Bastian Schweinsteiger könnte dem deutschen Mittelfeld gegen die USA wieder Stabilität verleihen. Löw lässt Entscheidung noch offen

Santo André. Natürlich ist auch Bastian Schweinsteiger ein Hausmeister. Allein das mittlerweile graue Haar an den Schläfen prädestiniert ihn dafür, einer der Wohngemeinschaften, in denen die deutschen Fußballer in ihrem Mannschaftsquartier in Santo André hausen, in verantwortlicher Weise vorzustehen. Ein bisschen ungewohnt wirkte das aber schon zuletzt, weil der Münchner damit im Gebäudewesen der Nationalmannschaft eine bedeutendere Rolle einnahm als in seiner ursprünglichen Rolle als Fußballer auf dem Platz. Einem wie Schweinsteiger passt so etwas nicht. Überhaupt nicht.

Der Profi des FC Bayern München ist hochdekoriert. Der 29-Jährige hat mit seinem Club mittlerweile alle bedeutsamen Titel dieses Planeten eingesammelt. Was ihm fehlt, ist der große Coup mit der Nationalmannschaft. Ein Makel, der ihn mit Bundestrainer Joachim Löw verbindet. Lange Zeit schien es, als hätte Löw sein Schicksal an das von Schweinsteiger gekettet. Es war unvorstellbar, in irgendeinem Spiel von Bedeutung auf Bastian Schweinsteiger verzichten zu können.

Der Bundestrainer adelte den Münchner als seinen „emotionalen Leader“, als einen Strategen und Anführer. Ein Ruf, den er sich vor allem während der Weltmeisterschaft vor vier Jahren in Südafrika erwarb, als er das Land mit seinem Spiel in einen schwarz-rot-goldenen Glückstaumel versetzte. Doch der Schweinsteiger von damals ist in der Nationalelf nur noch selten aufgetaucht.

Verletzungen warfen den zentralen Mittelfeldspieler zurück, immer und immer wieder. Ein malader Knöchel machte den WM-Helden von 2010 zum Sicherheitsrisiko der EM 2012. Auch vor dem jetzigen Turnier plagte sich Schweinsteiger mit Schmerzen, aber noch im Trainingslager in Südtirol signalisierte er: „Ich habe keine großen Schmerzen.“ Und: „Ich mache mir keine Sorgen.“ Löw hingegen schon. Seine Treue zum formschwachen Schweinsteiger bei der EM 2012 sorgte für Negativ-Schlagzeilen in Deutschland.

Bei dieser WM dürfe nur spielen, wer absolut fit ist, sagte Löw. Das sprach gegen Schweinsteiger. Aber auch gegen Khedira, der sich noch im November einen Kreuzbandriss zugezogen hatte. Aber Khedira spielte. Und Schweinsteiger war plötzlich auf das Abstellgleis manövriert. Reservist gegen Portugal, Reservist gegen Ghana. So wäre es wohl geblieben, wenn nicht Deutschland am vergangenen Sonnabend die erstaunlichen Auswüchse dieser WM am eigenen Leibe erfahren hätte.

Dieses Turnier ist ein Graus für Trainer. Sie ersinnen taktische Konzepte, um das Spiel beherrschbar zu machen. Doch in der zum Teil tropischen Hitze Brasiliens wirken manche Teams ab der 60. Minute teilweise wie betäubt. Sie verlieren die Kontrolle über sich und das Spiel und werden plötzlich zermalmt wie das erbarmungswürdige Spanien gegen Holland (1:5), wie die Schweiz gegen Frankreich (2:5), wie Portugal gegen Deutschland (0:4).

Wie sich dieser Kontrollverlust anfühlt, wissen nach dem Ghana-Spiel auch die Deutschen: kein Taktieren, nur noch auf die Zwölf. „Diesen offenen Schlagabtausch wollten wir eigentlich verhindern“, sagt Khedira und wusste, dass dieses Vorhaben inmitten seines Refugiums bemerkenswert gescheitert war. Deutschland taumelte in der Dampfsauna Fortalezas bedenklich, weil das Mittelfeld-Trio mit Philipp Lahm, Toni Kroos und dem längst „an seine körperlichen Grenzen“ (Löw) stoßenden Sami Khedira überfordert war. Erst die Einwechslung von Schweinsteiger nach 70 Minuten befähigte die Mannschaft, in den Ringseilen hängend noch einige planvollere Schläge zu versuchen.

Die Debatte ist nun im Gange: Muss Lahm zurück auf die Rechtsverteidiger-Position versetzt werden? Soll dann Schweinsteiger übernehmen? Lahms Rolle wird „in der Mannschaft diskutiert“, offenbart Innenverteidiger Mats Hummels einen Blick ins Innere des Teams: „Aber wir haben keinen Favoriten auf irgendeiner Position. Philipp spielt herausragend, egal auf welcher Position.“ Ähnlich äußerte sich am Montag Löws Assistenztrainer Hansi Flick. „Philipp bleibt im Mittelfeld“, verfügte er mit Genehmigung des Chefs, „er macht seine Sache gut, gibt uns Ordnung und Gleichgewicht. Wir haben einen Plan und behalten die Ruhe.“

Bei Sami Khedira schwinden nach seiner Verletzungspause die Kräfte

Ruhe, die gegen Ghana allerdings abhandengekommen war. Erst Schweinsteiger sortierte das deutsche Spiel, verschaffte Kontrolle und half, aus einem 1:2 ein 2:2 zu machen. Wenngleich: Auch in seiner Anwesenheit kam Ghana zu absurd guten Konterchancen. Der Mann mit der Rückennummer sieben habe „der Mannschaft neue Impulse gebracht“, lobte Bundestrainer Löw seinen einstigen Chefstrategen, der nun am Donnerstag im finalen Duell um den schon fast sicheren Einzug ins Achtelfinale gegen die USA gute Chancen hat, von Beginn an dabei zu sein.

Khedira ging aus diesem epischen Duell mit den Afrikanern angeschlagen hervor, ohnehin schwinden seine Kräfte, auch wenn er wieder ins Training einsteigen soll. „Die Kraft wird von Spiel zu Spiel nicht mehr“, sagt er selbst. Festlegen mochte sich das Trainerteam in der Besetzungsfrage allerdings noch nicht. „Wir haben noch viele Trainingseinheiten. Aber wir sind froh, so viele Alternativen im Kader zu haben“, sagte Hansi Flick.

Die Frage, die sich Löw stellen dürfte, ist: Kann Schweinsteiger in der Mittagshitze von Recife über 90 Minuten Kontrolle und Spielfluss gewährleisten? Schweinsteiger könnte die Antwort wissen, aber er verrät sie nicht. Der Bayern-Star macht sich öffentlich rar. Nach dem Ghana-Spiel schob er sein Rollköfferchen stumm Richtung Mannschaftsbus.

Am Tag zuvor hatte die DFB-eigene Presseabteilung ein Bild von ihm am Strand bei Sonnenuntergang veröffentlichen lassen: rot das T-Shirt, grau die Schläfen, den Blick sehnsüchtig in die Ferne gerichtet. Er sah aus wie einer, der einem schönen Gedanken nachhängt. Brasilien ist Schweinsteigers wohl letzte Chance, sich den großen Traum vom WM-Triumph zu erfüllen. Eben nicht als Hausmeister, sondern als der Stratege, der er immer war.