in Höhe von 4500 Euro)

17. Dezember 2012: Mohamed bin Hammam (lebenslang)

30. April 2013: Vernon Manilal Fernando (erst acht Jahre, danach lebenslang),

13. Juni 2014

Franz Beckenbauer (provisorische 90-Tage-Sperre, widerrufen am 27. Juni 2014)

15. Oktober 2014

Ganbold Buyannemekh (fünf Jahre)

4. November 2014

Ganesh Thapa (provisorische 120-Tage-Sperre, verlängert um 90 Tage am 20. März 2015)

10. November 2014

Edmond Bowen (drei Jahre)

27. November 2014

Alberto Colaco (drei Jahre)

12. Mai 2015

Reynald Temarii (acht Jahre)

27. Mai 2015

Jeffrey Webb, Eduardo Li, Julio Rocha, Costas Takkas, Jack Warner, Eugenio Figueredo, Rafael Esquivel, José Maria Marin, Nicolás Leoz, Daryll Warner, Chuck Blazer (alle provisorisch bis auf Weiteres gesperrt)

28. Mai 2015

Aaron Davidson (provisorisch bis auf Weiteres gesperrt)

1. Juni 2015

Enrique Sanz, Jean Guy Blaise Mayolas, Badji Mombo Wantete (alle provisorisch bis auf Weiteres gesperrt)

6. Juli 2015

Harold Mayne-Nicholls (sieben Jahre)

9. Juli 2015

Chuck Blazer (lebenslang)

29. September 2015

Jack Warner (lebenslang)

8. Oktober 2015

Joseph S. Blatter (provisorisch für 90 Tage)Michel Platini (provisorisch für 90 Tage gesperrt)Jerome Valcke (provisorisch für 90 Tage gesperrt)Chung Mong-Joon (sechs Jahre plus 100.000 Schweizer Franken Geldstrafe)


 

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Externe Ermittler prüfen Vorwürfe gegen Niersbach

8.49 Uhr: Die neuen Vorwürfe gegen Niersbach sollen von den externen DFB-Ermittlern aufgeklärt werden. „Das kann ich sicher sagen, dass auch dieser Vorgang in die Untersuchungen der Kanzlei Freshfields einfließen wird“, sagte Ligapräsident Reinhard Rauball, der derzeit den DFB interimsweise gemeinsam mit Rainer Koch führt, im ZDF-„Morgenmagazin“. Zuvor hatten der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, Niersbach habe schon deutlich früher von einem dubiosen Deal zwischen Franz Beckenbauer und dem korrupten Fifa-Vizepräsidenten Jack Warner gewusst.