Bastian Schweinsteiger ist gegen Kasachstan nach langer Pause wieder dabei. Er will seine Kritiker widerlegen. Den Takt angeben, Hektik rausnehmen, nennt es Löw.

Frankfurt. Einer der größten Stars der Bundesliga ist nur Balljunge. Zumindest in seiner Nachbarschaft. Im Münchner Glockenbachviertel engagiert sich Bastian Schweinsteiger gegen den Abriss eines Bolzplatzes. Der Profi des FC Bayern schleppte mit Freunden an seinem freien Nachmittag kürzlich Kisten voller Bälle auf das Gelände und schenkte sie Kindern.

Schweinsteiger mag es, Verantwortung zu übernehmen. Groß darüber reden will er nicht. Das gilt für den Fußballspieler Schweinsteiger und die Privatperson Schweinsteiger. Er liest inzwischen gern, seine Freundin empfiehlt ihm Literatur, und vielleicht ist ihm Friedrich Schillers "Lied von der Glocke" in die Hand gefallen, da heißt es: "Soll das Werk den Meister loben."

Der Mittelfeldprofi hat Anfang des Jahres viel Kritik an seiner Spielweise einstecken müssen: Günter Netzer bemängelte bei ihm fehlende Pässe in die Spitze, 90er-Weltmeister Olaf Thon vermisste die Schnelligkeit, und es kam sogar die Frage auf, ob der sechs Jahre jüngere Ilkay Gündogan von Borussia Dortmund nicht die bessere Besetzung für die Position des zweiten Sechsers neben Sami Khedira sei. Schweinsteiger hält Leistungen für die bessere Antwort als Rechtfertigungen und ging kaum auf die Thesen ein. Er will die Kritik mit Toren, Vorlagen, Balleroberungen widerlegen.

Das ist auch vor den beiden Spielen in der WM-Qualifikation gegen Kasachstan am Freitag in Astana (19 Uhr, ZDF und abendblatt.de) und am Dienstag in Nürnberg seine Strategie. Erstmals seit fünf Monaten zählt der 28-Jährige wieder zum Aufgebot der deutschen Auswahl. Seine Teilnahme an den vergangenen neun Länderspielen hatte er abgesagt - meist wegen kleinerer Verletzungen - und somit alle Tests der vergangenen eineinhalb Jahre verpasst. Bei den Fans hatte Schweinsteiger das viel Spott eingebracht. Nun bereitet er sich auf das Hinspiel vor, Dienstagabend trainierte er mit der Mannschaft in Frankfurt. Es wird der erste Einsatz des Vize-Kapitäns für Deutschland seit dem 4:4 gegen Schweden im Oktober 2012 sein. Der Chef kehrt zurück.

"Bastian hat wieder seine Form gefunden. Er ist wieder in der Verfassung, eine Mannschaft anzutreiben, ihr Leader zu sein. Er ist kritisch, sagt seine Meinung und nimmt Einfluss auf andere. Bastian hat schon viele Schlachten geschlagen, so etwas ist kaum zu ersetzen", sagt Bundestrainer Joachim Löw.

Kasachstan zeigt, dass es entgegen der Meinung von Berti Vogts im Fußball noch Kleine gibt. Die Mannschaft hat in den bisherigen vier Qualifikationsspielen erst ein Tor erzielt und belegt den vorletzten Tabellenplatz. Und doch sind die Partien für die Deutschen sehr wichtig: Sie sind der Start in die entscheidende Qualifikationsphase.

