Früherer Bundestrainer Berti Vogts sieht deutsches Team bei WM in Brasilien in der Favoritenrolle. Qualifikationsspiel gegen Kasachstan.

Berlin. Vor knapp 17 Jahren holte er den letzten Titel für die deutsche Nationalmannschaft. Berti Vogts führte das Team 1996 zum EM-Triumph. Wird die Durststrecke 2014 bei der WM in Brasilien enden? Auf dem Weg dorthin wartet in der Qualifikation am Freitag Kasachstan. Schon jetzt ist sicher, dass der ehemalige Bundestrainer mit seinem aktuellen Arbeitgeber Aserbaidschan mit nur zwei Punkten aus vier Qualifikations-Spielen diese WM verpassen wird. Vogts sieht Deutschland in Brasilien in der Favoritenrolle.

Hamburger Abendblatt: Herr Vogts, Sie haben mal gesagt: Wenn ich keine Spannung mehr habe als Trainer, höre ich auf.
Berti Vogts: Die Spannung ist auch nach fünf Jahren in Aserbaidschan noch da, allerdings geht mir die Entwicklung zu langsam voran. Wir haben uns von der Weltranglisten-Position 160 auf momentan 116 heraufgearbeitet. Aber ohne die Unterstützung der Vereinstrainer kommen wir nicht mehr weiter.

Was fordern Sie?
Vogts: Die Spieler müssen mehr trainieren! Die Deutschen üben zweimal am Tag, die Aserbaidschaner einmal am Tag, und das nur drei-, viermal die Woche. Ein schlechter Schüler bekommt Nachhilfestunden, das vermisse ich hier. Wir müssten mehr trainieren als alle anderen, um vielleicht mal die Nummer 50 der Welt zu werden.

Klingt so, als ob wir Sie noch mal woanders als Trainer sehen.
Vogts: Es ist durchaus möglich, dass ich mal wieder in Deutschland arbeite.

Hat sich Ihr Bild von Deutschland im Ausland verändert?
Vogts: Und wie. Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren sehr stark verändert, auch das politische Denken. Das soziale Denken hat sehr nachgelassen. Wenn wir nicht weiter bereit sind, ärmeren Menschen zu helfen und sie zu unterstützen, wird Deutschland in einigen Jahren große Probleme bekommen. Wir müssen das Land aufstellen für morgen, übermorgen. Da haben wir in Europa eine Vorbildfunktion. Aber wir können anderen Ländern nicht einfach etwas vorschreiben, das geht nicht. Wenn ich bedenke, wie wir von anderen Ländern gesehen werden, mache ich mir große Sorgen.

Wie meinen Sie das?
Vogts: Aserbaidschan ist sehr mit der Türkei verbunden, die Iraner sind fast wie Brüder. Früher war Persien pro deutsch, aber wir kümmern uns viel zu wenig. Wir können nicht nur das vertreten, was die Amerikaner vertreten. Wir müssen international wieder ein eigenes Bild schaffen.

Wie wird der deutsche Fußball im Ausland gesehen?
Vogts: Der englische Fußball hat noch immer die größere Strahlkraft, er wird morgens, mittags und abends übertragen. Dass drei deutsche Mannschaften im Achtelfinale der Champions League standen, braucht man nicht hochzujubeln. Ein bisschen Bescheidenheit würde den Deutschen gut tun.

Dabei sind gerade bei der Nationalmannschaft die Hoffnungen auf einen Titel so groß wie lange nicht.
Vogts: Ich würde es dieser Generation auch wünschen, dass sie einen Titel holt. Irgendwann muss es klappen mit all diesen Topspielern. Aber: Du musst dich erst mal einstellen auf das südamerikanische System des Fußballs.

Das klingt skeptisch.
Vogts: Es war nicht alles falsch, was in der Vergangenheit gemacht wurde. Ich bin nach Brasilien, Argentinien und Uruguay geflogen, drei Länderspiele in neun Tagen. Die Vorbereitung ist Sache des DFB, nur: Sich in Miami gegen Ecuador auf den südamerikanischen Fußball einzustellen, ist etwas anderes, als in Rio gegen Brasilien zu spielen. Die Engländer machen das ...

Was macht den Unterschied aus?
Vogts: Deutschland hat eine sehr junge Mannschaft, die muss vor Ort die Atmosphäre aufsaugen. Wenn wir uns aber in Kaiserslautern gegen Chile auf Südamerika einstellen, habe ich damit meine Probleme.

Wie sehen Sie die Spielstärke? Wie nah ist Deutschland an Spanien dran?
Vogts: Ich sage sogar, dass wir vor Spanien sind, wir haben derzeit die beste Mannschaft der Welt. Für mich haben die Spanier keine tolle EM gespielt, obwohl sie den Titel gewonnen haben.

Sie waren der letzte Bundestrainer, der 1996 bei der EM einen Titel holte ...
Vogts: Ich hätte nie geglaubt, dass Deutschland so lange auf den nächsten Triumph warten muss. 2002 hatte ich dem DFB schon den Titel zugetraut, aber dann hatte der bis dahin überragende Oliver Kahn im Finale gegen Brasilien (0:2) nicht seinen besten Tag.

Kann Joachim Löw die herausragenden Fußballer Mesut Özil und Mario Götze gemeinsam auflaufen lassen?
Vogts: Warum nicht? Er kann sie beide in der Halbposition im Mittelfeld spielen lassen, er braucht nur einen guten defensiven Sechser dahinter.

Kann Deutschland 2014 mit einem dann 36-Jährigen Miroslav Klose Weltmeister werden?
Vogts: Er wird wohl eher nicht mehr in der Startelf stehen, aber es kann je nach Spielstand vonnöten sein, solch einen charakterstarken Spieler zu bringen.

Sie sehen eher Mario Gomez im Team?
Vogts: Man kritisiert ihn regelmäßig, dabei schießt er oft die entscheidenden Tore. Ob man es mit ihm oder beispielsweise mit Özil vorne probiert, wird davon abhängig sein, über welche Innenverteidiger der Gegner verfügt.