Weltmeister Jürgen Kohler über die brisanten Spiele gegen die Niederlande und die Stärken der heutigen deutschen Fußball-Generation

Hamburg. Morgen wird er in Hamburg auf der Tribüne sitzen, vor 23 Jahren stand er im Volksparkstadion im EM-Halbfinale gegen die Niederlande (1:2) selbst auf dem Rasen. Jürgen Kohler, 46, Welt- und Europameister, erzählt im Gespräch mit dem Abendblatt über die Brisanz der Duelle mit dem Nachbarn, über seine Zweikämpfe mit Marco van Basten und seinen Wunsch, wieder im Fußball zu arbeiten.

Hamburger Abendblatt:

Herr Kohler, viele Nationalspieler sagen, gegen die Niederlande gibt es keine Freundschaftsspiele. Teilen Sie diese Meinung?

Jürgen Kohler:

Das ist in der Tat ein brisantes Nachbarschaftsduell. Wenn zwei der weltbesten Mannschaften aufeinandertreffen, herrscht natürlich immer eine große Rivalität. Ich habe sie aber nie als unsportlich oder als unfair empfunden. Im Gegenteil: Ich habe mich stets auf diese Länderspiele gefreut.

Rudi Völler mag da anders denken.

Kohler:

Sie meinen die Spuckattacke von Frank Rijkaard 1990 bei der Weltmeisterschaft in Italien. Okay. Das war jedoch die Ausnahme.

Sie dürften aber auch keine allzu guten Erinnerungen an die Holländer haben.

Kohler:

Das sehen Sie falsch. 1988 sind mir zwar die beiden Treffer der Holländer angelastet worden, mein angebliches Foul im Strafraum gegen Marco van Basten, das zum 1:1 durch Elfmeter führte, war nachgewiesenermaßen keins. Und beim 2:1 habe ich viel für meine spätere Karriere gelernt.

Aha.

Kohler:

Ich war auf die dann entscheidende Situation dieses Spiels gedanklich nicht vorbereitet. Ich glaubte, alles unter Kontrolle zu haben. Und dann ist Marco im Stile eines Verteidigers in den Ball hineingegrätscht, hat ihn erobert und den 2:1-Siegtreffer für die Holländer erzielt. Das hatte ich zuvor bei einem Stürmer noch nie erlebt. Die Szene hat mich gelehrt, du darfst keine Sekunde unaufmerksam sein. Ich habe damals gegen die besten Angreifer der Welt gespielt und mich immer behauptet. Die Duelle mit Marco van Basten gehörten jedoch mit zu den spektakulärsten meiner Karriere. Sie haben unser beider Marktwert erhöht. Die Holländer sind damals verdient Europameister geworden. Und wir zwei Jahre später Weltmeister, weil wir die richtigen Schlüsse aus der EM 1988 gezogen haben.

21 Jahre später scheint die deutsche Nationalmannschaft wieder reif für Titel zu sein. Trauen auch Sie der Elf von Joachim Löw einen zu?

Kohler:

Wir haben sicherlich derzeit eine der spielstärksten und attraktivsten Mannschaften, die Deutschland je hatte. Das Team hat eine hohe Qualität und bringt alle Voraussetzungen mit, sehr erfolgreich zu sein. Jetzt muss die Mannschaft nur noch bei einer EM und WM die PS auf die Straße bringen, das heißt, sie muss die entsprechenden Ergebnisse liefern. Das traue ich ihr zu. Auch wenn zum ganz großen Triumph stets auch ein bisschen Glück gehört.

Wird im Augenblick nicht schon viel zu viel über mögliche künftige Titelgewinne schwadroniert?

Kohler:

Das gehört doch heute zum medialen Geschäft. Die Spieler befeuern diese Diskussion ja auch. Sie wollen Titel gewinnen. Das werte ich als sehr positiv. Selbstvertrauen gehört dazu. Und das hat diese Generation.

Treibt Sie nicht die Sorge um, dass Fußball-Deutschland, das Land der Torhüter und Verteidiger, plötzlich ein Innenverteidiger-Problem zu haben scheint?

Kohler:

Das sehe ich nicht so. Das Problem ist doch eher, dass ein Innenverteidiger heute der Erste sein soll, der ein Spiel eröffnet. Das ist schön und gut. Aber ein Innenverteidiger ist in erster Linie immer noch ein Verteidiger. Was nützt es, wenn er mit seinen Aktionen zehn Tore vorbereitet, aber seine Gegenspieler im Laufe eines Turniers 20 schießen. Ein Verteidiger sollte sich auf seinen Job konzentrieren, Situationen antizipieren können, schnell und wendig sein. Dann hat er seine Aufgabe hervorragend erledigt. Wir haben genug Spieler in Deutschland, die das können - oder lernen können.

Herr Kohler, um Sie ist es in den vergangenen Jahren relativ ruhig gewesen. Haben Sie keine Lust, noch mal aktiv ins Fußballgeschäft einzugreifen?

Kohler:

Ich bin bereit, fit und tatendurstig. Ich hatte verschiedene Angebote, auch aus dem Ausland, aber es muss passen. Vor drei Jahren waren es vor allem familiäre Gründe, unsere Tochter kam als Frühchen zur Welt, die mich damals veranlasst haben, kürzer zu treten.

Wo sehen Sie jetzt Probleme?

Kohler:

Ich habe keinen Berater, ich bin unabhängig. Das ist einerseits ein großer Vorteil und ein Privileg, frei in seinen Entscheidungen zu sein, andererseits hat es den Nachteil, dass alle Vereine mit Beratern zusammenarbeiten und diese wiederum ihre Klienten in den Klubs unterbringen wollen. Über mich sind zum Teil von interessierter Seite absurde Dinge nach Vertragsverhandlungen berichtet worden, über angebliche Forderungen, die ich gestellt hätte. Nichts davon war wahr.

Wie muss der Verein aussehen, für den Sie arbeiten würden?

Kohler:

Für mich sind Vertrauen, Nachhaltigkeit und Loyalität unumstößliche Eckpfeiler.

Und das nötige Kleingeld.

Kohler:

Das ist wieder eine dieser unseriösen Behauptungen. Am Geld würde mein Engagement nicht scheitern.