Der gar nicht so typische Brasilianer ist der Fixpunkt der Selecao

Kapstadt. Ist das noch der Junge, den Silvio Berlusconi gern als perfekten Schwiegersohn bezeichnete? Rund eine halbe Stunde war gespielt im Achtelfinale der Brasilianer gegen Chile, es stand 0:0, und Kaka wurde immer wilder. Innerhalb kürzester Zeit holte er sich für ein Foul samt Beschwerde die Gelbe Karte ab, schnauzte Mitspieler Dani Alves an und konferierte ausführlich mit Trainer Carlos Dunga an der Seitenlinie. Wobei es eher den Eindruck machte, er habe um das Gespräch gebeten als umgekehrt.

Der Weckruf in alle Richtungen funktionierte, kurz darauf entschied die Selecao die Partie mit einem Doppelschlag, das zweite Tor bereitete er selbst vor, am Ende stand 3:0 auf der Anzeigentafel. Seine Mannschaft dominierte, Kaka musste sich nicht mehr aufregen, es blieb für ihn bei Gelb - anders als im Gruppenspiel gegen die Elfenbeinküste. Da hatte er, im Alter von 28, die erste Rote Karte seit Teenagertagen beim FC São Paulo gesehen, es war zudem jene, die Brasilien in der ewigen Platzverweis-Tabelle mit Nachbar Argentinien gleichziehen ließ (je zehn Stück). Bei einer weiteren Verwarnung heute im Viertelfinale gegen die Niederlande (16 Uhr/ARD) droht die nächste Sperre.

Daheim in Brasilien amüsieren sie sich prächtig über die vermeintliche Wandlung. In einem populären Comic-Blog unterrichtet ihn die Kunstfigur "Jack Testosterona" im Einmaleins des Macholebens, Frauen, Alkohol, et cetera - woraufhin Kaka räsoniert: "Vielleicht hat er recht, und ich müsste noch ein bisschen krasser werden. Zum Beispiel könnte ich Messi in meinem Panini-Album einen Schnurrbart ins Gesicht malen."

Zum typischen Brasilianer bleibt es gleichwohl ein weiter Weg. Der Weltfußballer von 2007 mag weder Samba noch Karneval, sein Spiel hat Klasse und hohe Eleganz, aber wenig Verspieltes. Jedoch war es immer schon ein Irrtum, in ihm bloß den netten, harmlosen Jungen zu sehen. Kaka lebt nach der Bibel, er ging als Jungfrau in die Ehe. Doch hinter der Fassade wirkt großer Eifer, motiviert von seinem evangelikalischen Glauben, der Ehrgeiz und Gewinnstreben verehrt. Kaka ist zu intelligent, um plumpe Bekehrungsversuche, sowohl im Fußball als auch in Religionsfragen, zu unternehmen. Aber ein bisschen etwas Missionarisches hat er schon.

"Ein Leader wird als solcher geboren." Diesen Satz sagte er über sich schon vor vielen Jahren, als er in der Hierarchie der Nationalelf noch nicht ganz oben stand. 2006 schwang er sich zum Leader auf. Da das Aus im Viertelfinale gegen Frankreich so furchtbar enttäuschte, war auch Kaka nach dem Sommer 2006 zunächst außen vor. Parreiras Nachfolger Dunga wollte erst einmal austesten, ob sich im "magischen Quartett" mit Ronaldo, Ronaldinho und Adriano noch Erfolgshunger regte.

Anders als von den anderen Dreien ließ sich der neue Trainer von Kaka schnell überzeugen, übergab ihm das informelle Zepter auf dem Platz - die Nummer Zehn auf dem Trikot. Dass er noch kein Tor geschossen hat bei diesem Turnier, stört Kaka nicht: "Meine Rolle ist es, die Stürmer zu füttern."

Vom Leader ist er nun auch, so würde der langjährige Bayerntrainer Ottmar Hitzfeld wohl sagen, zum "Aggressiv-Leader" geworden. Wut mag bei dieser Wandlung eine Rolle spielen. Kaka muss sich wegen zahlreicher Blessuren mit Gerüchten herumschlagen, er sei halber Sportinvalide. Gegen einen Vertreter dieser These hat er in Südafrika sogar öffentlich Stellung bezogen: der - atheistische - Journalist kritisiere ihn bloß, weil "ich Jesus Christus folge", behauptete er. Ob auf dem Platz oder daneben: Kaka teilt dieser Tage lieber einmal zu viel als zu wenig aus.