Dortmunds Erfolg basiert auf der Unabhängigkeit von einzelnen Spielern. B-Elf genügt zum Sieg über Manchester City

Dortmund. Ein bisschen Unterwürfigkeit sei gestattet, allein schon wegen der jüngeren deutschen Fußballgeschichte. Also schlich sich Mats Hummels nach dem Spiel an Mario Balotelli heran und bat um sein Trikot. Das, sagte der Verteidiger von Borussia Dortmund später, wolle er seinem Bruder unter den Weihnachtsbaum legen. Da er das bei dem Fernsehsender Sky kundtat, wird sich die Überraschung bei Jonas Hummels am Heiligen Abend wohl in Grenzen halten. Freuen wird er sich vermutlich trotzdem, schließlich ist Balotelli nach seinen beiden Toren für Italien im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Deutschland und der dazugehörigen Jubelprotzpose eine Art Legende.

Die Legende war am Dienstagabend allerdings ganz schön bedient. Erst hatte Trainer Roberto Mancini seinen Landsmann 65 Minuten auf der Bank gelassen, und anschließend konnte Balotelli sich aus der Nähe ansehen, wie chancenlos Manchester City gegen den BVB war.

Wobei der Begriff BVB relativiert werden muss. Ohne Topstürmer Robert Lewandowski waren die Dortmunder aufgelaufen, hatten die Mittelfeldstars Mario Götze und Jakub Blaszczykowski ebenso draußen gelassen wie die Verteidiger Lukasz Piszczek und Neven Subotic. Kurzum: Die halbe Stammelf saß wahlweise auf der Bank oder der Tribüne. Doch dem BVB 2012 genügt offenbar auch eine B-Mannschaft, das teuerste Team Europas zu bezwingen. Das ist die wohl wichtigste Erkenntnis des 1:0 gegen den Scheich-Klub.

Eines der bedeutendsten Leistungsparameter einer Spitzenmannschaft ist die Unabhängigkeit von einzelnen Spielern. Da ist Dortmund nationale Spitze. Bayern München benötigt Franck Ribéry als Ideengeber, Schalke 04 die Tore von Klaas-Jan Huntelaar. Der BVB hingegen verkraftete in den vergangenen beiden Jahren jeweils den Abgang seines Spielgestalters und spielte anschließend stärker als zuvor.

2010 verließ Nuri Sahin die Westfalen, um sich bei Real Madrid zu verwirklichen. Ein Jahr später zog es Shinji Kagawa zu Manchester United. Die Borussen kompensierten die Verluste mit Bravour. Besser noch: Die Abgänge der Schlüsselspieler wurden als Impulse zur Weiterentwicklung genutzt. Für Sahin kam Ilkay Gündogan, der nun nach Anlaufschwierigkeiten aus dem defensiven Mittelfeld nicht mehr wegzudenken ist. Und Kagawa wurde durch Marco Reus ersetzt, der sich in Dortmund binnen sechs Monaten endgültig zum Weltklassespieler gemausert hat - mittlerweile dürfte es keinen Fußballmanager in Europa mehr geben, der nicht abends mit dem Wunsch ins Bett geht, eines Tages Reus zu verpflichten. Und nun glänzt sogar die zweite Garde. Das Tor des Abends erzielte Julian Schieber, 23, der Lewandowski in der Sturmspitze vertrat. Was die Dortmunder Offiziellen auch insofern beruhigen wird, als der polnische Starstürmer offenbar gewillt ist, den Verein im Sommer zu verlassen. In diesem Fall wäre aufgrund seines Vertrages bis 2014 eine saftige Ablöse fällig - und ein potenzieller Nachfolger scheint schon gefunden. Auf der eigenen Ersatzbank.

Anders als bei der deutschen Nationalelf, bei der die Spiele mit Notbesetzungen meist schmucklos bis frustrierend sind, kommt in Dortmund der Spaß (auch) von der Bank. "Alle haben ihren Kopf aus dem Fenster gehalten und gezeigt, dass sie noch da sind. Das ist sehr wichtig für uns und macht mich glücklich", sagte Trainer Jürgen Klopp. "Ich bin beeindruckt von der Mannschaft." Klopp scheint derzeit der Einzige zu sein, der absolut unverzichtbar ist. Er hat einen Vertrag bis 2016, und BVB-Boss Hans-Joachim Watzke würde Interessenten nicht mal auf den Parkplatz der Geschäftsstelle lassen: "Jürgen ist unverkäuflich. Punkt!"

Mit einem Schmunzeln hat er darum auch zur Kenntnis genommen, dass sich die Fans von Real Madrid Jürgen Klopp als Nachfolger für Trainer José Mourinho wünschen, sollte der Portugiese den spanischen Rekordmeister verlassen. Noch höher in der Gunst der Anhänger liegt nur Bundestrainer Joachim Löw.

Beeindruckt von der Dominanz der Dortmunder, die in der stärksten Vorrundengruppe nicht einmal verloren haben, ist auch Andreas Möller, Spielgestalter beim Dortmunder Champions-League-Sieg 1997. "Die aktuelle Mannschaft hat eine unglaubliche Spielintelligenz, sehr viel Power und herausragende technische Fähigkeiten. Die Jungs heute scheinen mir besser zu sein, als wir es damals waren. Sie sind besser ausgebildet, taktisch besser geschult, können mit den Räumen, die sich ihnen bieten, besser umgehen", sagte er dem Abendblatt.

Dass aus dem Lob nun die Forderung erwächst, das Kunststück von 1997 zu wiederholen, weist Möller von sich. "Wir waren vom Alter her reifer, waren gestandene Nationalspieler, die viele Länderspiele auf dem Buckel hatten", sagt Möller. Stefan Reuter, sein Mitspieler von damals, würde der Mannschaft allerdings durchaus zutrauen, den ganz großen Wurf zu landen: "Natürlich haben sie eine Chance, die Champions League zu gewinnen. Es wird schwer, es muss alles passen, und es sollte keine verletzungsbedingten Ausfälle begeben. Aber dass die Jungs eine Chance haben, haben sie eindrucksvoll bewiesen." Eine B-Elf wird dafür allerdings wohl nicht reichen.