Mit dem 0:4 auf Schalke wachsen bei Werder Bremen die Zweifel am Trainer. Die Kluft zwischen ihm und den Spielern wächst inzwischen weiter.

Bremen. Bei der Bremer Polizei herrschte gestern erhöhte Aufmerksamkeit. Für Bremer Verhältnisse war etwas sehr Ungewöhnliches geschehen. Die Ordnungshüter hatten einen Tipp aus der Fanszene bekommen: Ein Informant hatte berichtet, dass Vertreter der Bremer Ultra-Szene eine Demonstration vor dem Weserstadion geplant hätten. Dort trainiert auch die Mannschaft von Werder Bremen, und um mögliche Störfälle zu vermeiden, wurden zwei Polizeibeamte am Gelände positioniert.

Es kam dann doch niemand. Es wäre auch das erste Mal gewesen, dass im beschaulichen Bremen so etwas vorgekommen wäre - dort, wo das Runzeln der Augenbrauen schon als Wutausbruch gedeutet werden darf.

Außerdem hatte sich bereits am Vorabend Bemerkenswertes ereignet. Als die Spieler in der Nacht mit dem Bus am Stadion ankamen, hatte sich eine Handvoll Anhänger versammelt und stellte die Spieler zur Rede. Per Mertesacker, seit 2006 in Bremen, musste aussteigen und diskutieren. "So etwas ist für mich hier komplett neu. Daran merken wir, dass nicht nur bei uns in der Mannschaft, sondern auch im Umfeld Unruhe herrscht", sagte er.

Anderenorts hätten sich die Spieler wohl auf Busblockaden, Hasstiraden und Bierduschen gefasst machen dürfen, denn was die Bremer Profis einige Stunden zuvor in Gelsenkirchen abgeliefert hatten, war eine Frechheit. 4:0 (2:0) wurden sie von Schalke 04 überrollt. "Außer Wiese könnt ihr alle geh'n", hallte es den Spielern aus dem Gästefanblock entgegen. Der Gefeierte, Torwart Tim Wiese, konnte sich über die vermeintlichen Lobgesänge allerdings nicht freuen: "Ich kann den Unmut der Fans schon verstehen. Wie sollen sie auch anders reagieren, wenn wir so eine Leistung abliefern?"

Es ist fürwahr bitter, was Werder in dieser Saison zeigt. Über einen achten Tabellenplatz kam die Mannschaft noch nicht hinaus, momentan ist sie mit 15 Punkten aus 13 Spielen nah an die Abstiegsränge herangerutscht. Vor zwei Wochen unterlag sie dem VfB Stuttgart 0:6, kurz zuvor hatte sich Bremen mit einem 0:2 gegen Twente Enschede aus der Champions League katapultiert. Und nun das Schalke-Debakel.

Nun sind schwere Phasen den Bremern nicht fremd. Immer mal wieder hakte es, doch immer schafften die Verantwortlichen mit Besonnenheit den Weg aus der Krise. Dabei setzten sie vor allem auf einen Mann: Thomas Schaaf. Seit elf Jahren lenkt er die Geschicke des SV Werder, das ist mit Abstand die längste Amtszeit der amtierenden Übungsleiter. Und mehr noch: Schaaf verlieh dem Klub ein Gesicht. Der knorrige Typ verkörpert den Bremer Sonderweg in dieser Branche. Auch wenn Schaaf in Mannheim geboren wurde, steht er mit seiner drögen Art wie kein Zweiter für die Bremer Mentalität.

Entsprechend gehegt wurde er von seinen Bossen. Mit Manager Klaus Allofs, mit dem er 1999 gemeinsam in Bremen begann, ist er gar eine Art Symbiose eingegangen. Gemeinsam feilten sie an ihrem Werk und kultivierten ihre Andersartigkeit. Das wurde belohnt: Werder Bremer gehört seit der Jahrtausendwende zu den erfolgreichsten Klubs der Liga. 2004 holte der Verein das Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal, anschließend schaffe er es bis 2008 durchgehend, sich für die Champions League zu qualifizieren.

Allerdings läuft seit geraumer Zeit auch ein Prozess ab, der sich heute als kontraproduktiv erweist. Thomas Schaaf, die unantastbare Lichtgestalt, entfernte sich von der Mannschaft, wurde unnahbar. Heute soll er nur noch mit Kapitän Torsten Frings, Abwehrchef Per Mertesacker und Clemens Fritz einen offenen Dialog pflegen. Der Rest der Truppe wird oft ebenso mürrisch abgespeist wie kritisch nachfragende Journalisten. Dieses Phänomen ist nicht neu, schon seit drei Jahren wird die Kluft zwischen Trainer und Spielern größer. In den vorangegangenen Spielzeiten war die Mannschaft indes noch so gefestigt, dass sie sich selbst aus Krisen befreien konnte. Schaafs Ansprachen, die intern als wenig inspirierend bezeichnet werden, trugen dazu offenbar wenig bei.

Doch nun hadert das Team nicht nur mit den ratlosen Vorgesetzten, sondern auch mit sich selbst. Leistungsträger wie Mesut Özil und Diego wurden nicht gleichwertig ersetzt, in Frank Baumann beendete 2009 ein Kapitän seine Karriere, der die Truppe zusammenhielt. Nun beklagen sich Spieler, dass Nachfolger Frings es nicht hinbekommt, mal einen Mannschaftsabend zu organisieren. Bis auf ein teaminternes Treffen vor zwei Wochen nach dem 0:6 gegen Stuttgart wurde nichts getan, um einen Selbstreinigungsprozess zu initiieren. "In der Mannschaft gibt es kein Aufbäumen. Wir brechen sofort auseinander, wenn es mal nicht so läuft", sagte Mittelfeldspieler Aaron Hunt nach der gestrigen Krisensitzung.

An der nahm auch Klaus Allofs teil, und seine anschließenden Aussagen wichen in einem entscheidenden Detail ab von denen der Vorwochen. Er sei weiter der Meinung, dass Thomas Schaaf der richtige Mann sei, sagte Allofs, darum denke er auch nicht über dessen Entlassung nach. Aber, schränkte er ein, "das ist meine Überzeugung, aber kein Dogma. Wir sind alle auf dem Prüfstand, und wenn andere Gremien im Verein anderer Meinung sind als wir, ist das kein Tabubruch."

Einen Personalwechsel auf der Trainer- und Managerposition auch nur anzudeuten war in Bremen allerdings bislang sehr wohl ein Tabubruch.