Zeit zur Revanche: Thomas Müller trifft mit dem FC Bayern im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League auf Titelverteidiger Inter Mailand.

Mailand. Es mag der unspektakulären Lage geschuldet sein, dass kaum jemand von der Ankunft des FC Bayern Notiz nahm. In einem Hotel in der Mailänder Peripherie haben sich die Münchner für das Achtelfinalhinspiel in der Champions League (20.45 Uhr, Sat.1, Sky) gegen Inter Mailand einquartiert. Ganz unbehelligt jedenfalls schlenderten die meisten Protagonisten vom Bus zum Hotel. Auch Thomas Müller fand wenig Beachtung. Nur als Arjen Robben und Franck Ribéry kamen, wurde die Stimmung unter den Schaulustigen ein wenig euphorischer. In den italienischen Gazetten bot sich ein ähnliches Bild. Vier Seiten widmete etwa die "Gazzetta dello Sport" dem Spiel, das zur Revanche für die Niederlage im vergangenen Champions-League-Finale hochgejazzt wurde. 0:2 unterlagen die Münchner damals, Franck Ribéry musste gesperrt passen. Er ist diesmal dabei, kündigte die "Gazzetta" in großen Lettern an. Ribéry und Robben seien die zwei, die das Münchner Spiel gefährlich machen können.

Und Müller? Nun, zumindest in der Aufstellung kam er vor. Ansonsten kein Wort über ihn. Dabei ist er neben Robben und Ribéry der dritte im Bunde der offensiven Mittelfeldreihe. Und er ist derjenige, der eine Entwicklung genommen hat, deren Gradlinigkeit für einen in seinem Alter überaus bemerkenswert ist. Müller ist 21, es ist seine zweite Profisaison. "Bei jungen Spielern sind Leistungsschwankungen normalerweise üblich", sagt sein Trainer Louis van Gaal. Er nennt es Adaptionsprozess und glaubt, dass jeder Profi diese Stufe der Rückschläge und Zweifel durchlaufe. Doch Müller scheint den Findungsprozess in Turbogeschwindigkeit absolviert zu haben. Seine Konstanz der letzten Wochen jedenfalls ist beeindruckend. Natürlich hatte auch er seine Aussetzer und saß im Spätherbst 2010 kurz auf der Bank. Doch was sind drei Partien bei rund 60 Pflichtspielen, auf die er im Jahr kommt?

Seit Mitte November stand Müller wieder in jedem Spiel in der Startformation, doch erst seit der Genesung von Robben und Ribéry darf er auch in der zentralen Offensive ran, was seinem Spiel so zuträglich ist. Er selbst hat seine Spielweise einst unorthodox genannt, weil er ein Instinktfußballer ist, einer, der davon profitiert, dass Ribéry und Robben Lücken in die gegnerische Deckung reißen. Müller braucht den Raum, den Mitspieler, den schnellen Doppelpass. Dann ist er zur Stelle.

Nach dem 3:1 der Münchner in Mainz wurde van Gaal nach der Abhängigkeit der Seinen von Robben und Ribéry gefragt, das ewige Thema in München. "Mit beiden sind wir eine Supermacht", hatte Präsident Uli Hoeneß jüngst getönt. Van Gaal machte einen leicht genervten Eindruck und antwortete Folgendes: Er sehe keine direkte Abhängigkeit, natürlich haben Robben und Ribéry ihre Sache sehr gut gemacht. "Aber der Müller", van Gaal pflegt ihn immer mit Artikel zu nennen, "der Müller war auch an allen Toren beteiligt. Nur sehen das die Wenigsten."

Müller weiß, dass er keiner ist, dessen Sololäufe mit Kunstwerken verglichen werden. "Für schöne Tore bin ich nicht bekannt", sagt er, "aber wichtig ist doch, wenn das Ding drin ist."

Es gibt eine Szene aus dem Finale, auf die er in den letzten Tagen immer wieder angesprochen wurde. Kurz nach der Pause hatte er die große Chance zum Ausgleich. Aus zehn Metern scheiterte er an Inters Torwart. Natürlich habe er sich geärgert. "Aber dann kam gleich die WM, und das war dann wieder vergessen. Ich persönlich muss nicht Rache nehmen." Müllers größte Stärke ist seine Unbekümmertheit, die er ausstrahlt, trotz des rasanten Aufstiegs. Er umschreibt jene Monate selbst nur mit Superlativen, erst die Erfolge mit den Münchnern, dann jene bei der WM. Müller war der Torschützenkönig, dazu der beste Nachwuchsspieler. Was folgte, waren lukrative Werbeverträge, ein neuer Kontrakt mit erhöhtem Salär und viele Ehrungen.

"Ich bin jetzt eine Person des öffentlichen Lebens", hat er jüngst gesagt und dass auch jene Neuerung in seinem Leben zwei Seiten habe. Er brauche jedenfalls diesen Status nicht, um glücklich zu sein. "Das Leben in der Öffentlichkeit ist nicht mehr so einfach, jetzt erkennen mich auch die, die sich eigentlich gar nicht für Fußball interessieren." Was auch daran liegen mag, dass er nicht nur auf dem Platz überzeugt.

Müller hat sich zu einem der Wortführer der Münchner entwickelt, weil er sich bei seinen Analysen den Charme des Authentischen bewahrt hat. Es ist eine Ausnahme in einem Geschäft, in dem Berater oder geschulte Medienprofis den Duktus der Spieler vorgeben. Eingebimste Floskeln sind nicht seins: "Ich bin kein Schauspieler."