Schweinsteiger ist für ihn und Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff einer der wichtigsten Personen in der Brasilien-Mission. Warum? Er hat Einfluss. Erkennt Strömungen unter den Spielern. Fühlt eine Verantwortung für die Mannschaft. Kürzlich sagte Schweinsteiger, dass er deshalb nach Spielen oft eher psychisch als physisch erschöpft sei. Und vor allem: Er spielt gut Fußball. Er kann ein Spiel beruhigen. Eine Qualität, die in dem Maße wenig deutsche Spieler besitzen. Querpässe, nennen es Schweinsteigers Kritiker. Den Takt angeben, Hektik rausnehmen, nennt es Löw. So einer ist wichtig bei der offensiven Ausrichtung um Marco Reus. Beim großen Konkurrenten Spanien ist Xavi dafür zuständig, in hektischen Phasen das Tempo zu drosseln. Bei Schweinsteiger sieht das nicht immer so elegant aus wie beim Superstar des FC Barcelona - hat aber oft denselben Effekt und dieselbe Relevanz für den Erfolg.

Jupp Heynckes kennt sich so gut wie kaum ein Deutscher im spanischen Fußball aus. Der Bayern-Trainer sieht Schweinsteiger mit Sergio Busquets als besten Mittelfeldspieler der Welt. Weil Schweinsteiger das Spiel verlagert, weil er kombiniert. Wie ein Regisseur ein Drehbuch habe, so habe Schweinsteiger einen Matchplan, sagt der 67-Jährige. Und Schweinsteiger ist flexibel: Beim 2:1 des Rekordmeisters gegen Bayer Leverkusen ließ Heynckes ihn im zentralen Mittelfeld spielen, der Profi erfüllte die Aufgabe sehr vernünftig.

"Bastian ist seit neun Jahren ein Gesicht der Nationalmannschaft. Er hat eine wichtige und sehr positive Ausstrahlung und tut der Mannschaft unheimlich gut. Vor allem mit Blick auf die WM ist er von großer Bedeutung", sagt Oliver Bierhoff. In Südamerika hat noch keine europäische Mannschaft ein Turnier gewonnen, in Brasilien werde es besonders auf Erfahrung ankommen. "Und die hat Bastian. Davon wird die Mannschaft profitieren", so Bierhoff. Die sportliche Leitung ist sich einig: Gündogan gehört zu den Gewinnern der Saison, kann aber noch gar nicht die Sicherheit und Übersicht wie Schweinsteiger haben. "Er ist ein ähnlicher Spieler wie es Schweinsteiger in seinen ersten Spielen auf der Sechser-Position war", so Löw, der Schweinsteiger vor drei Jahren von der Außenposition ins Zentrum beorderte.

Der Münchner würde schon längst Mitglied im "Klub der Hunderter" sein, zu dem Nationalspieler mit mindestens 100 Spielen gehören. Das haben bislang erst zehn Profis geschafft, aus seiner Generation nur Lukas Podolski. Wegen seiner Absagen lässt das Jubiläum auf sich warten, die Partie am Freitag ist Schweinsteigers 98. für Deutschland. 2013 kann sein erfolgreichstes Jahr werden. Die Meisterschaft mit den Bayern ist ihm nicht mehr zu nehmen, er hat beste Chancen auf den Gewinn des DFB-Pokals und die Champions League, den Einzug in den Klub der Hunderter und die WM-Qualifikation.

Olaf Thon sah in Schweinsteiger trotzdem schon den nächsten, ewigen Zweiten, den nächsten Michael Ballack. Anfang Februar sagte der ehemalige Bayern-Profi: "Schweinsteiger ist ein Spieler, der immer weiter zurückgehen wird." Vielleicht könne sich Schweinsteiger noch zur WM retten, danach werde es ihm ähnlich ergehen wie Ballack. Er passe in die Breite und könne keinen Gegner mehr überspielen.

Inzwischen spielt Schweinsteiger so, dass Thon gegenüber dem Hamburger Abendblatt seine Kritik revidiert: "Wir (Netzer und er, d. Red.) haben damals eine These aufgestellt, und ich finde, dass Bastian seitdem extrem viel besser geworden ist. Er ist der Kopf des Nationalteams und wird aufgrund seiner Leader-Qualitäten vielleicht der wichtigste Mann für die WM."

Mit Leistungen in den nächsten Monaten könnte Schweinsteiger wohl auch noch das "vielleicht" ausradieren.