Spätestens nach dem Sieg gegen Brasilien sieht sich das jüngste DFB-Team aller Zeiten um den 19-jährigen Dortmunder auch selbst als EM-Favorit

Stuttgart/Hamburg. Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Mario Götze am Mittwoch auch die letzte Hürde eines denkwürdigen Abends gekonnt umdribbelte. Rekordträchtige 600 Journalisten waren für das Prestigeduell des dreifachen gegen den fünffachen Weltmeister in der neuen Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena akkreditiert - und nahezu jeder von ihnen wollte anschließend mit dem unumstrittenen Protagonisten des 3:2-Sieges gegen Brasilien sprechen. DFB-Pressesprecher Harald Stenger reagierte prompt und beorderte den Startelfdebütanten auf das Podium der Pressekonferenz, wo der gerade mal 19-jährige Dortmunder eine so abgeklärte Figur wie einige Minuten zuvor auf dem Spielfeld machte. Im Großen und Ganzen sei er mit dem Spiel ganz zufrieden gewesen, sagte Götze und untertrieb dabei so maßlos, dass er selbst lachen musste.

Es war nicht nur Götzes beeindruckende Leistung gegen Brasilien, die die Laune im DFB-Lager auf ein Rekordhoch steigen ließ. Knapp ein Jahr vor der Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine scheint kaum ein Nationalspieler noch ernsthafte Zweifel zu hegen, einer ganz besonderen Generation anzugehören, die in Deutschlands Fußballgeschichte allenfalls mit den Weltmeistern von 1990 und den Europameistern von 1972 vergleichbar ist. Mal abgesehen vom Welt- und Europameister Spanien, Vizeweltmeister Niederlande und Champions-League-Sieger FC Barcelona spielt zurzeit weltweit keine andere Mannschaft einen derart attraktiven Fußball wie das Team von Bundestrainer Joachim Löw. "Wir wollen nicht mehr im Halbfinale ausscheiden, sondern beim nächsten Turnier einen Titel holen. Wir gehören jetzt zu den besten Mannschaften der Welt", sagte der frühere Hamburger Jerome Boateng, der nur einer von rund 40 überdurchschnittlich veranlagten Profis ist, aus denen Löw nach Lust und Laune auswählen darf.

"Mein Ziel war es schon vor einigen Jahren, dass der Kader auch in der Breite noch mehr Qualität bekommen muss", sagt der seit fünf Jahren tätige Nationaltrainer, "ich bin froh, dass wir einen gesunden Konkurrenzkampf haben." Dabei verschweigt Löw sogar, dass in den erweiterten Kader der Nationalmannschaft, dem sich natürlich auch die in Stuttgart abwesenden Sami Khedira und Mesut Özil (beide Real Madrid) sowie Kevin Großkreutz und Marcel Schmelzer (beide Borussia Dortmund) zugehörig fühlen dürfen, weitere Toptalente wie Julian Draxler (Schalke 04) und Gladbachs Marc-André ter Stegen drängen. Beide wurden vor dem Spiel gegen Brasilien im Stuttgarter Mercure-Hotel neben Bayerns U-17-Talent Emre Can in ihren Altersklassen mit der goldenen Fritz-Walter-Medaille ausgezeichnet.

Die Bedeutung dieser Auszeichnung lässt sich am leichtesten beim Blick auf die Gewinner in den vergangenen zwei Jahren erklären. Sowohl 2009 als auch 2010 erhielt der am Mittwoch so grandios aufspielende Götze die goldene Plakette, die in ihren jeweiligen Altersklassen auch schon Benedikt Höwedes (2007), Toni Kroos (2008) und Lewis Holtby (2009) erhielten. Letztgenannter traf am Dienstag doppelt beim 4:1-Sieg der U 21 gegen Zypern und gilt als nächstes Mitglied der goldenen Generation Götze. Nur Bundestrainer Löw scheint die Jubel-Trubel-Heiterkeit-Stimmung etwas suspekt: "Unsere Entwicklung ist gut, aber das heißt noch nicht, dass wir uns mit Weltmeister Spanien messen können." Noch nicht.

Dabei dürfte der 51-Jährige bereits beim nächsten Länderspiel am 2. September gegen Österreich erstmals von Anfang an Götze und Özil aufbieten, was jeden Fußballfan schon zwangsläufig träumen lässt. "Es ist sehr wohl möglich, dass Mario und Mesut zusammen spielen", sagt Löw, "wenn wir etwas gewinnen wollen, dann brauchen wir viele Topspieler." Und vor allem junge. So lag der Altersdurchschnitt der Startelf aus dem Brasilienspiel gerade mal bei 23,5 Jahren - nie war eine deutsche Mannschaft jünger. "Wir sind zwar noch sehr jung, spielen aber in unterschiedlichen Konstellationen schon länger zusammen", sagte Boateng, "wir haben uns ein gewisses Selbstbewusstsein erarbeitet."

Als Beleg dafür dürfen die letzten Auftritte Götzes dienen, der sich bereits am Freitag beim Bundesligaauftakt das Prädikat "Weltklasse" verdiente. "Nach dem Spiel gegen den HSV habe ich viel in den Zeitungen über mich gelesen und musste damit erst mal klarkommen", sagte der als "Jahrhunderttalent" (Wolfsburgs Felix Magath) bezeichnete Jungstar, der die eigene Entwicklung erstaunlich gut verarbeitet. "Ich habe jeden Moment genossen", sagte der 1,70 Meter kleine Mittelfeldregisseur, den der HSV vor einem Jahr verpflichten wollte. Das umworbene Talent entschied sich aber dafür, bei seinem Heimatverein, für den er seit seinem neunten Lebensjahr spielt, zu bleiben.

Im Gegensatz zu Götze, der nur während des Spiels gegen Brasilien Attacke um Attacke anführte, wählten seine etwas erfahreneren Mitspieler auch nach der Partie die Offensive. "Wir haben den fünfmaligen Weltmeister dominiert. Jetzt wollen wir bei der EM auch endgültig Spanien stürzen", sagte Philipp Lahm, dem Bastian Schweinsteiger verbal zur Unterstützung kam: "Wir brauchen uns vor Spanien nicht mehr zu verstecken. Mit solchen Siegen verschaffen wir uns gehörigen Respekt." Dass Spanien beinahe zeitgleich gegen Italien 1:2 verlor, wurde im Übrigen sehr wohlwollend registriert.