Die neuen Weltmeisterinnen aus Japan feiern ihren großen Triumph in aller Stille. Ihr Erfolg gegen die USA steht für den Abschied vom Kraftfußball.

Frankfurt/Main. Um 0.40 Uhr fuhr eine Lokomotive durch die Katakomben des Frankfurter Stadions. Kozue Ando vom FCR Duisburg marschierte singend voran. Allerdings wuchs die Menschenkette der Weltmeisterinnen nur auf vier Spielerinnen an und kam gerade mal zehn Meter voran, dann zischte es aus mehreren Richtungen "Psst! Psssssst!"

Yuki Nagasato und Homare Sawa gaben gerade Interviews und wollten nicht gestört werden. Augenblicklich verstummte die Menschenkette und löste sich auf.

So sah sie aus, die japanische Siegesfeier nach dem dramatischen 5:3 (2:2)-Finalsieg nach Elfmeterschießen gegen die USA. Es dürfte die erste der Geschichte gewesen sein, die ohne Party auskam. Keine Sektduschen, keine Gesänge, keine Tänze waren in den Stunden nach dem Schlusspfiff zu vernehmen. Stattdessen trotteten müde Spielerinnen, die nach Shampoo und nicht nach Champagner rochen, an den wartenden Journalisten vorbei und beantworteten artig immer gleiche Fragen. "Ohne meine Mannschaft wäre ich wertlos, deswegen gehören die Titel uns allen" sagte Spielgestalterin Sawa, die vom Weltverband Fifa als beste Spielerin und erfolgreichste Torschützin (fünf Treffer) ausgezeichnet worden war. "Es waren keine leichten Zeiten nach dem Erdbeben. Ich hoffe, dass wir den Japanern Mut und Hoffnung gegeben haben und sie sich trauen, wieder von einer besseren Zukunft zu träumen."

Die Gedanken an die Tsunami-Katastrophe hatte die Asiatinnen seit dem Beginn ihrer WM-Mission begleitet, sie trugen die schwere Bürde mit bemerkenswerter Leichtigkeit. "Ich habe immer an uns geglaubt", sagte Potsdams Stürmerin Nagasato. Im Elfmeterschießen setzte sich Japan mit 3:1 durch, weil das US-Team das Kunststück fertigbrachte, drei von vier Versuchen zu vergeben. "Zur Feier", sagte Nagasato, "werde ich wohl ein Bier trinken." Also doch, ein bisschen Ekstase wird dann wohl erlaubt sein.

Die Zurückhaltung der Japanerinnen wird am meisten in Erinnerung bleiben von diesem Turnier, neben dem ersten WM-Titel für eine asiatische Mannschaft natürlich. Als Saki Kumagai vor 15,34 Millionen deutschen Fernsehzuschauern den entscheidenden Elfmeter verwandelt hatte, stürmten die Spielerinnen zu ihr und Torhüterin Ayumi Kaihori und begruben sie unter einer Menschentraube. Dann trabten einige von ihnen zurück zur Auswechselbank, vor der Trainer Norio Sasaki mit verschränkten Armen ausgeharrt hatte. In seinem Gesicht war keine Emotion zu erkennen. Erst als ihn die Spielerinnen zu sich baten, verbeugte sich Sasaki und folgte ihnen. Anschließend sagte er: "Wir möchten uns bei den Freunden in der Heimat bedanken. Sie haben uns Mut und Kraft gegeben." Er überlegte kurz, dann ergänzte er: "Aber jetzt müssen wir los. Am Wochenende geht die Liga in Japan weiter."

Auch in den USA geht der Spielbetrieb am Wochenende weiter. Hope Solo, Abby Wambach und ihre Kolleginnen dürften das als Segen begreifen, so bleibt ihnen wenig Zeit zur Trauer. Lange sah die Elf von Trainerin Pia Sundhage wie der sichere Sieger aus, die Zuschauer hatten sich darauf eingerichtet, den USA als Rekordweltmeister zu huldigen. Am Ende sollten sie irren - offensichtlich sehr zur Freude der deutschen Repräsentanten im Stadion. Bundestrainerin Silvia Neid und Teammanagerin Doris Fitschen konnten ihre Glücksgefühle nicht verbergen, als Spielführerin Sawa um 23.40 Uhr den WM-Pokal in den Konfettiregen hob. Immerhin, dachten sie beim Deutschen Fußball-Bund, können sie nun behaupten, gegen den Weltmeister ausgeschieden zu sein. Ein ähnlich schwacher Trost wie die erneut tadellose Vorstellung von Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus, die als erste Deutsche ein WM-Finale leitete.

Der Sieg der "Nadeshiko", der Prachtnelken, darf daher begriffen werden als Triumph des modernen Spiels über den wuchtigen Hauruck-Stil der Dominatoren vergangener Jahre (siehe auch Kommentar). Mit feinen Pässen kombinierte sich der Weltranglisten-Vierte durch das Mittelfeld und übertrug damit als erstes Team die bei den männlichen Kollegen seit Jahren erfolgreiche Spielkultur Spaniens und des FC Barcelona auf den Frauenfußball. Es könnte der Beginn einer neuen Epoche sein. Zumindest aber ist es das Ende der Herrschaft deutscher und amerikanischer Kraftfußballerinnen.