Nach dem Fernsehurteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg drohen Klubs Einbußen. Fans könnten jedoch davon profitieren.

Hamburg. Karen Murphy betreibt im englischen Seehafen Portsmouth einen Pub mit dem Namen Red White & Blue, was auf ihren Patriotismus hinweist, schließlich sind das die Farben des Union Jack, der britischen Nationalflagge. An den Wochenenden kamen die Gäste gerne zum Fußballschauen in das Lokal der 46 Jahre alten Mutter und Großmutter. Weil Rechteinhaber BSkyB monatlich stolze 700 Pfund (812 Euro) für die Übertragungen der Premier-League-Spiele verlangte, kam der Tipp ihrer damaligen Brauerei gerade recht: Diese präsentierte Murphy das Angebot eines griechischen Anbieters Nova, der nur 800 Pfund im Jahr für englischen Topfußball, versehen mit griechischem Kommentar, verlangte.

Doch das Sparprinzip sollte ihr bald darauf verboten werden, die Kneipenchefin wurde vor sechs Jahren von einem anscheinend übermächtigen Gegner verklagt: der Football Association Premier League. Sechs Jahre ist das her, doch Murphys Wille war unbeugbar. Gestern nun begoss sie überglücklich ihren Sieg mit einem Pint Bier, nachdem sie vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg recht bekam. In Zukunft könnte der Name Murphy ähnlich bekannt werden wie der von Jean-Marc Bosman, der 1995 das europäische Transfersystem und die Ausländerbeschränkungen in den Mannschaftssportarten pulversierte. Denn mit dem Urteil wird die nationale Exklusivvermarktung von Fußballspielen im Fernsehen ins Wanken gebracht, mit noch nicht absehbaren Folgen für Vereine und Fußballfans. Können die Anhänger künftig die Bundesliga günstiger schauen? Müssen die Klubs mit finanziellen Einbußen rechnen?

Die bisherige Regelung. Der derzeitige TV-Vertrag der Deutschen Fußball-Liga (DFL) läuft noch bis zum Ende der Saison 2012/13 und garantiert dem Verband 412 Millionen Euro Einnahmen pro Saison. 240 Millionen Euro kommen vom Pay-TV-Sender Sky (2,7 Millionen Abonnenten), der alle Spiele der Bundesliga und der Zweiten Liga live überträgt. Die Deutsche Telekom zeigt über "Liga Total" die Spiele live im Internet. Bisher bietet die Deutsche Fußball-Liga ausländischen Sendern nur fünf Livespiele pro Spieltag an, mit Ausnahme von Österreich und der Schweiz, wo die Preise ähnlich wie in Deutschland sind. 50 Millionen Euro erlöst die DFL mit der Auslandsvermarktung derzeit, knapp die Hälfte kommt aus europäischen Ländern.

Die neue Rechtslage. Der EuGH entschied nun, dass ein Lizenzsystem, "das Rundfunkanstalten eine gebietsabhängige Exklusivität für einzelne Mitgliedstaaten einräumt und den Fernsehzuschauern untersagt, diese Sendungen in anderen Mitgliedstaaten mittels einer Decoderkarte anzusehen", EU-Recht widerspreche. Entsprechend verstoßen nationale Rechtsvorschriften, wonach Einfuhr, Verkauf und Verwendung ausländischer Decoderkarten untersagt sind, gegen den freien Dienstleistungsverkehr. Theoretisch könnten ausländische Sender dann Bundesligarechte für die Verbreitung in Deutschland kaufen.

Die möglichen Folgen. "Wir müssen feststellen, dass auf europäischer Ebene die von den Rechtenachfragern akzeptierte Praxis mit individuellen Rechtezuschnitten für unterschiedliche Gebiete trotz zahlreicher Warnungen infrage gestellt wird", reagierte die DFL in einer Stellungnahme wenig erfreut. Der Verband will noch in diesem Jahr die TV-Rechte neu ausschreiben, die bisher rund ein Drittel der Gesamteinnahmen der Fußballvereine ausmachen. Die Hoffnung, ab 2013 deutlich mehr als jene 412 Millionen Euro zu erlösen, schwindet mit dem Urteil. Einen Preissturz für die Bundesliga erwartet Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nicht, allerdings sei offen, "welche Auswirkungen das Urteil auf die Champions League und die Europa League haben wird". Wesentlich bedeutender könnten die Auswirkungen auf den britischen Fußball sein, wo BSkyB 1,85 Milliarden Euro pro Saison zahlt.

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Dennoch verloren auch die Aktien von Sky Deutschland fast acht Prozent ihres Wertes. Das Papier wurde gestern Abend mit 1,61 Euro notiert. In Zukunft dürfte es der Pay-TV-Sender schwerer haben, Abonnements an Gastronomiebetriebe zu verkaufen, und muss sich auf einen stärkeren Wettbewerb einstellen. Dass Europas Fußballligen bald nur noch einem Anbieter ein Recht für die EU verkaufen könnte, halten Experten wie Vera-Carina Elter von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG für unwahrscheinlich. Sie sagte der dpa, es fehle schlicht an einem Sender, der so ein Paket finanziell stemmen und für die Verbreitung sorgen könnte.

Karen Murphy wird die neue Entwicklung interessiert verfolgen, denn ein Decoder fehlt derzeit im Red White & Blue. Sie will erst wieder Fußballbilder laufen lassen, wenn sie das Urteil schriftlich vorliegen hat.