Der extrovertierte Superstar Neymar soll heute gegen Deutschland treffen. Verfolgen Sie das Spiel auf abendblatt.de im Liveticker (20.45 Uhr).

Stuttgart. Gerade einmal vier Minuten dauerte Neymars erster Auftritt in Stuttgart - und hinterließ doch einen bleibenden Eindruck. Eine umgedrehte Basketballkappe mit dem Emblem Michael Jordans, zwei blitzende Diamanten im linken, ein blinkender Stein im rechten Ohr und eine nicht weniger strahlende Kette mit einem großen Kreuz, die demonstrativ über dem schwarzen Shirt baumelte. So sieht ein Superstar aus. "Ich habe ihn berührt", schrie eine weibliche Anhängerin der Selecao hysterisch, als sie vom überforderten Sicherheitspersonal des Graf-Zeppelin-Hotels auf den Arnulf-Klett-Platz hinausgebeten wurde, wo sich gerade die Stuttgart-21-Demonstranten in Stellung brachten.

Neben der wahrscheinlich unvergesslichen Berührung reichte die Zeit für den Angehimmelten gerade so aus, den rund 50 angereisten Journalisten aus Brasilien und Spanien zwischen Drehtür und Fahrstuhl schnell noch zu versichern, dass er vor dem heutigen Spiel gegen Deutschland (20.45 Uhr/ARD) nur an die Nationalmannschaft denke. "Es ist nicht der Zeitpunkt, sich über Real Madrid oder den FC Barcelona Gedanken zu machen", sagte der 1,74 Meter große Brasilianer, ehe er sich wenig später durch die Hotellobby bis zum Fahrstuhl gedribbelt hatte.

Neymar da Silva Santos Junior ist 19 Jahre alt, hat noch nie eine WM gespielt und macht derzeit trotzdem die gesamte Fußballwelt verrückt. Alle großen Sportzeitungen aus Spanien haben ihre Reporter nach Stuttgart geschickt, um herauszufinden, welchem Topklub Santos' "Novo Rei", der neue König, das herbeigesehnte Jawort gibt. Glaubt man dem alten König, "O Rei" Pelé, darf sich der zukünftige Klub, Favorit ist derzeit Real Madrid, auf ein echtes Jahrhunderttalent freuen.

"Am Ball kann Neymar alles", sagte Pelé, dem neben den Fans der Selecao besonders einer großen Glauben schenkt: Neymar selbst. Er wolle noch besser als Messi werden, ließ der mit einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein ausgestattete Jungstar unlängst verlauten. Seine Ablöse wurde vom Pelé-Klub FC Santos vorsorglich auf 45 Millionen Euro festgeschrieben, was Reals Verantwortliche belustigt zur Kenntnis genommen haben sollen. Das letzte Gerücht: Bis Dezember soll der Mann mit dem unverwechselbaren Irokesenschnitt für über eine Million Euro pro Monat in Santos bleiben, dann für nicht weniger Geld nach Madrid wechseln.

Nur Nationaltrainer Mano Menezes kann mit der Neymar-Hysterie derzeit nicht viel anfangen. "Neymar ist nicht der neue König Brasiliens", sagt der 49-Jährige, der keine Lust hat, von den Launen eines gerade mal 19-Jährigen abhängig zu sein. Im Gegensatz zu seinem glücklosen Vorgänger Carlos Dunga hat Menezes aber rechtzeitig erkannt, dass an dem neuen Werbestar Brasiliens bei aller Zurückhaltung langfristig kein Weg vorbeiführt. Natürlich wird Menezes Neymar heute gegen Deutschland spielen lassen, genauso wie Ganso, 21, Pato, 21, und vielleicht auch noch Robinho, 27, die das Quadro Mágico in Brasiliens Offensive komplettieren. Nachdem Dunga auf das Erbe des "Jogo bonito", des schönen Fußballs, das in Brasilien heilig ist, ganz offiziell spukte und eine leb- und freudlose Söldnertruppe zur WM nach Südafrika führte, dort aber im Viertelfinale gegen die Niederlande ausschied, hat nun Menezes jede Menge damit zu tun, die Herzen der traditionell kritischen Fans und Medien zurückzugewinnen.

Spätestens nach der Copa América, bei der Brasilien zwar in Ansätzen schönen Offensivfußball zelebrierte, aber erneut im Viertelfinale gegen Paraguay scheiterte, weiß auch Menezes, dass den Brasilianern gut anzusehender Fußball alleine nicht reicht.

Nach sieglosen Testspielen gegen die Niederlande, Argentinien und Frankreich dürstet nun das ganze Land nach einem Erfolgserlebnis gegen eine Fußballnation. Der Selecionador, der während seiner einjährigen Amtszeit insgesamt 60 Neulinge nominierte, ergriff die Flucht nach vorne und machte drei Freundschaftsspiele innerhalb kurzer Zeit ab. Die Gegner: Deutschland, Italien und Spanien. "Die jungen Spieler müssen reifen, und das können sie am besten in solchen Spielen", sagt Menezes, der einen deutlich formulierten Dreijahresauftrag bekommen hat. Bei der Heim-WM 2014 wäre alles andere als der Titel für die Fans des fünfmaligen Champions eine schallende Ohrfeige.

Ob Menezes tatsächlich die Zeit bekommt, aus dem Rudel junger Welpen um Neymar, Ganso und Pato echte Leitwölfe zu formen, scheint zumindest fraglich. "Eine desaströse Vorstellung", mahnte Brasiliens führende Tageszeitung "O Globo" bereits nach dem unglücklichen Aus bei der Copa an, drei Jahre zuvor hatte die gleiche Zeitung nach einer 0:3-Niederlage gegen Erzfeind Argentinien zynisch eine Todesmeldung abgedruckt, mit der das Ableben der Nationalmannschaft verkündet wurde.

Neymar, dem vor dem gestrigen Abschlusstraining der Brasilianer in der Mercedes-Benz-Arena erneut zahlreiche Mikrofone entgegengestreckt wurden, scheint die aufkommende Unruhe im heimischen Blätterwald kaum zu stören. "Wir müssen unsere Lehren aus der Copa ziehen und uns in Ruhe weiterentwickeln", sagte der König, der kein König sein soll. Seinen Stil, Fußball zu spielen, das machte der Mann mit dem Zauberfüßchen noch mal deutlich, werde er trotz der Kritik, er spiele zu egoistisch, jedenfalls keinen Millimeter verändern. Den deutschen Reportern ließ er über einen Dolmetscher noch schnell ausrichten, dass er großen Respekt habe vor der Mannschaft von Joachim Löw, "besonders vor Mesut Özil". Dass sein eventuell zukünftiger Mitspieler von Real Madrid heute Abend gar nicht dabei ist, wollte dem kleinen König lieber keiner sagen.