„Wir haben Großes vor“: Thomas Müller schießt Deutschland zum 1:0 gegen die USA. Schon 1974 entschied Gerd Müllers Tor des Tages das Frankfurter Regenduell gegen Polen. Gegner im Achtelfinale ist am Montag Algerien.

Recife. Nach dem Schlusspfiff dauerte es nur wenige Sekunden, ehe sich Deutschlands Bundestrainer Joachim Löw und US-Coach Jürgen Klinsmann, beide pitschnass, in den Armen lagen. „Seid ihr auch weiter?“, fragte Löw seinen langjährigen Freund, der die Frage trotz des 0:1 gegen Deutschland mit einem typischen Klinsmann-Grinsen und erhobenem Daumen beantwortete. Wenig später gab es dann auch für die Zuschauer die Gewissheit, als Portugals 2:1-Sieg gegen Ghana im Parallelspiel auf der Videoleinwand eingeblendet wurde. Deutschland war Erster, die USA Zweiter – und die erhoffte deutsch-amerikanische Party in Recife konnte beginnen.

Dabei war die gemeinsame Feier nach dem Spiel noch anderthalb Stunden vor Beginn ernsthaft in Gefahr gewesen. Nach überraschend heftigen Regengüssen in den vergangenen Tagen entschied die Fifa erst 90 Minuten vor dem Anpfiff, dass das „Freundschaftsspiel“ zwischen Löw und Klinsmann pünktlich stattfinden könnte.

Für viele der 46.500 Fans fiel die Anfangsphase indes buchstäblich ins Wasser. Ganze Stadtteile und alle Zufahrtsstraßen waren nach den rekordverdächtigen Niederschlägen – über 50 Liter pro Quadratmeter in der Nacht zum Donnerstag – überflutet. Ein Verkehrschaos rund um die Arena Pernambuco war die logische Folge.

Alles andere als chaotisch war es dagegen, was Löws Mannschaft zunächst ablieferte. Die gegen Ghana in der Schlussphase fehlende Ordnung war von der ersten Minute an wieder da. Und auch von einem transatlantischen Nichtangriffspakt, den sich viele US-Amerikaner angesichts der Tabellensituation erhofft hatten, war rein gar nichts zu sehen.

Besonders Toni Kroos, der wiedererstarkte Philipp Lahm und „Neuling“ Bastian Schweinsteiger brillierten im zentralen Mittelfeld. In der Dreierreihe davor lauerten Mesut Özil, Thomas Müller und überraschend auch Lukas Podolski auf ihre Chancen. Der Londoner ersetzte zunächst den Ghana-Torschützen Mario Götze, fiel aber im Vergleich zu seinen Kollegen deutlich ab. „Lukas hat keine Bindung gefunden, deshalb musste ich zur Pause wechseln“, sagte Löw.

Amerikanische Aktivitäten waren dagegen nur vor der eigenen Bank zu erkennen. Während sein früherer Co-Trainer Löw meist den Schutz vor dem strömenden Regen unter dem Plastikdach suchte, versuchte Wahl-Kalifornier Klinsmann von seiner Coaching-Zone aus aktiv in das aus seiner Sicht zunächst nicht optimale Spielgeschehen einzugreifen. Er schrie, klatschte, feuerte an – Löw lehnte sich zurück.

Erst Mitte der ersten Halbzeit schafften es die US-Boys, sich langsam, aber sicher auf das dominante Ballbesitzspiel der Deutschen einzustellen. Denn anders als von dem Schwaben angekündigt, spielte seine leidenschaftlich verteidigende Mannschaft nicht auf Angriff, sondern versuchte aus einer dicht gestaffelten Abwehr mit schnellen Kontern zum Erfolg zu kommen. Es blieb im ersten Durchgang allerdings bei einer einzigen Torchance durch Graham Zusi (22.) – und beim nicht enden wollenden Regen.

Alle Fans sind jetzt da

Anders als beim Anpfiff der ersten Halbzeit waren zu Beginn der zweiten alle Fans auf ihren Plätzen. Und die Pünktlichkeit sollte belohnt werden. Thomas Müller brauchte nur zehn Minuten, um die theoretische Dominanz der ersten Halbzeit auch in eine ganz praktische Ergebnisdominanz zu verwandeln. Flanke Özil, Kopfball Mertesacker, gehalten von Howard, Abpraller Müller – Tor (55.). „Wir waren die ganz klar feldüberlegene Mannschaft. Wir haben Großes vor. Mit unserem Teamgeist und ein bisschen Glück können wir weit kommen“, sagte der Schütze.

Müllers neunter WM-Treffer im neunten WM-Spiel dürfte eigentlich niemanden im Stadion überrascht haben. Denn wer erzielte vor 40 Jahren das Tor des Tages bei der legendären Wasserschlacht in Frankfurt zwischen Deutschland und Polen? Gerd Müller.

Anders als am 3. Juli 1974, als dessen Treffer das Tor zum Finale und später sogar zum Titelgewinn öffnete, reichte Thomas Müllers Tor zur souveränen Qualifikation für das Achtelfinale am Montag (22 Uhr) in Porto Alegre. Allerdings gab es trotz dominanten Auftretens der DFB-Elf insgesamt zu wenig Höhepunkte, zu wenig Begeisterung. Deutschland zieht ins Achtelfinale ein – aber das erhoffte Ausrufezeichen blieb aus. Entsprechend sachlich fiel das Fazit von Innenverteidiger Mats Hummels aus: „Wir haben das Ding gewonnen, das war das einzig Relevante.“

Gegner im Achtelfinale ist am Montag (22 Uhr) in Porto Alegre Algerien, das am Donnerstag gegen Russland ein überraschendes 1:1 erreichte. Klinsmann trifft mit den USA am Dienstag in Salvador auf Belgien, den Ersten der Gruppe H. Ein erneutes Klinsmann-Löw-Treffen wäre am 13. Juli möglich. Im Endspiel im Maracana …

USA: Howard – Johnson, Gonzalez, Besler, Beasley – Beckerman, Jones – Zusi (84. Yedlin), Bradley, Davis (59. Bedoya) – Dempsey. Deutschland: Neuer – Jerome Boateng, Mertesacker, Hummels, Höwedes – Lahm, Schweinsteiger (76. Götze) – Özil (89. Schürrle), Kroos, Podolski (46. Klose) – Thomas Müller. Schiedsrichter: Ravshan Irmatow (Usbekistan). Tore: 0:1 Müller (55.). Zuschauer: 41.876. Gelbe Karten: Gonzalez, Beckerman/Höwedes.