Wie die Fans des FC Bayern und Trainer Guardiola an der Säbener Straße den Rückzug ihrer Clubikone erlebten. Hoeneß hat seine dreieinhalbjährige Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung akzeptiert und seine Ämter beim FC Bayern niedergelegt.

München. Als die für den FC Bayern so bewegende Nachricht kommt, ist alles rund um den Club voller Bier. Um zehn Uhr am Freitagvormittag lädt ein Lastwagenfahrer an dem Getränkemarkt ein Stück neben dem Vereinsgelände an der Säbener Straße in München-Harlaching Paletten voller Gerstensaft aus. Der Mann hat das Radio laufen und die Tür des Fahrerhauses offen, und aus den Lautsprechern dringt die Stimme eines Moderators. Er liest vor, was gerade auf den Smartphones der vor der Clubzentrale wartenden Menschen aufblinkt: Uli Hoeneß geht ins Gefängnis. Der bisherige Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende, der Macher des FC Bayern, die Überfigur des Weltclubs, verzichtet auf eine Revision und legt seine Ämter nieder.

Eine Ära ist zu Ende. Alles ist anders. Es ging ja kaum mehr anders, dass war seit der Urteilsverkündung am Donnerstag den meisten klar, und doch scheint es die Menschen hier jetzt sprachlos zu machen. Vor allem Hoeneß’ Verzicht auf die Revision überrascht. Der FC Bayern ohne seinen Uli. Und dieser Einschnitt auch noch an einem wunderbaren Tag: Sonne, 19 Grad, die Eisdielen im Stadtteil machen gutes Geschäft, Schüler ziehen beim Warten auf den Bus die Jacken aus. Die Fans können erst einmal nicht fassen, was an diesem Tag passiert. Und was es für die Zukunft des Clubs bedeutet.

Ein Mann mit Bierbauch kommt gerade aus dem Fanshop im Clubgebäude, er hat eingekauft und trägt ein Trikot des deutschen Rekordmeisters. „Der Uli“, sagt er, „hätte Präsident bleiben sollen. Er ist doch durch das Urteil schon genug gestraft.“ Ein Kamerateam interviewt ihn, und ein Bekannter des Mannes macht mit seinem Handy ein Foto von dem Szenario. Ist ja schließlich ein historischer Tag, irgendwie. Ein anderer Fan sagt: „Uli Hoeneß hat in seinem Leben immer selbst die Entscheidungen getroffen. Jetzt auch. Respekt!“

Die Säbener Straße liegt in einem beschaulichen Wohngebiet, ziemlich grün, zentral, aber nicht mittendrin in der Großstadt. Wenn Trainer Pep Guardiola ein Geheimtraining angeordnet hat, wie immer vor Spieltagen, geht es hier ruhiger zu als sonst. So auch an diesem Tag. Eltern setzen ihre Kinder ab, die in den Jugendmannschaften spielen und Training haben. Der Postbote kommt. An den Einfamilienhäusern neben den Trainingsplätzen klingelt der Bofrost-Mann. Ein paar Touristen posieren für Fotos vor dem Eingang, über dem das Logo des Vereins hängt.

„Heute kein öffentliches Training“ steht auf einem Schild, und natürlich sind trotzdem die TV-Übertragungswagen vorgefahren. Heute wird etwas passieren, da sind sich alle sicher: Journalisten, Fans, Clubmitarbeiter. Wahrscheinlich auch die Ordnungskraft, die schweigend den Eingang zur Tiefgarage bewacht, in den die Spieler später mit ihren Gelände- und Sportwagen fahren. Spannung liegt in der Luft – bis zu diesem Moment um zehn Uhr, als sich die Nachricht von der Hoeneß-Erklärung verbreitet.

Jeder muss das offensichtlich erst einmal sacken lassen. Ein paar Fans diskutieren, die anderen sind ganz still. Es sind eh nur etwa zehn da. Zwei Radfahrer fahren vorbei und lachen. Als wäre es ein Moment wieder jeder andere.

In den Büros im ersten Stock arbeitet die Presseabteilung an den Formulierungen für die Erklärung des Aufsichtsrats. 12:30 Uhr klickt jemand auf „Senden“, in den Redaktionen geht per E-Mail unter dem Betreff „Der Aufsichtsrat informiert“ die Nachricht ein, dass Adidas-Chef Herbert Hainer den Vorsitz des Gremiums von Hoeneß übernimmt und der bisherige Vize Karl Hopfner bis auf Weiteres Präsident des FC Bayern wird. In den Stunden danach trudeln nach und nach die Spieler und Trainer ein. Draußen, auf einer kleinen Mauer vor dem Gebäude, sitzen Fans mit Sonnenbrillen und genießen den Nachmittag. Einige rätseln, ob Hoeneß zumindest noch beim Finale der Champions League am 24. Mai in Freiheit sein könnte. Sie kommen zu dem Schluss, dass das wohl klappen könnte, sind sich aber nicht sicher. Einer sagt, er habe gelesen, dass es in der Justizvollzugsanstalt Landsberg kein Bezahlfernsehen gebe, Hoeneß die Spiele seiner Bayern dort also zumindest nicht live ansehen könnte.

15.41 Uhr geht Guardiola – elf Minuten verspätet – durch das Treppenhaus vom ersten Stock ins Erdgeschoss, um im Medienraum eine Pressekonferenz abzuhalten. Wie jeden Freitag, wie vor jedem Spiel. Sonnabend (18.30 Uhr)empfangen die Bayern den Tabellendritten Bayer Leverkusen, doch um das Sportliche geht es diesmal natürlich kaum. Hoeneß hat Guardiola verpflichtet, ist damals zu ihm nach New York geflogen, extra über Chicago, damit niemand Verdacht schöpft. „Er ist mein Freund. Und wird es lange bleiben“, hat Guardiola in der Vorwoche gesagt.

Was denkt er jetzt – nach dem Prozess – über Hoeneß? Guardiola sagt: „Das ist heute nicht einfach für mich. Ich bin erst neun Monate hier und habe dennoch gesehen und gespürt, wie wichtig Uli Hoeneß für den Club ist. Viele haben gesagt, sie können sich den Verein ohne Uli nicht vorstellen. Bayern ist einer der besten Clubs der Welt, ohne ihn wäre das nicht möglich. Er bleibt mein Freund, ist ein großer Mensch und verdient unseren Respekt.“ Es gelte nun für den FC Bayern weiterzumachen. Die Mannschaft müsse in der Lage sein, sich trotz dieses besonderen Tages auf die Partie gegen Leverkusen zu konzentrieren. „Uli will das so. Ich habe unglaublich mit ihm gearbeitet. Er wird in der nächsten Periode nicht da sein. Aber ich bin sicher, dass er zurückkommt.“ Dann geht Guardiola, er muss zum Training.

Draußen vor dem Gebäude läuft ein Mädchen, vielleicht fünf Jahre jung, mit einem etwa gleichaltrigen Jungen vorbei. „Der hatte soooo viel Geld. Und jetzt hat er betrogen“, sagt die Kleine, als sie auf das Clubgebäude blickt. Der Junge fragt: „Aber warum?“

Die beiden gehen wortlos weiter.