Gastgeber gewinnen Auftaktmatch beim Confederations Cup 3:0 gegen Japan. Proteste reißen nicht ab. Löw als Beobachter vor Ort

Berlin. Sie hatten gezweifelt, nach fünf Spielen ohne Sieg mit Liebesentzug reagiert und für die Fußballweltmeisterschaft in einem Jahr schon düstere Prognosen aufgestellt. Die Beziehung zwischen den brasilianischen Fußballfans und ihrer Seleção hatte in den vergangenen Monaten gelitten. Selbst der 3:0-Erfolg gegen Frankreich vor acht Tagen hatte das Stimmungsbild nicht entscheidend aufhellen können.

Insofern galt der Standortbestimmungscharakter des seit 2001 als WM-Generalprobe ausgetragenen Confederations Cups für den Gastgeber diesmal auch im Speziellen. Die Frage: Wie tief sind die Risse zwischen Mannschaft und Anhang, und wie schnell sind sie wieder zu kitten? Die Antwort folgte bereits im Auftaktspiel gegen Japan. Nach nicht einmal drei Minuten lagen sich die Brasilianer im Estádio Nacional Mané Garrincha von Brasilia freudetrunken in den Armen.

Neymar hatte den Ball nach einer klugen Ablage Freds mit einem wuchtigen Rechtsschuss aus 20 Metern zum 1:0 für Brasilien ins Netz gedroschen. Sein erster Treffer nach 844 torlosen Minuten in Liga- und Länderspielen. Ein Schuss wie ein Schlussstrich unter all die pessimistischen Stimmen. Ein Aufbruchssignal, als solches von 67.423 Augenzeugen erkannt. „Ich habe es immer gesagt. Die individuellen Stärken tauchen im rechten Moment auf“, sagte Brasiliens Hoffnungsträger später erleichtert und trotzig in jedes Mikrofon, nachdem seine Mannschaftskollegen Paulinho (48.) und Jo (90.+3) den Auftakt zum 3:0 über den Asienmeister perfekt gemacht hatten.

Wie von einer Zentnerlast befreit, verkündete der 21-Jährige fast ausgelassen: „Das Tor widme ich meiner ganzen Familie: Vater, Mutter, Schwester, Sohn, Freunde, Freundin, einfach allen.“ Der Schuss wie ein Strich in den rechten Winkel des japanischen Gehäuses brachte Neymars Welt nach 844 torlosen Minuten wieder in Ordnung. Die 172 Sekunden zwischen Anpfiff und „Gol“-Schrei sind historisch. Es war das drittschnellste Tor in der Confed-Cup-Historie und der schnellste Treffer einer Seleção in Auftaktspielen bei Fifa-Turnieren. Und Neymars 22. Treffer im 35. Länderspiel. „Ich habe es ja immer gesagt, Neymar ist ein großer Spieler“, frohlockte auch Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari, der dann weiter dozierte: „Es kann sein, dass er das eine oder andere Mal nicht gut drauf ist, aber er macht den Unterschied aus.“ Kein Wunder. dass der FC Barcelona sich Ende Mai für rund 54 Millionen Euro Ablöse die Dienste des 21-Jährigen für die kommenden fünf Jahre gesichert hat. Ein Gewinner der Auftaktpartie auf brasilianischer Seite war auch Mittelfeldspieler Luiz Gustavo, der seinen Stammplatz im Team des Rekordweltmeisters offenbar sicher hat. Der Triple-Gewinner vom FC Bayern München räumte im Mittelfeld gewohnt kompromisslos auf und war nach Meinung von Scolari „einer der Besten“.

Sein Klubkollege Dante saß dagegen 90 Minuten nur auf der Bank, war aber ganz artig: „Wichtig ist, dass wir als Mannschaft denken.“ Am Mittwoch spielt Brasilien in Fortaleza gegen Mexiko, bevor am Sonnabend das letzte Gruppenspiel gegen Italien ansteht. „Ich hoffe, dass ich dann in meiner Heimatstadt Salvador spielen kann“, sagte der Innenverteidiger.

Trotz der Freude vieler einheimischer Fußballfans trübten zahlreiche Vorfälle den Turnierauftakt. Die Proteste in den Straßen von São Paulo, Rio de Janeiro und anderen Großstädten reißen nicht ab, viele Menschen stoßen sich an der „WM für Reiche“, und selbst der Sportminister spricht von der „Gentrifizierung des Fußballs“ am Zuckerhut. Wer derzeit die Nachrichten-Sendungen der großen brasilianischen TV-Stationen einschaltet, sieht immer wieder die gleichen Bilder: Feuer auf den Straßen, vermummte Demonstranten, bewaffnete Polizisten. Die Proteste gegen die Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr haben die „Mini-WM“ ebenso erfasst wie die gegen Zwangsumsiedlungen im Zuge der Stadionbauten. Auch am Sonntag kam es am Maracanã in Rio im Vorfeld des Spiels zwischen Mexiko und Italien zu heftigen Protesten. Der Fußball-Weltverband Fifa beobachtet all dies, sieht sein Produkt jedoch noch nicht gefährdet. „Wir respektieren das Recht der Menschen auf Meinungsfreiheit und haben vollstes Vertrauen in die Behörden. Und die Proteste stehen, soweit wir wissen, nicht in direktem Zusammenhang mit dem Event“, sagte Fifa-Sprecher Pekka Odriozola.

Interessierte Beobachter der Veranstaltung sind auch Bundestrainer Joachim Löw und Assistent Hansi Flick, die sich vor der WM bereits wichtige Eindrücke verschaffen wollen. „Ich freue mich darauf, weil ich ein wenig von der der Atmosphäre des Landes aufnehmen kann“, teilte Löw mit, „wir wollen uns nach dem Basecamp umschauen, klimatische Eindrücke gewinnen und ein Gefühl für die Reisedistanzen und Organisation im Lande gewinnen.“ Das fünftgrößte Land der Welt stellt tatsächlich eine außergewöhnliche Herausforderung dar. „Das wird das schwerste Turnier in unserer Laufbahn“, sagt Teammanager Oliver Bierhoff, „ein ganz dicker Brocken.“