Mehr als die Hälfte aller Bundesligaprofis soll tätowiert sein. Ein Trend, der hübsch anzusehen, aber alles andere als unbedenklich ist.

Hamburg. Es ist ein echtes Kunstwerk, was sich Eljero Elia im März 2010 auf seinen Oberkörper hat tätowieren lassen. Ein Engel samt Flügeln ziert die Brust, darüber hat der HSV-Profi in geschwungenen Buchstaben Sael, den Namen seiner Tochter, schreiben lassen. Abgerundet wurde das großflächige Körpergemälde durch das fein säuberlich gezeichnete Lebensmotto, das sich der Niederländer unter den Engel hat stechen lassen: "Droom niet van je leven, maar leef van je dromen" steht da auf Holländisch geschrieben: Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum.

Elias Traum von einem individuellen Tattoo auf seiner Brust entpuppte sich aber nur wenig später als echter Albtraum. Der Mittelfeldmann hatte sich als Folge der Tätowierung mitten in der Saison eine schmerzhafte Infektion zugezogen. Der Nationalspieler durfte nicht mehr trainieren, nicht mehr duschen, sogar das Überstreifen eines Trikots sorgte für Schmerzen. Um unangenehme Fragen zu umgehen, gab der HSV nach außen eine Sportverletzung für den Ausfall des Stars an. Innerhalb des Vereins sorgte der Fall dagegen für ein Beben der stärkeren Sorte. Ex-Trainer Bruno Labbadia hatte kein Verständnis für die folgenschwere Körperkunst. Gerade mal 17 Minuten durfte Elia, der zudem mit den Folgen einer Fußoperation zu kämpfen hatte, bis zum Ende der Saison noch spielen.

Den zunehmenden Tattoo-Trend unter den Profis, den der Hamburger Sportsoziologe Hans-Jürgen Schulke als Folge der "Beckhamisierung des Fußballs" bezeichnet, hat die peinliche Posse allerdings nicht gebremst, ganz im Gegenteil. Während rund 9,5 Prozent der Deutschen tätowiert sind, soll die Quote in der Bundesliga fünfmal so hoch sein. "Fußballer sind heutzutage massenhaft präsentierte Medienikonen. Tätowierungen helfen den Sportlern, ihre individuelle Identität zu formen", sagt Schulke. Alleine beim HSV sollen neben Elia auch Dennis Diekmeier, Wolfgang Hesl, Dennis Aogo, Marcell Jansen, Änis Ben-Hatira, Paolo Guerrero, Mladen Petric, Guy Demel und sogar Kapitän Heiko Westermann tätowiert sein. Beim FC St. Pauli hat laut Teammanager Christian Bönig "so gut wie jeder ein Tattoo".

"Ich habe vornehmlich Motive, die meinen Glauben als Christ und meine Familie betreffen", sagt HSV-Linksverteidiger Aogo, der sich weitere Tattoos stechen lassen möchte, allerdings bis zur Winterpause wartet: "Gerade in Zweikämpfen könnte es während der Saison unangenehm sein."

Aus medizinischer Sicht ist das sogar noch untertrieben, was nicht nur der Fall Elia beweist. "Eine frische Tätowierung belastet die Haut erheblich. Wie bei jedem invasiven Eingriff besteht grundsätzlich die Gefahr einer akuten Infektion", sagt die Frankfurter Fachärztin für Dermatologie und Venerologie Andrea Schlöbe. Die Expertin warnt ausdrücklich davor, sich während der Saison tätowieren zu lassen: "Je kürzer die Pause zwischen dem eigentlichen Tätowieren und der Wiederaufnahme des Sports, desto größer ist die Gefahr, dass sich eine Komplikationen entwickelt." Zudem verweigern immer mehr Ärzte Kernspin-Untersuchungen bei Patienten mit Tätowierungen, weil es dabei zu Verbrennungen durch das Eisen in den Farben kommen kann. Eine Problematik, die besonders im Profisport Sorgen bereitet, da Kernspin-Untersuchungen wegen kleinerer Verletzungen häufig vorkommen. Wer trotzdem nicht auf die Körperkunst verzichten will, sollte laut Schlöbe mindestens zwei Wochen nach einem frischen Tattoo auf Sport verzichten.

HSV-Trainer Michael Oenning nimmt den nicht unproblematischen Zeitgeist ernst, will aber nicht übertreiben. "Natürlich würde ich es nicht akzeptieren, wenn ein Spieler sich während der laufenden Saison großflächig tätowieren lässt und dann mit dem Training aussetzen müsste", sagt Oenning, der aber keine Notwendigkeit für Sofortmaßnahmen sieht: "Vertraglich muss man das aus meiner Sicht nicht verankern, da setze ich auf die Eigenverantwortung der Spieler."

Dabei ist der HSV nicht der einzige Bundesligaklub, bei dem über die Thematik gesprochen wird. "Ich will die Gefahr nicht dramatisieren, aber wir haben darauf hingewiesen, dass wir Tätowierungen, die während der Spielzeit vorgenommen werden, grundsätzlich verbieten", sagt Bremens Sportchef Klaus Allofs, der gegenüber dem Abendblatt betont, einen Fall Elia bei Werder nicht zu tolerieren: "Das ist ein Risiko, dass wir einfach ausschließen müssen."

Dass ein Tattoo aber auch positive Randerscheinungen haben kann, hat der US-Basketballer Jason Terry von den Dallas Mavericks bewiesen. Der Mitspieler von Dirk Nowitzki hatte sich vor der NBA-Saison die Larry-O'Brien-Trophäe, die traditionell dem Meister nach der Spielzeit übergeben wird, auf der Innenseite seines rechten Bizeps stechen lassen. Für den Fall des Scheiterns kündigte Terry eine schmerzhafte und teure Entfernung an. Das Geld konnte der NBA-Star aber sparen. "Das Tattoo symbolisiert die Tatsache, dass wir eine realistische Chance hatten, so weit zu kommen. Hätte ich nicht daran geglaubt, hätte ich es auch nicht machen lassen", sagte Terry nach der Meisterschaft.

Sollte sich also irgendein HSV-Profi die Meisterschale stechen lassen, dürfte kaum ein Verantwortlicher etwas dagegen haben, solange es ein ähnliches Happy End wie bei Terry gibt. Große Träume bleiben erlaubt, solange sie nicht während der Saison auf der Brust niedergeschrieben werden.