Warum sich der Rekordmeister sofort für die Niederlage gegen Bayer Leverkusen rehabilitieren kann und der Konkurrenz enteilt.

München/Hamburg. Der Tabellenführer hat ein riesiges Problem. Einer seiner Stars lässt sich hängen. Es ist schlimm, dem Mann gelingt nichts, die Mannschaft muss ihn durchschleppen. Der Problemfall heißt Franck Ribéry. Frankreichs Nationalspieler zeigt ganz schwache Leistungen. So beschreibt sein Kollege Thomas Müller die Situation beim FC Bayern. "In Hamburg war er der schlechteste Mann auf dem Platz. Er schwächt uns", sagte der Offensivprofi - und grinste dabei schelmisch.

Denn natürlich war in Wahrheit Ribéry der alles herausragende Spieler beim 3:0 in Hamburg. Er hatte alle Tore eingeleitet: das 1:0 von Bastian Schweinsteiger (39. Minute), das 2:0 von Müller (48.), das 3:0 von Toni Kroos (53.). Damit haben die Bayern jetzt sieben Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten Schalke 04, gar elf auf den Titelverteidiger Borussia Dortmund - die Verfolger sind aktuell nur Verfolgerchen, die Münchner in meisterlicher Form. Da kann Müller gar nicht anders, als vor Freude Späße zu machen. Die Bayern lachen sich durch den Herbst. Einbruch? Krise? In dieser Form kaum vorstellbar.

Müllers Mannschaft hat in Hamburg nicht nur sehr gut gespielt und ein Spiel gewonnnen. Sie hat eine wichtige Prüfung bestanden, vor die sie sich unfreiwillig gestellt hatte. Vor einer Woche hatte sie überraschend zum ersten Mal in dieser Saison verloren, 1:2 zu Hause gegen Bayer Leverkusen, und sofort erinnerten viele an den vergangenen Herbst. Damals war der Rekordmeister nach einem guten Saisonstart abgestürzt - und stand am Ende ohne Titel da. Jetzt kriege die Mannschaft Druck, hatte Klubchef Karl-Heinz Rummenigge gewarnt: "Und sie muss zeigen, dass sie im Herbst 2012 besser mit diesem Druck umgehen kann."

Sie kann. Beim HSV trat sie entschlossen und selbstbewusst auf. Einfach nur "Mia san mia", in nahezu jedem Pass und Schuss. Sie war nicht eine Klasse, sie war mehrere Klassen besser. Die Bayern im November 2012 - eine Klasse für sich.

Vor dem Anpfiff hatten die Spieler auf dem Weg in die Kabine erfahren, dass Schalke gegen Hoffenheim verloren und Dortmund gegen Stuttgart den Sieg verpasst hatte. Eine schöne Motivation. "Nach zwei Jahren ohne Titel sind wir in diesem Jahr noch geiler und gieriger auf Titel und den absoluten Erfolg", sagt Nationalspieler Müller.

Die Bayern sind zudem robuster und stabiler als in der Vorsaison. Trotz zwei titellosen Spielzeiten in Folge ist die Mannschaft enorm von sich überzeugt. Die Zugänge bewirken, dass das Aufgebot ausgeglichener ist und die Stars nicht müde werden. Beim 4:0 im DFB-Pokal gegen Zweitligaklub 1. FC Kaiserslautern am Mittwoch hatte Trainer Jupp Heynckes die Mannschaft auf neun Positionen verändert. Gegen den HSV wechselte er wieder zur Stammformation - die Rotation funktioniert optimal.

Offensivliebhaber Ribéry verteidigt so viel und so gut wie noch nie, das Verständnis der Münchner bei Pässen und Laufwegen ist in der Liga derzeit einmalig. Heynckes konnte sich den Luxus leisten, den erkälteten Arjen Robben und 40-Millionen-Euro-Zugang Javi Martínez auf die Bank zu setzen. "Die Leistung meiner Mannschaft war allererste Sahne. Das zeichnet sie im Moment aus: dass einer für den anderen da ist, dass wir gemeinsam den Erfolg suchen", sagt der Trainer.

Der Klub hat nach dem Startrekord mit acht Siegen aus acht Spielen einen weiteren Bestwert aufgestellt: Er gewann alle fünf Auswärtspartien und blieb immer ohne Gegentor, das gelang noch keiner Mannschaft. Nach zehn Spielen haben die Bayern die beste Bilanz aller Bundesligaklubs seit 1995. "Das ist fast schon Fußballkunst", sagt Präsident Uli Hoeneß.

Unter der Woche hatte ihn Ex-Trainer Louis van Gaal in einem Interview heftig kritisiert - und sich selbst große Verdienste an der Spielweise der Münchner zugeschrieben. Dabei wird immer deutlicher, wie effektiv Heynckes die Mannschaft entwickelt hat. "Wir sind auf dem Weg, einen Hochgeschwindigkeitsfußball à la FC Barcelona zu spielen", erklärte Bayern-Legende Paul Breitner gestern im Sport1-"Doppelpass".

Auch Bundestrainer Joachim Löw wird die Entwicklung der Bayern gefallen. Vor dem Länderspiel gegen die Niederlande - trainiert von van Gaal - am 14. November machen Münchens Nationalspieler den nächsten Schritt in ihrer Karriere. Kroos hat die Kritik der Vereinsführung offenbar angenommen und ist effizienter und sehr torgefährlich. Müller hat die Leichtigkeit und Konstanz wiedergefunden, die ihm in der vergangenen Saison fehlte - sein 2:0 aus spitzem Winkel war bereits sein siebtes Saisontor und einer der außergewöhnlichsten Treffer der bisherigen Saison. Und Schweinsteiger ordnet das Spiel der Bayern so, wie es sich Verantwortliche und Fans wünschen. Nationaltorwart Manuel Neuer sagt: "In der vergangenen Saison hatten wir eine ähnlich gute Serie wie jetzt, aber haben uns dann vielleicht ein bisschen ausgeruht. In dieser Saison werden wir einen langen Atem haben."