Vor dem Duell gegen den FC St. Pauli sucht der VfL noch seine Rolle in der Zweiten Liga. Ein erneutes Scheitern wäre für den Klub fatal.

Hamburg. Aktuell ist das Ziel erreicht, und auch mittelfristig scheint man angesichts der erkennbaren Philosophie im infrastrukturellen wie im sportlichen Bereich auf einem guten Weg. Der FC St. Pauli befindet sich bezüglich seiner klar formulierten Ziele im Soll, gehört zu den Top 25 im deutschen Profifußball und will diesen Platz in den kommenden Wochen, Monaten und Jahren verteidigen. Insofern könnte das morgige Auswärtsspiel beim VfL Bochum (20.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) zu einer Art Bildungsreise werden. Trotz sechs Bundesliga-Abstiegen zählen die Bochumer seit 43 Jahren ohne Unterbrechung zu diesem elitären Kreis. Mehr noch: Seit 1970 stand eine Bochumer Mannschaft am Saisonende nie schlechter als auf dem dritten Platz der zweithöchsten Spielklasse. Eine beeindruckende Serie, um deren Ende nun aber gefürchtet wird. In Bochum geht die Angst um.

Spätestens seit dem dürftigen 0:0 am Montag bei Aufsteiger Hansa Rostock mehren sich im Umfeld ernsthafte Befürchtungen, dass am Saisonende mit einer langen Tradition gebrochen werden muss. Der Tabellenzwölfte der Ewigen Bundesligatabelle droht erstmals seit einer halben Ewigkeit das Oberhaus aus den Augen zu verlieren. Ein Sieg, ein Unentschieden und eine Niederlage zum Auftakt bedeuten Mittelmaß, das viele dem VfL auch mittelfristig prophezeien. "Wir sind dabei, uns darauf einzurichten, dass es vielleicht für einige Zeit nicht zurück nach oben geht", bestätigt Autor, Filmemacher und Bochum-Fan Ben Redelings.

Von 1971 bis 1993 spielte sein VfL in der Bundesliga. Fünf Abstiegen 1993, 1995, 1999, 2001 und 2005 folgte jeweils die sofortige Rückkehr. "Die Zweite Liga war wie Knast, aber du wusstest ja, dass du in einem Jahr wieder draußen bist. Das hat uns eine gewisse Selbstverständlichkeit und Gelassenheit gegeben, da es ja sowieso wieder klappen wird", sagt Redelings. Bis zur vergangenen Saison, als der VfL nach 0:1 und 1:1 in der Relegation gegen Mönchengladbach erstmals den direkten Wiederaufstieg verpasste und eine gefühlte Fußballgesetzmäßigkeit außer Kraft gesetzt war. Der Fahrstuhl klemmt.

Die Top 25: für St. Pauli ein Segen, für den VfL ein Fluch. Das vordere Mittelfeld der Zweiten Liga zumindest wäre für die Ansprüche in Bochum zu wenig. "Sollte das über Jahre hinaus anhalten, tragen die Kinder hier auf den Bolzplätzen bald nur noch Dortmund- oder Schalke-Trikots", prophezeit Redelings mit Blick auf die übermächtigen Nachbarn, "St. Pauli hat ein eigenes Image. Aber wir sind eben nicht ganz, ganz anders. Rot-Weiss Essen dagegen hat selbst in der Regionalliga 8000 bis 12 000 Zuschauer. Wenn bei uns der sportliche Erfolg ausbleibt, dann ist hier irgendwann Schicht im Schacht!" Nur Schwarzmalerei eines besorgten Fans? Helmut Schulte jedenfalls scheut den Vergleich noch. "Die Bochumer haben mit den vielen Jahren in der Bundesliga doch eine weitaus erfolgreichere Historie als wir", sagt St. Paulis Sportchef, "bei uns kommen vereinzelte Aufstiege Ausrutschern gleich, bei Bochum sind es die Abstiege. Wenn wir so oft in die Bundesliga rutschen wie die in die Zweite Liga, ist alles gut. Dann tauschen wir einfach wieder die Plätze."

Tatsächlich fielen die vergangenen beiden Aufstiege St. Paulis 2001 und 2010 mit Abstiegen des VfL zusammen. Das letzte Punktspielduell liegt mehr als zwölf Jahre zurück. Die aktuellen Entwicklungen lassen Schultes augenzwinkernden Vorschlag vom unregelmäßigen Ligentausch aber unwahrscheinlich werden. St. Pauli hat die bessere Perspektive. "Wir steigen auf, wir steigen ab. Und zwischendurch Uefa-Cup", sangen die Bochumer Fans mit stolzem Blick auf die Europapokal-Teilnahmen 1997 und 2004. Der Uefa-Cup wurde 2009 abgeschafft, der Bochumer Aufstiegsnimbus im Sommer 2011. "Wir wandeln auf einem ganz schmalen Pfad", weiß auch Redelings.