Thorsten Beyer brachte beim SC Vier- und Marschlande Martin Harnik und Max Kruse die Kunst des Fußballspiels bei. Im Interview erinnert er sich.

Hamburg. Sie sind Freunde, seit sie beim SC Vier- und Marschlande sieben Jahre in der Jugend zusammenspielten. Gemeinsam gingen sie 2005 zu Werder Bremen, heute spielt Max Kruse für Mönchengladbach, Martin Harnik beim VfB Stuttgart. Am Freitag kommt es beim WM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Österreich (20.45/ZDF) zum Wiedersehen. Thorsten Beyer wird ganz genau hinschauen, wie sich der gebürtige Hamburger Harnik und der Reinbeker Kruse schlagen – schließlich hat er ihnen die Kunst des Fußballspiels beigebracht.

Hamburger Abendblatt: Herr Beyer, wie sehr fiebern Sie dem Länderspiel Deutschland gegen Österreich entgegen?

Thorsten Beyer: Soll ich ehrlich sein? Ich mag eigentlich Vereinsfußball lieber. Aber klar, wenn Martin für Österreich und Max für Deutschland antreten, sehe ich mir das Spiel an.

Verfolgen Sie denn die Entwicklung Ihrer ehemaligen Spieler noch genau?

Beyer: Unbedingt! Zum Pokalhalbfinale Stuttgart gegen Freiburg am 17. April war ich von Martin eingeladen. Ich war vorher auch in beiden Mannschaftshotels. Ein tolles Erlebnis. Es war interessant zu sehen, wie sich die beiden entwickelt haben und sich heute auf ein Spiel vorbereiten.

Wie waren denn der kleine Kruse und der kleine Harnik? War damals schon zu erkennen: Oha, da ist mehr drin?

Beyer: Max sehe ich immer noch mit grünen Gummistiefeln als Vierjährigen. Er war schon in der F-Jugend ein auffälliger Spieler, ließ auf dem Siebenerfeld drei, vier Leute aussteigen. Als ich das Mannschaftsspiel mehr fördern wollte, sollte Max ab einer 3:0-Führung keine Tore mehr machen. Also legte er den Ball auf der Torlinie ab und wartete, bis seine Mitspieler ihn reingeschossen haben. Während Max durch eine überragende Spielübersicht und eine gute Technik herausstach, zeichnete Martin sein unglaublicher Ehrgeiz aus. Er wollte alles gewinnen: jedes Trainingsspiel, jeden Zweikampf, jeden Sprint.

Sie waren damals extrem erfolgreich, führten die A-Jugend des SCVM sogar in die Bundesliga. Wie war das möglich?

Beyer: Erst mal über Spielfreude. Der methodische Ansatz kam ab der C-Jugend. Unser Trainerteam gab den Spielern Rückmeldungen durch Berichte zu Beginn jeder Trainingswoche. Jeder Spieler erhielt eine Einzelkritik, dazu kam eine Analyse, wie die Mannschaft ihre Aufgaben erfüllt hatte – oder auch nicht. Max hat den Stapel Papier immer gerne genommen. Als Martin dazukam, hatten wir das Verfahren schon angepasst, und es lief über das Internet.

Die Spieler mussten lesen, lesen, lesen …

Beyer: Nicht nur. Vor der Saison musste jeder Junge seine Ziele aufschreiben: Was will ich erreichen? Wo möchte ich mich verbessern? Eine Schwäche bei Max war sein rechter Fuß. Also wurde in diesem Bereich sehr viel mit ihm trainiert. Dass er sein erstes Länderspieltor mit rechts erzielt hat, war für mich eine besondere Freude.

Aufsätze wie in einer Deutschstunde, Sie haben von den Jungs viel verlangt.

Beyer: Ja, das war Aufwand und manchmal anstrengend, aber es war wichtig. das merke ich im Herrenfußball. Bei Vereinen, bei denen die Jugendarbeit nicht besonders liebevoll gemacht wird, fehlen viele Dinge, die über das Laufen, Kämpfen und Flanken hinausgehen. Da kann man durchaus mehr machen. Fußball ist mehr als nur zweimal Training, sondern zu 50 Prozent Kopfsache. Wer das schon in der Jugend erlebt, übt diesen Sport mit einer ganz anderen Basis aus. Es geht um Werte wie Verantwortungsbewusstsein. Es gab mal eine Partie der Stuttgarter in Frankfurt, als der Kapitän rausmusste. Der VfB steckte im Abstiegskampf und spielte in Unterzahl. Da schnappte sich Martin in der Pause die Binde und ging voran. Stuttgart gewann das Spiel noch. So war er schon früher.

Kruse spielte über den Umweg Werder noch mal für St. Pauli, beim HSV haben die Talente nie gespielt.

Beyer: Max hat früher in HSV-Bettwäsche geschlafen. Ich glaube, er hat immer noch die Raute im Herzen. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn zum HSV zu bringen, wenn man es denn wirklich gewollt hätte. Und er hätte dem Verein sowohl in Sachen Identifikation als auch mit seinen vielen Stärken sehr gut getan. Aber lange Zeit kam gar nichts.

Und bei Harnik …

Beyer: … lief es sehr komisch. Ein Scout rief mich an und sagte: „Wir gehen jetzt an eure Spieler ran.“ Das war’s. Er sagte das so banal, als ob er mir sagen wollte: „Bananen sind jetzt 20 Cent teurer geworden.“ Keine Frage nach seiner Entwicklung oder meiner Einschätzung als Trainer. Nichts. Dietmar Beiersdorfer machte das etwas besser, lud die A-Jugend zu einem Bundesligaspiel ein. Aber intensiv genug waren die Bemühungen nicht. Das gilt auch für den FC St. Pauli. Davon ab hatten Martin und Max großes Glück mit dem Elternhaus. Beide hatten diesen speziellen Willen, es zu schaffen. Aber sie haben dieses Ziel auch erreicht, weil ihre Eltern auf dem Boden geblieben sind. Sie sagten ihren Söhnen immer, sie sollten erst wechseln, wenn jemand kommt, der ihnen eine echte Perspektive bietet. Beide machten eine Ausbildung nach dem Motto: Erst kommt das Leben.

Es fällt auf, dass im Hamburger Raum in den vergangenen Jahren recht wenige Spieler den Sprung in Nationalteams geschafft. Warum ist das so?

Beyer: Weil Hamburg einerseits strukturell schwächer ist als der Westen und der Süden. Andererseits ist in erster Linie der HSV gefordert. Aber wenn sie nicht mal den Enkel von Uwe Seeler halten können, läuft da doch etwas verkehrt. Der Sprung zu den Profis ist allerdings generell schwer.

Heute trainieren Sie den Landesligisten Kosova. Was würden Sie sich wünschen , wenn Sie von „unten“ auf den Profifußballbereich blicken?

Beyer: Wenn Sie mich so fragen: Ich würde als Bundesligatrainer dreimal am Tag trainieren. Zunächst einmal taktisch, mit der Besprechung an der Tafel und der Umsetzung auf dem Platz. Nach einer Pause ginge es dann in den konditionellen Bereich, in Schnelligkeit und Beweglichkeit. Und schließlich, im wichtigsten Teil, gäbe es eine Stunde technische Abläufe, Kurzpässe, Flugbälle. Es geht mir um Automatismen. Ich behaupte, Profifußballer trainieren zu wenig. Wenn ich mir die Qualität der Spiele anschaue und dann daran denke, dass die nur Fußball spielen, bin ich ziemlich enttäuscht.