Bundestrainer gesteht, dass der lange verletzte Real-Star gegen Ghana an seine körperlichen Grenzen gestoßen sei. Auch bei einem Ausfall von Boateng soll Lahm wohl weiter im Mittelfeld auflaufen.

Santo André/Fortaleza. Wirklich gut gelaunt war am Sonntag auf dem Trainingsplatz der Nationalmannschaft in Santo André eigentlich niemand. Joachim Löw schaute seinen Spielern zu, die sich die schweren Beine vom kräftezehrenden 2:2 gegen Ghana lockerten. Nach dem 4:0 gegen Portugal zum WM-Auftakt nun also nur ein Remis und dazu noch ein seltsames Spiel, das alte Fragen wieder aufwerfen dürfte. Der warme Tropenwind blies Löw ins Gesicht, und der Bundestrainer schaute nachdenklich drein.

Ein paar Stunden zuvor in den Katakomben des Estadio Castelao von Fortaleza war eine schöne Szene zu beobachten. Ein US-Reporter fragte Löw: „Wir haben heute den Fußball von seiner besten Seite gesehen. Es ging hoch und runter. Wie ist das eigentlich für Sie als Trainer: Lust oder eher Frust?“ Wunderbare Frage. Löw seufzte: „Von beidem ein bisschen. Für die Zuschauer war das sicher schön. Ich als Trainer hätte mir aber gewünscht, dass wir in einigen Situationen besser reagiert hätten.“ Das war natürlich völlig untertrieben. Löw war während der zweiten Halbzeit stinksauer, streifte durch seine Coaching-Zone wie ein Tiger im Zoogehege und kickte sogar einmal wütend den Ball weg, als es galt, ihn den Ghanaern zum Einwurf zu überlassen.

Seine Mannschaft habe etwas zu viele Konter zugelassen und die eigenen Chancen zu fahrlässig verspielt, sagte Löw, gab sich dabei aber betont gelassen. Löw weiß, dass es keinen Sinn hat, falsche Tatsachen vorzutäuschen. Jeder im Stadion hatte gesehen, welch unerwartete Probleme sein Team offenbarte. Aber der 54-Jährige hat auch gelernt, seine wahren Gefühle der Welt nicht immer zugänglich zu machen.

Fakt ist, dass die Ghanaer ihm und seinem Team vor allem in der zweiten Halbzeit ein Spiel aufzwangen, das völlig entgegen Löws Vorstellungen war. Löw will Spielkontrolle. Löw will eine stabile Abwehr und eine Offensive, die so lange durch des Gegners Reihen rotiert, bis der die Konzentration verliert.

Letzteres blieb im ersten Durchgang fast völlig aus, weil die Westafrikaner tief standen und die deutsche Auswahl bei drückender Hitze behäbig agierte. Verständlich war das allemal, hatte man doch schon beim Zuschauen auf den Tribünen einen schweißnassen Rücken. Auf dem Platz verlor Löws Team dazu aber im zweiten Durchgang auch nach dem eigenen Führungstreffer durch Mario Götze die Kontrolle in der Defensive und ließ sich von Ghana in einen offenen Schlagabtausch verwickeln, der auch dann nicht enden wollte, als der Ausgleich durch Miroslav Klose gelungen war.

„Ein bisschen Harakiri“ nannte es Toni Kroos und gab selbstkritisch zu: „Das ist nicht unser Spiel. Das ist nicht, was wir wollen. Wir hätten uns nicht darauf einlassen dürfen, denn das haben wir gar nicht nötig.“ Kapitän Philipp Lahm ärgerte sich über die fehlende Raumaufteilung und die hohe Fehlpassquote im Aufbauspiel. Er wirkte für seine Verhältnisse gegen Ghana selbst ungewohnt unsicher. Nach einem Abspielfehler von ihm fiel das 1:2. Und auch Lahm konnte nicht verhindern, dass sein Team gegen Ende des Spiels immer wieder in ghanaische Konter lief. „Wenn es hin und her geht, dann weil man taktisch nicht gut spielt“, sagte er und ließ das so stehen.

Jenes Spiel gegen Ghana wirft nun wieder dieselben Fragen auf, die eigentlich schon beantwortet schienen: Ist die Variante ohne echten Stürmer die richtige, wo doch erst durch die Hereinnahme Kloses der Ausgleich gelang? Ist es eine gute Entscheidung gewesen, sich auf den gerade erst wiedergenesenen Sami Khedira festzulegen und dafür das alte Schlachtross Bastian Schweinsteiger auf die Bank zu verweisen? Und ist Lahm im Mittelfeld wirksamer eingesetzt als auf der rechten Abwehrseite?

Löw hat versucht, diese Fragen im Keim zu ersticken. Einen echten Stürmer? „Klassische oder falsche Neun, das ist für mich kein großes Thema. Wir haben Spieler, die Tore machen“, sagte er. Auf Lahm angesprochen, verwies er auf die schwierigen Bodenverhältnisse: „Da können schon mal Abspielfehler passieren.“ An der Entscheidung, den Münchner ins Mittelfeld zu beordern, wird Löw nicht rütteln, auch wenn Jerome Boatengs Einsatz im letzten Gruppenspiel gegen die USA wegen einer Muskelverhärtung im linken Oberschenkelverletzung fraglich ist und sein Ersatzmann Shkodran Mustafi gegen Ghana eine erhebliche Mitschuld am ersten Gegentreffer trug.

Nur im Fall Khedira wischte Löw die Fragen nicht beiseite und befeuerte sogar noch die Debatte um die Fitness des 27-Jährigen: „Sami ist bei diesem Tempo an seine körperlichen Grenzen gekommen. Er musste extrem viel nach hinten arbeiten. Deswegen war es sehr schwer für ihn.“ Schweinsteiger, der für Khedira eingewechselt wurde, habe der Mannschaft „neue Impulse gegeben“, sagte Löw. Soll er nun Khediras Platz übernehmen? Vielleicht. Die Personalie könnte sich von allein regeln: Khedira zog sich am Sonnabend eine Innenbandzerrung im linken Knie zu, also nicht dem am Kreuzband operierten, und droht auszufallen. Zumindest Thomas Müller war wieder wohlauf, der in der Schlusssekunde mit einem Ghanaer zusammenrasselte und in der Kabine mit fünf Stichen genäht werden musste.

Löw hat nun das, was er eigentlich nicht wollte: Die Zweifel sind wieder leise zurückgekrochen, und nun kommt es am Donnerstag in Recife zum Endspiel um den Einzug ins Achtelfinale gegen die USA. Dort sitzt jemand auf der Trainerbank, der das deutsche Team bestens kennt: Jürgen Klinsmann. Der 49-Jährige hatte 2006 mit Löw als Assistent den deutschen Fußball nach Jahren der Tristesse wiederbelebt. Nun könnte er mit einem Sieg für neuerliche Tristesse sorgen. „Wenn wir wieder unsere Leistung abrufen wie im ersten Spiel, dann sehe ich keine Gefahr“, sagte Lahm. Dass dies gelingt, daran hat Kroos keinen Zweifel: „Wir sind stark“, sagte er. „Keine Sorge.“