An diesem Freitag werden die WM-Gruppen ausgelost. Wer Pech hat, spielt im heißen und feuchten Amazonas-Gebiet

Costa do Sauípe. In Brasilien gibt es den legendären Begriff des „Jeito“. Immer wenn es schwierig oder heikel wird, etwas gar unmöglich erscheint, kommt er ins Spiel, der Jeito (gesprochen etwa: jschejhto), der so viel bedeutet wie Kniff, Trick oder Ausweg. Der Fußballweltverband Fifa weiß inzwischen sehr wohl, was das bedeutet, denn sie muss sich dem brasilianischen Jeito beugen. Zwar werden die noch fehlenden WM-Stadien fertig, aber wohl nicht Fifa-fristgerecht bis Ende Dezember, sondern erst im Januar oder Februar. Ein knappes halbes Jahr vor dem WM-Anpfiff lautet das Motto: „Nerven behalten“.

Das WM-Eröffnungsstadion in São Paulo wird nach dem tragischen Unfall mit zwei Toten und den entstandenen Schäden an der Dachkonstruktion wohl erst im April fertig. Kein Grund zu Beunruhigung: „Wir wissen, dass das Eröffnungsspiel auf jeden Fall in São Paulo stattfinden wird“, sagte Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke. Doch auch die anderen fünf noch im Bau befindlichen Stadien werden wohl teils wegen der dichten Agenda von Präsidentin Dilma Rousseff erst im Januar eröffnet. „Wir lassen alles für Januar, und ich glaube nicht, dass das eine große Differenz macht“, sagte Sportminister Aldo Rebelo der Sportzeitung „Lance!“. Dabei hatte die Fifa, allen voran Valcke, seit Monaten gepredigt, dass es diesmal keine Verlängerung geben werde. Schon die ersten sechs der insgesamt zwölf WM-Stadien wurden mit teils erheblicher Verspätung abgeliefert. Die sechs Arenen wurden bereits für die WM-Generalprobe, den Confederations Cup im Sommer, genutzt und hätten eigentlich im Dezember 2012 abgegeben werden müssen.

So weit die Theorie. Rios Maracanã-Stadion wurde mit monatelanger Verspätung fertig und erst im Juni rund zwei Wochen vor dem Confed-Cup-Start offiziell eröffnet.

„Brasilien empfängt die WM in Feststimmung“, betonte Rebelo vor der Auslosung der Gruppenspiele an diesem Freitag (17 Uhr/ARD) im Nobelbadeort Costa do Sauípe an der Küste des Bundesstaates Bahia. Er war es auch, der für das Zitat der Woche sorgte, als er mit Blick auf die Verzögerungen sagte: „Es ist wie bei einer Hochzeit. Ich habe noch nie eine Braut gesehen, die pünktlich da war, und trotzdem ist die Hochzeit nie geplatzt.“ In diesem Modell dürfte der Fifa wohl die Rolle des Bräutigams zukommen, dessen Geduld schon lange vor dem Weg zum Altar heftig auf die Probe gestellt wird.

Für besagte Feststimmung sorgte in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem die Seleção, Brasiliens Nationalmannschaft, die, beflügelt von Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari, von Sieg zu Sieg eilte und der Fußballnation den Traum vom sechsten Titel zurückgab. Felipão, also der „große Felipe“, hat nach dem Confed-Cup-Sieg und der fortdauernden Siegesserie seine Zurückhaltung längst aufgegeben: „Wir werden Weltmeister.“ So weit, so gut.

Auf den Straßen von Rio oder São Paulo ist die WM schon längst präsent. Das Gürteltier Fuleco, das WM-Maskottchen, lugt neugierig aus den Schaufenstern, die mit WM-Devotionalien gespickt sind. Trikots in Gelb-Grün, den Farben der Nationalelf, haben Hochkonjunktur. Mit der Auslosung beginnt umgehend die hektische Phase der finalen Planung. Für die Organisatoren, erst recht für die 32 Teams, aber auch und vor allem für die Fans.

Für gesetzte Teams wie Deutschland beginnt schon mit der Zulosung der Gruppe das Bangen. Gruppenkopf H1 darf sich zwischen den Spielorten Belo Horizonte, Rio de Janeiro und São Paulo (Distanz 698 km) auf kurze Wege freuen. Für D1 liegen zwischen Fortaleza, São Paulo und Natal 4697 Kilometer, fast siebenmal Luftlinie Hamburg–München. Und dabei sind die Zwischenstopps im Quartierort noch nicht eingerechnet. Der fragwürdige Titel „Reiseweltmeister der Vorrunde“ ist für Team 4 der Gruppe G reserviert, das 5607 Kilometer zwischen Natal, Manaus und Recife pendelt. Der Durchschnitt liegt bei 2850 Kilometer.

Das ist auch eine logistische Herausforderung. „Die Bedingungen können ständig wechseln, von Spielort zu Spielort, die Luftfeuchtigkeit kann extrem hoch sein. Die Reisezeiten, die Entfernungen, die Organisation sind ganz anders als in Europa“, betonte Bundestrainer Joachim Löw.

Nur nicht D, E oder G wird sich Löw zudem wünschen. Denn dies hieße tropische Hitze in Manaus. Im vergangenen Juni brachte es die Stadt am Amazonas auf 34 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 80 Prozent. Höchstleistung unter Extrembedingungen, vor allem für Team 4 aus der Gruppe E, das am 20. Juni in Curitiba im Süden Brasiliens (Tiefsttemperaturen im Juni 2013 um die 10 Grad) spielt und nur fünf Tage später im „Schwitzkasten“ der Arena Amazônia ranmuss.

Eine Odyssee auch für die Fans, für die von Sonntag bis zum 30. Januar 2014 auf der Fifa-Homepage die nächste Ticketverkaufsphase läuft.

Für die Auftritte der DFB-Elf haben deutsche Fans sogar über einen gesonderten Verkaufskanal Zugriff auf acht Prozent des Kartenkontingents des jeweiligen Spiels. Aber mit dem Ticket in der Hand hören die Probleme nicht auf. Die Suche nach Unterkunft und Flügen erfordert ebenfalls Geduld und eine gut gefüllte Reisekasse.