Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke erklärt den Dortmunder Erfolg . Zu einem Teil hat der BVB diesen auch dem HSV zu verdanken.

Hamburg. Da ist dieser eine Tag, der sich in das Gehirn von Hans-Joachim Watzke eingebrannt hat. Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Borussia Dortmund sitzt auf der Tribüne der Bielefelder Alm und muss mit ansehen, wie in der 79. Minute der Däne Jonas Kamper das entscheidende 1:0 für die Arminia gegen Watzkes BVB erzielt. Dortmund rutscht sieben Spieltage vor dem Saisonende auf den vorletzten Tabellenplatz ab, befindet sich in akuter Abstiegsgefahr. Der Verein war schon einmal so gut wie tot gewesen, entging nur knapp der Pleite. Watzke hatte anschließend maßgeblich dazu beigetragen, die größten Trümmer zu beseitigen. Doch nun droht mit dem sportlichen Kollaps erneut der K. o. des Traditionsklubs.

Fast auf den Tag genau vier Jahre liegt die Niederlage der Schwarz-Gelben in Bielefeld zurück. Vier Jahre nur. Kaum zu glauben, angesichts der diametralen Entwicklung, die beide Vereine seither genommen haben. Während die Arminia als Tabellenletzter der Zweiten Liga unter einer Schuldenlast von über 20 Millionen Euro zu ersticken droht, steht der BVB anno 2011 vor dem Gewinn seiner siebten deutschen Meisterschaft. Watzke, seit Kindertagen Fan der Borussia, ist stolz auf den Aufschwung, den sein Verein genommen hat. Er wirkt entsprechend gelassen, als er in ein dunkles Sakko und Karohemd gekleidet den Salon Privée der Brasserie Carls in der HafenCity betritt, um vor dem Spiel beim HSV am Sonnabend (15.30 Uhr) Journalisten einen Einblick in die Erfolgsgeschichte seines BVB zu gewähren.

Auch in Berlin und München war der 51-Jährige schon mit seiner exklusiven "Roadshow" zu Gast. Er legt wert darauf, dass der Auftakt der ungewöhnlichen Dortmunder Eigeninitiative (normalerweise kommen solche Termine nur auf Betreiben von Sponsoren oder Medien zustande) schon im September lag. Damals, als noch niemand sicher sein konnte, dass der BVB mit der Spielfreude seiner jungen Mannschaft vereinsübergreifend die deutschen Fußballfans begeistern und sechs Spieltage vor dem Saisonende mit sieben Punkten Vorsprung die Tabelle der Bundesliga anführen würde. Watzkes Intention für seine kleine Deutschlandreise war, das Konzept des börsennotierten Profi-Fußballklubs auch in Regionen bekannt zu machen, in denen die Borussia anders als im Ruhrgebiet nicht allgegenwärtig ist.

In diesen Tagen fällt es dem Diplom-Kaufmann umso leichter zu verdeutlichen, was sich die Dortmunder als Reaktion auf den Beinahe-Bankrott von 2004 ausgedacht haben. "Wir wollen sportlichen Erfolg, ohne neue Schulden zu machen", sagt der frühere Textilunternehmer und heutige BVB-Macher. Sparsamkeit ist das Credo des Mannes mit dem charakteristischen Sauerländer Einschlag, frei von Verbindlichkeiten ist der BVB schließlich noch nicht. 122 Millionen Euro waren es in Krisenzeiten, mehr als die Hälfte davon wurde abgetragen und das Stadion zurückgekauft. Mit Blick auf die wirtschaftliche Konsolidierung hatte der BVB teure Stars abgeben und auf junge Perspektivspieler setzen müssen. Ein Zwang, der später in einer Philosophie mündete, für die Watzke und Manager Michael Zorc zunächst nicht den richtigen Trainer hatten.

Beim Spiel gegen Bielefeld im März 2007 saß Thomas Doll auf der Bank des BVB. Es war der zweite Bundesligaauftritt als Trainer der Borussia für den ehemaligen HSV-Star, den Watzke und Zorc in einer Nacht-und-Nebel-Aktion als Nachfolger des zurückgetretenen Jürgen Röber verpflichtet hatten. "Damit niemand davon Wind bekommt, haben wir uns damals in einer abgelegenen Waldhütte getroffen", erzählt Watzke. Mit Doll vermied die Borussia schließlich nach einer Serie von zwölf Punkten aus fünf Spielen den Abstieg, erreichte im Jahr darauf das Pokalfinale. "Thomas hat das damals sehr gut gemacht", sagt Watzke.

Weil Doll jedoch entgegen der neuen BVB-Philosophie eher auf etablierte Spieler wie Daniel van Buyten als auf Talente wie Mats Hummels setzen wollte, habe man sich im Guten von ihm getrennt und einen neuen Trainer verpflichtet: Jürgen Klopp. Jenen ehemaligen Mainzer Spieler und späteren Trainer, der sich eigentlich schon mit HSV-Boss Bernd Hoffmann über einen Wechsel in die Hansestadt geeinigt hatte. Das Engagement platzte, weil sich nicht alle HSV-Vorstandsmitglieder auf den Kandidaten verständigen konnten. Letztlich sagte Klopp dann dem HSV ab.

Heute schreibt Watzke dem Trainer den entscheidenden Anteil des aktuellen Erfolgs zu. Unter seiner Regie wurden mit Hummels, Sven Bender, Mario Götze, Kevin Großkreutz und Marcel Schmelzer gleich fünf Dortmunder zu Nationalspielern. Klopp war es auch, der seinen Spielern jenes laufintensive System auferlegte, mit dem der BVB nun von Erfolg zu Erfolg eilt.

Torjäger Lucas Barrios und der Japaner Shinji Kagawa zeugen zudem wie einige junge deutsche Spieler vom guten Riecher, den die Verantwortlichen der Borussia in der jüngeren Vergangenheit bei Transfers bewiesen. Von Vorteil gegenüber anderen Vereinen sind bei den Geschäften auch die kurzen Wege beim BVB. Klopp, Zorc und Watzke müssen sich einig sein, kein Aufsichtsrat wie beim HSV braucht noch sein Votum abzugeben. "Wir haben so schon gemeinsam gute Transfers verhindert", sagt Watzke, "das eine oder andere ist aber auch ganz gut gelungen."

Der größte Teil des Teams steht nun längerfristig bei der Borussia unter Vertrag, eine goldene Zukunft winkt. Unabhängig davon, ob sie in Dortmund am Ende der Saison tatsächlich das lange umgangene M-Wort aussprechen dürfen. Dass bei einer Niederlage gegen den HSV der Vorsprung auf Leverkusen auf vier Punkte schmelzen könnte, kann Watzke nicht schrecken. "Ein Sieg von Bayer gegen St. Pauli ist auf dem Papier sicher erst mal wahrscheinlicher als einer von uns beim HSV", sagt er. Kurz vor Spielen habe er ohnehin meist ein schlechtes Gefühl. Eines ist jedoch sicher: Schlimmer als das 0:1 damals in Bielefeld wird es nicht werden.