Gegen Frankreich geht es für Deutschland heute um den Gruppensieg bei der WM - und um die Sorge vor einem Stimmungsumschwung.

Düsseldorf. Ulrike Ballweg hat durchaus ein massives Problem mit der öffentlichen Wahrnehmung dieser Tage. Wenn sie die Leute reden hört, oder wenn sie liest und sieht, was Fernsehen und Zeitungen so alles an Einschätzungen rund um Deutschlands kommenden Gegner produzieren, dann kommt es der Assistenztrainerin der Nationalmannschaft inzwischen so vor, als stünde der Weltmeister der Jahre 2003 und 2007 jetzt schon vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Im Duell mit Frankreich geht es um Platz eins und zwei in Gruppe A, und die öffentliche Wahrnehmung vor dem abschließenden Vorrundenspiel heute (20.45 Uhr, ZDF) in Mönchengladbach gibt Ballweg so wieder: "Frankreich ist absolut top. Die können alles, die können wunderbar Fußball spielen, und sie erzielen wunderbare Tore."

Die Tonlage der engen Vertrauten von Bundestrainerin Silvia Neid pendelt bei dieser Aufzählung irgendwo zwischen Verwunderung und Empörung. Es muss ihr ja auch so vorkommen, als wäre Frankreich das neue Deutschland - denn wunderbarer Fußball mit am Ende wunderbaren Toren, das war doch die Erwartung an den WM-Gastgeber. Auf dem lastet stattdessen bleischwer der Druck, dass sich trotz zwei Siegen zum Start die Stimmung im Lande weiter verschlechtern könnte. Wahrlich nicht berauschend waren die Darbietungen gegen Kanada (2:1) und Nigeria (1:0), und gelingt jetzt kein Sieg über Frankreich, würde es sich mit dem Hype um das erhoffte "Sommermärchen reloaded" verhalten wie mit der allgemeinen Großwetterlage: Unerwartet ist es schlagartig herbstlich geworden.

Ohne Sieg über Frankreich würde im Viertelfinale voraussichtlich Japan warten, auch so ein Team, das bis jetzt wunderbaren Fußball gespielt und wunderbare Tore erzielt hat. Womit am Ende dieser fatalen Ereigniskette schon nach der ersten K.-o.-Runde stehen könnte, was Mittelfeldspielerin Simone Laudehr vorab als "Albtraum für uns alle" deklariert hat: das Aus im Viertelfinale am Sonnabend. Das jähe Ende der Mission Titelhattrick. Oder malen alle zu schwarz?

Nach zwei Spielen stehen zwei Siege, und nur zwei Schüsse gestatteten Nadine Angerers Vorderleute ihren Gegnerinnen bislang, Kanada und Nigeria jeweils einen. Weswegen Ballweg die öffentliche Wahrnehmung auch zu konterkarieren versucht, indem sie davon spricht, dass die Analyse des Trainerteams vom hölzernen Kick gegen Nigeria doch eine positive war. Auf die Härte der "Knochenbrecher" (Laudehr) hätten die deutschen Frauen mit Ruhe geantwortet - taktisch wie mental. "Das war beides nicht einfach", sagt Ballweg. Das Tor zum Sieg haben sie sich schließlich erarbeitet. Inka Grings, die eingewechselte Angreiferin, die per Hacke eine Art Vorvorlage gegeben hatte, sagte anschließend: "Wer solche Spiele wie gegen Nigeria gewinnt", solche Abnutzungsschlachten, wie sie inzwischen auch im Frauenfußball stattfinden, "der kann Weltmeister werden."

Taktisch clever und kühl im Kopf - was nur fehlt, ist das Zusammenspiel auf dem Weg nach vorn. Die Offensive, das vermutete Prunkstück der Mannschaft, "ist momentan unser Manko", sagt Stürmerin Alexandra Popp. Über das Warum rätselt auch sie: "Wir wissen ja, dass wir es können." Doch statt eroberte Bälle wie gewohnt schnell und präzise zum Angriff zu nutzen, dilettieren die Frauen in Stollenschuhen.

Wie Sirup bekamen die Spielerinnen in Einzelgesprächen mit dem Trainerteam eingeträufelt, dass sie doch bitteschön weiter an ihr traditionell so erfolgreiches Spiel glauben sollten. Und um dieses Vertrauen weiter zu stärken, stand auch in der aktiven Vorbereitung auf das Endspiel um den Gruppensieg der Spaß im Vordergrund. Nein, nein, beeilt sich Ballweg zu sagen, sie hätten deshalb nun "nicht Wasserball gespielt, wir bleiben beim Fußball". Doch sollte in der Arbeit auf dem Rasen gezielt etwa das Spiel fünf gegen fünf auf kleinem Feld actionreich viele Torszenen herbeiführen. "Dieses Ziel haben wir erreicht", resümiert Ballweg.

Unabhängig davon glauben die Spielerinnen daran, dass sie sich in der Offensive ausgerechnet gegen Frankreich wieder steigern werden. Eine auf Angriff fokussierte Mannschaft wie Frankreich werde ihnen liegen, verspricht Stürmerin Alexandra Popp. Denn: "Die stehen nicht nur hinten drin, da werden sich Lücken ergeben." Und die für kreative Lösungen zuständige Fatmire Bajramaj, zuletzt allerdings nur in der Jokerrolle, verkündet sogar: "Wir lieben es, gegen solche Gegner zu spielen."

Die Großwetterlage immerhin stützt diese Einschätzung: Von Mittwoch an stehen die meteorologischen Zeichen im Land wieder auf Sommer(märchen).