Gladbachs Christoph Kramer sorgt mit einem Eigentor aus 44,5 Metern für Dortmunder Glücksgefühle. „Als der Ball den Fuß verlassen hat, habe ich schon gedacht: Scheiße“, sagte der Unglücksrabe.

Dortmund. Christoph Kramer stand nach dem Spiel für eine kleine Ewigkeit neben dem Feld. Der Gladbacher blickte ins Leere, während ein paar Meter von ihm entfernt Dortmunds Trainer Jürgen Klopp erleichtert durch seinen Drei-Vier-Fünf-Tage-Bart lächelte wie schon länger nicht mehr und in Richtung der Tribüne ein riesiges Herz auf seine linke Brust malte. Für ihn, für die Borussia aus Dortmund und seine Fußballer war es doch noch ein guter Sonntagabend geworden: Mit 1:0 hatte der BVB dieses Spiel gegen Borussia Mönchengladbach gewonnen.

Es war der erste Sieg nach fünf Niederlagen in Serie, die den erfolgsverwöhnten Klub bedrohlich ans Tabellenende gespült hatte. Nun könnte die Wende zum Guten vollbracht sein. Und es ist aus mehrerlei Hinsicht eine irrwitzige Pointe, dass dazu ein bizarres Eigentor nötig war, das in die Geschichte der Bundesliga eingehen wird. Schütze dieses Eigentors: Christoph Kramer. Der Tor des Jahres. Kein TV-Rückblick wird auf diese Szene verzichten.

„Als der Ball den Fuß verlassen hat, habe ich schon gedacht: Scheiße“, sagte Kramer und ergänzte bei beim Pay-TV-Sender Sky: „Die Dortmunder können sich bei mir bedanken und ich muss mich bei den Gladbachern entschuldigen. Ich weiß nicht, ob schon mal jemand so ein Eigentor geschossen hat. Aber das kann passieren, das ist menschlich.“

Und während Kramer einem Häuchen Elend glich, pustete Dortmunds Trainer Jürgen Klopp nach dem Schlusspfiff erst einmal kräftig durch und startete einen Jubellauf zur Bank. Auf dem Spielfeld tröstete der Dortmunder Trainer zunächst den nun schon wieder gequält lächelnden Kramer, ehe er mit seinen Spielern den erlösenden ersten Sieg nach fünf Niederlagen vor der Südkurve feierte. Vor dem Anpfiff war der BVB zwischenzeitlich auf den letzten Platz abgerutscht, nun sprang er wieder auf Rang 15 aus der Abstiegszone.

Für die Gladbacher endete damit eine bemerkenswerte Serie. Nach dem Vereinsrekord von 18 Pflichtspielen ohne Niederlage verließ das Team von Coach Lucien Favre den Platz erstmals seit einem halben Jahr wieder als Verlierer. Kramer lobte die Leistung der Dortmunder und schob die Niederlage nicht allein auf sein Pech: „Sie haben uns alle unserer Stärken beraubt. Sie waren super vorbereitet, haben uns super zugestellt.“

Dortmund drückend überlegen

58 Minuten lang hatte Dortmund einen imposanten Auftritt hingelegt, hatte sich Chancen herausgespielt. Marco Reus schoss zunächst nach etwas mehr als 60 Sekunden freistehend neben das Tor, dann auf Vorlage von Henrikh Mkhitaryan nur an den Pfosten (9. Minute). Lukasz Piszczek jagte den Ball nach einem feinen Pass von Mkhitaryan ins Nirgendwo (29.). In der Rolle des Vollstreckers war dem armenischen Mittelfeldspieler aber auch nicht viel mehr Glück beschieden: Mit dem Außenrist vergab Mkhitaryan eine weitere Großchance. ---

Dreizehn zu null Torschüsse hatte der BVB in den ersten 45 Minuten produziert, aber keinen Treffer gegen die von Abwehrchef Martin Stranzl zusammengehaltene Verteidigung der Gladbacher erzielt. Nichts bewegte sich auf der Anzeigetafel, nur die Zeit rann dahin, was blanke Dortmunder Verzweiflung zu erwachsen lassen drohte. Doch dann kam Kramer. Gladbachs Weltmeister einen Rückpass spielen auf seinen Torwart und den Ball anlupfen, damit er über einen im Wege stehenden Dortmunder hinwegflöge. Der Ball flog sicher über den Dortmunder, aber auch über seinen Keeper Yann Sommer hinein ins Tor (58.). Es war – das wäre eine etwas boshafte Randnotiz – der erste Gladbacher Torschuss. Dass Reus wenige Sekunden später mit einem Lattenschuss die Entscheidung vergab, mochte später niemanden mehr stören. Außer vielleicht Christoph Kramer. ---

„Ich dachte, dass der Ball mehr springt“, erklärt er seinen skurrilen Treffer, versuchte die Geschehnisse aber schnell abzuhaken: „Das kann passieren. Mich ärgert viel mehr, dass ich so eine Grütze gespielt habe. Nun können sich die Dortmunder bei mir bedanken und ich muss mich bei meinen Kollegen entschuldigen. Dann ist der Abend gegessen.“ Doch aus Dortmunder Sicht stimmt das so wohl nicht. Dazu schwappten zuviel schwarz-gelbe Glückshormone durch das Stadion. Ausgerechnet der Gegner könnte Dortmund in diese so vermaledeite Saison geholfen haben. „Hätte Gladbach nicht das Tor gemacht, ich fürchte wir hätten es nicht gemacht“, meinte Jürgen Klopp weit nach dem Schlusspfiff und wirkte noch immer als sei er von unglaublichen Lasten befreit. „Natürlich bin ich erleichtert. Endlich haben wir eine zweistellige Punktzahl, so verrückt das klingt“, meinte Klopp, der dieses Tor von Kramer nicht vergessen wird. „Ungewollt wird er einen Platz in unserer Geschichte behalten. Wir haben die Krise noch nicht überwunden, aber wenn dieses verrückte Tor der Dosenöffner für die Zukunft gewesen sein sollte, dann nehme ich das so mit – und werde diese Anekdote sicher noch im Alter erzählen.“ Es war eben ein Abend für die Ewigkeit.

Statistik

Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Sokratis (84. Ginter), Durm - Sven Bender, Kehl - Mchitarjan, Kagawa (73. Großkreutz), Reus (89. Immobile) - Aubameyang. - Trainer: Klopp

Mönchengladbach: Sommer - Korb, Stranzl, Jantschke, Dominguez - Kramer, Nordtveit (46. Wendt) - Hahn, Herrmann (75. Traore) - Raffael (65. Hazard), Max Kruse. - Trainer: Favre

Schiedsrichter: Felix Brych (München)

Tore: 1:0 Kramer (58., Eigentor)

Zuschauer: 80.667 (ausverkauft)

Beste Spieler: Bender, Reus - Sommer, Stranzl

Gelbe Karten: Durm, Sokratis (5), Immobile - Nordtveit, Kramer (3)

Erweiterte Statistik (Quelle: deltatre):

Torschüsse: 22:1

Ecken: 7:0

Ballbesitz: 52:48 %