Die Ärmel sind ein bisschen zu kurz geworden, und auch der große Zeh mag sich nicht mehr in angemessenen Abstand zum Leder fügen. Nach einer Woche Frauenfußball-WM, mit all den Insignien einer massentaumeltauglichen Sportgroßveranstaltung, gleicht das Auftreten der deutschen Mannschaft einem Kind, das nach einem Wachstumsschub an verschiedenen Stellen aus seinen Kleidern drängt.

Staunend steht das deutsche Team vor dem Ereignis, das gerade um sie herum eine schwer zu fassende Dynamik entwickelt. Schwankten die Gesten und Spielzüge im Eröffnungsspiel noch zwischen Euphorie und Ehrfurcht, war spätestens im zweiten Gruppenspiel gegen Nigeria am Donnerstag alle Leichtigkeit aus den Gesichtern und Füßen der Spielerinnen gewichen. Die Suche nach dem Umgang mit der eigenen Rolle forderte das Team offenkundig mehr als die von der Schiedsrichterin lächelnd tolerierte, überharte Spielverderberei der Nigerianerinnen. Während die beim WM-Start spürbare Unsicherheit in der wechselseitigen Erwartungshaltung zwischen Mannschaft und Publikum am Ende des Spiels einer gemeinsamen Erfolgschoreografie gewichen war, wog die Realität der ersten WM-Tage offenkundig schwerer.

Überragende TV-Quoten, flächendeckende Medienresonanz und eine Bewertung des reinen Fußballspiels waren vor dem Turnier Wunschvorstellungen der Beteiligten. All das übertrifft in diesen Tagen die Erwartungen. Und nun hakt das Spiel. Liegt es tatsächlich an der Favoritenrolle, dass bislang kaum ein Spielzug mehr als drei Anspielstationen gefunden hat? Sind es die Pfiffe in der Halbzeit beim Nigeria-Spiel, die viele Spielerinnen erstmals in ihrer Karriere gehört haben und Linda Bresonik zu ungewohnt rustikalen Verteidigungsmethoden veranlasste? Ist es die Verarbeitung des überbordenden Interesses, die Lira Bajramaj im Dribbling verzagen lässt?

Wie auch immer, zumindest steckt in dieser Annahme eine Erleichterung. Die Erwartung jedenfalls, dass die sechs WM-Spiele lediglich die feierliche Vorbereitung auf die Übergabe des WM-Pokals an das deutsche Team sind, ist nun widerlegt. Erstmals kommt der Verdacht auf, dass es womöglich auch einen anderen Sieger geben könnte. Silvia Neid wird das zu nutzen wissen.

Die nächste Kolumne von Katja Kraus lesen Sie zum Spiel Deutschland - Frankreich