Franz Beckenbauer weist Vorwürfe von Joseph Blatter um die Vergabe zurück

Berlin. Abgesehen von all den Fotos, die ihn in herzlicher Umarmung mit den Mächtigen der Welt zeigen, sieht sich Joseph Blatter in dieser Pose am liebsten. Er sitzt an seinem Schreibtisch, hinter ihm strahlend blauer Himmel und vor ihm die Insignien eines arbeitsamen, erfolgreichen Mannes: Akten, Füllfederhalter und ein Mobiltelefon, in dem sich die Nummern all jener befinden dürften, die er so gern umarmt. Am Sonnabend hat ein Fotograf der Schweizer Boulevardzeitung "Sonntags-Blick" das Bild aufgenommen. Blatter wirkt entspannt. Dabei dürfte die Kritik, die auf ihn einprasselt, selbst für den krisenerprobten Präsidenten des Fußballweltverbandes Fifa eine neue Dimension darstellen.

Seit er lapidar kommentiert hat, dass die jetzt gerichtlich bewiesenen Schmiergeldzahlungen des bankrotten Fifa-Vermarkters ISL in Millionenhöhe an den brasilianischen Fifa-Ehrenpräsidenten Joao Havelange, 96, und dessen früheren Schwiegersohn Ricardo Teixeira, 65, quasi legal und sogar von der Steuer absetzbar gewesen seien, herrscht Entsetzen. "Die Reaktion des Präsidenten hat mich geschockt. Wenn nicht unbedeutende Persönlichkeiten der Fifa Geld kassiert haben und die Reaktion darauf ist, dass das damals nicht verboten war, dann können wir uns als DFB davon nur klar distanzieren", sagte Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Noch deutlicher wurde Bundesliga-Boss Reinhard Rauball, der Blatter am Freitag in einem Telefonat zum Rücktritt aufgefordert hatte: "Nach derzeitigem Stand sollte Blatter seine Amtsgeschäfte schnellstmöglich in andere Hände geben. Für einen Reformprozess braucht die Fifa jemanden, der gewillt ist, eine Reform zu machen. Es ist immer schwierig, jemanden einzubinden, der selbst Teil der Umstände ist, die einen Reformprozess erst erforderlich gemacht haben."

Und was macht Blatter? Er schlägt in bewährter Manier zurück. Statt sich der Kritik zu stellen, ergeht sich der 76-Jährige im "Sonntags-Blick" lieber in nebulösen Andeutungen. Blatter deutet an, dass es 2000 bei der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland nicht mit rechten Dingen zugegangen sei.

Eigentlich war er zu den Vorgängen um die Zuteilung der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland und Katar gefragt worden. "Gekaufte WM" lautete das Stichwort. "Gekaufte WM?", antwortete Blatter, "da erinnere ich mich an die WM-Vergabe für 2006, wo im letzten Moment jemand den Raum verließ. Und man so statt 10 zu 10 bei der Abstimmung ein 10 zu 9 für Deutschland hatte. Ich bin froh, musste ich keinen Stichentscheid fällen. Aber, na ja, es steht plötzlich einer auf und geht. Vielleicht war ich da auch zu gutmütig und zu naiv." Ob er vermute, dass die WM 2006 gekauft gewesen sei, hakt der Fragesteller nach. Blatter: "Nein, ich vermute nichts. Ich stelle fest." Zum besseren Verständnis: Bei einem Patt hätte die Stimme Blatters entschieden. Der präferierte eine WM in Südafrika. Die sollte es erst im Jahr 2010 geben.

Die empörte Reaktion des DFB ließ nicht auf sich warten. Der neue Generalsekretär Helmut Sandrock sprach von "nebulösen und völlig haltlosen Andeutungen", die den Zweck haben könnten, "von den aktuellen und aktenkundigen Vorgängen ablenken zu wollen". Auch Fedor Radmann, ehemaliger Vizepräsident des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006, wies im "Tagesspiegel" die Aussagen Blatters als "falsch" zurück. Und Bewerbungschef Franz Beckenbauer sagte der "Bild": "Ich kann die Äußerungen und Andeutungen von Sepp Blatter nicht nachvollziehen. Er irrt ja schon beim Ergebnis. Es war 12:11 für uns, nicht 10:9. Entscheidend war, dass die acht Europäer geschlossen für uns gestimmt haben."

Neu sind die Anwürfe gegen den DFB nicht. Bereits der langjährige Fifa-Funktionär Guido Tognoni hatte in den vergangenen Jahren mehrfach behauptet, die deutsche Bewerbungskampagne um die WM 2006 sei "nicht bibelfest" gewesen. Wenn sich nicht der Neuseeländer Charles Dempsey bei der Wahl der Stimme erhalten hätte, "wäre es wohl jemand anders gewesen". Zudem unterstellte der Schweizer ein aktives Mitwirken der Bundesregierung. Tognoni: "Die Bundesregierung hat für das Gewinnen der Stimme eines saudi-arabischen Delegierten kurzfristig das Waffenembargo aufgehoben. Die Bundesregierung hat alles getan - und auch das getan -, um diese Stimme zu bekommen." Der DFB hat das immer bestritten. Das sei "völliger Blödsinn", sagte damals Wolfgang Niersbach, zu jener Zeit noch Generalsekretär.

Fakt ist: Der Neuseeländer Charles Dempsey war es, der bei der Abstimmung des Fifa-Exekutivkomitees durch seine Enthaltung die Waage in Richtung Deutschland kippen ließ - wobei er nicht den Raum verließ. Dempsey war zwar massiv unter Druck gesetzt worden, für Südafrika zu stimmen, favorisierte aber persönlich die Bewerbung der Deutschen. "Herr Blatter war natürlich sehr böse auf mich", sagte er später.

Das scheint Blatter auch heute zu sein. Nicht mehr auf den armen Dempsey, der 2008 verstorben ist. Aber weiter auf all jene, die es wagen, ihm die Stirn zu bieten. "Dass man mich weghaben will, ist nichts Neues. Manchmal fordern das die britischen Medien, dann mal die amerikanischen, dann mal die deutschen", sagte Blatter. Es stimme, dass Rauball ihn am Freitag angerufen und zum Rücktritt aufgefordert habe: "Ich sagte ihm, das sei nicht so einfach, wie er sich das vorstelle. Schließlich bin ich vom Kongress gewählt."

Diese Aussage spiegelt exakt Blatters Selbstverständnis wider: Er ist der legitimierte Vertreter der Fußballfamilie, und wer ihn attackiert, ist ein Antidemokrat: "Der Fifa-Präsident ist gewählt von der Fußballwelt, nicht von den Medien." Dabei ist die Fifa nur auf dem Papier eine demokratische Organisation. In Wahrheit ist das Konstrukt, dass alle 209 Mitgliedsländer eine Stimme haben, eine Farce. Der DFB, mit rund 6,8 Millionen Mitgliedern der größte Sportfachverband der Welt, hat also ebenso viel Stimmrecht wie die Verbände von Aruba, Vanuatu oder Fidschi. Durch diese Regelung ist Blatter nahezu unangreifbar. Selbst wenn sich alle 53 europäischen Vertreter einig wären, was sie nicht sind, gegen Blatter aufzubegehren, stehen dieser Allianz all jene Zwergstaaten entgegen, die sich die Fifa durch großzügige Zuwendungen gefügig hält. Das weiß auch Blatter. Darum muss er sich über die Breitseiten aus Deutschland keine großen Gedanken machen. Er wird sie überstehen.