Der Hamburger kam gegen Spanien für Thomas Müller in die Startelf. Nach 62 Minuten musste er nach einer soliden Leistung wieder gehen.

Durban. Es war das größte Spiel seiner bisherigen Karriere, ein trauriges zugleich: WM-Halbfinale, Deutschland gegen Spanien. Piotr Trochowski, die Nummer 15, in der Startelf. Jener Trochowski, der beim HSV in der vergangenen Saison um einen Stammplatz kämpfte - und der diesen Kampf, oft, viel zu oft für einen Nationalspieler, verlor. "Troche hat hervorragend trainiert", sagt Co-Trainer Hansi Flick vor dem Anpfiff in die Fernsehkameras, und Cacau, offenbar die Alternative als Thomas-Müller-Ersatz auf der rechten Seite, habe nach seinen Verletzungen noch ein paar Rückstände gehabt.

Trochowski wirkt hochkonzentriert, als er zum Aufwärmen den Rasen des Moses-Mabhida-Stadions in Durban betritt. Er spricht kaum ein Wort, absolviert die Dehn- und Laufübungen mit ernster Miene. Bei der Nationalhymne singt er nicht mit. Im Spiel dauert es vier Minuten und 20 Sekunden, bevor er an der Mittellinie das erste Mal den Ball berühren kann. Er spielt ihn kurz ab zu Bastian Schweinsteiger. Der verliert ihn in Bedrängnis.

Trochowski findet nur mühsam ins Spiel. Das läuft an ihm, an der gesamten deutschen Mannschaft vorbei. Umso bemerkenswerter ist sein Auftritt in der 32. Minute. Phillipp Lahm passt den Ball zu ihm, Trochowski zieht in die Mitte, erkennt eine kleine Lücke und schießt mit links aus 25 Metern aufs Tor. Es ist der erste deutsche Torschuss in diesem Halbfinale, und der spanische Torhüter Iker Casillas hat alle Mühe, den Ball abzuwehren. "Für den Mut zu schießen, gebührt ihm ein Lob", sagt Franz Beckenbauer, der Sky-Experte, in der Halbzeit.

Nach dem Seitenwechsel muss Trochowski vor allem nach hinten arbeiten. Er tut es mit großem Einsatz, mit Übersicht, mit großem Laufpensum. Doch die deutsche Mannschaft kann sich nicht von dem Druck der Spanier befreien. Trochowski bemüht sich, will Impulse setzen. Es gelingt ihm nicht. Das liegt nicht an ihm, das ist an diesem Abend nicht die deutsche Mannschaft der vorangegangenen K.-o.-Spiele. Nach 62 Minuten muss Trochowski vom Feld. Toni Kroos kommt. Trochowski trottet mit gesenktem Kopf in Richtung Bank. Fast möchte man sagen, er nimmt seinen Platz im Team, der, der ihm zusteht, wieder ein.

Trochowski, das bleibt auch nach diesem Spiel die Geschichte eines Unverstandenen. 34 Länderspiele hatte er in den vergangenen vier Jahren bestritten, das erste am 7. Oktober 2006 in Rostock gegen Georgien (2:0). Bei den meisten wurde er eingewechselt. Wie jetzt in Südafrika. Im Achtelfinale gegen England (4:1) und im Viertelfinale gegen Argentinien (4:0) brachte ihn Bundestrainer Joachim Löw, als die Begegnungen längst entschieden waren, zuvor im letzten Gruppenspiel gegen Ghana (1:0) durfte er in der 67. Minute ran; in drei WM-Spielen insgesamt 47 Minuten. Sein Platz auf der rechten Seite war mit Turnierbeginn besetzt. Müller hatte ihm in den letzten Testspielen und im Training den Rang abgelaufen.

Dabei gefällt Löw die Art, wie Trochowski Fußball spielt. Perfekte Ballbehandlung, dribbelstark, kraftvoller Schuss, mit links als auch mit rechts, hervorragende Standards. Freistöße sind seine Spezialität. Er gibt dem Ball mit dem Spann so viel Effet, dass dessen Flugkurve kaum zu berechnen ist. Meist verändert die Kunststoffkugel im letzten Moment ihre Richtung. Als Trochowski Anfang dieses Jahres im Bundesligaspiel seines HSV gegen Wolfsburg in der Nachspielzeit per Freistoß das 1:1 erzielte, glaubte André Lenz, der Ball wäre abgefälscht gewesen. Erst bei Studium der Fernsehbilder stellte der Torhüter ungläubig fest, dass dies nicht der Fall war.

Technisch sei Trochowski, 1,69 Meter groß, muskulös, einer der besten Fußballer, die wir in Deutschland haben, hat der Bundestrainer stets betont. Bei Trainingsspielen auf engstem Raum, drei gegen drei, sei er überragend. Löw liebt Techniker. Nur mit ihnen ist seine Vorstellung des modernen Fußballs, das gepflegte Flachpassspiel, überhaupt umzusetzen. Bei der Nominierung des WM-Kaders hatte sich Löw früh auf Trochowski festgelegt. Bereits im April hatte der Hamburger erfahren, dass er zum WM-Aufgebot gehört. Beim HSV saß er zu dieser Zeit oft auf der Bank. Selbst Nachwuchsspieler erhielten den Vorzug.

In Hamburg haben ihm seine Trainer, erst Huub Stevens, dann Martin Jol und zuletzt Bruno Labbadia, immer wieder seinen mangelnden Zug zum Tor vorgehalten. Trochowski verschleppe das Tempo, drehe zu viele Kreise, laufe Kringel, anstatt den direkten Weg in den Strafraum zu suchen. Auch Löw missfällt das. Deshalb erhielt Müller bei der WM den Vorzug. Der Jungprofi des FC Bayern, im Gegensatz zu Trochowski technisch eher bieder, wurde zur Entdeckung des Turniers. Trochowski musste auf seine Chance warten. Müllers zweite Gelben Karte im Argentinienspiel eröffnete sie ihm. Bei der EM 2008 in der Schweiz und Österreich ergab sich eine solche Gelegenheit nicht. Trochowski musste sich das gesamte Turnier über mit der Zuschauerrolle begnügen. Das wurmte ihn. "Bei der WM möchte ich eine andere Rolle spielen", hatte Trochowski vor dem Abflug nach Südafrika gesagt. Er erhielt sie gestern Abend in Durban. Richtig gefallen wird sie ihm nicht haben.