Ein Kommentar von Rainer Grünberg

Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: "Sie haben sich gar nicht verändert." "Oh!", sagte Herr K. - und erbleichte. Bertolt Brecht hat diese ganz kurze Geschichte aufgeschrieben, und sie ist in dieser sich ständig wandelnden Welt aktueller denn je.

Es bleibt die ewige Frage, wie viel Vergangenheit die Gegenwart verträgt. Bewährtes bewahren und zugleich Neues zulassen - dieser Spagat ist nach den Franzosen nun auch den Italienern in Südafrika misslungen. Die Endspielgegner der Weltmeisterschaft 2006 scheiterten im Gleichschritt. Sie wurden Tabellenletzte ihrer jeweiligen Vorrundengruppen. Noch nie in der Geschichte der Titelkämpfe stürzten die Triumphatoren in nur vier Jahren derart tief.

Überraschen kann die Götterdämmerung weder Italiener noch Franzosen. Die Menetekel waren unübersehbar, zumindest für diejenigen, die sie sehen wollten. Die Franzosen haben seit 2006 kein überzeugendes Länderspiel abgeliefert, der italienische Fußball ist seit geraumer Zeit in seiner Verteidigungslinie erschüttert. Bestechliche Schiedsrichter, Zwangsabstieg des Rekordmeisters Juventus Turin, Rassismus und Gewalt in den Stadien haben den Calcio azzurro in Verruf gebracht. Inter Mailand konnte im Mai nur deshalb die Champions League gewinnen, weil ein Portugiese ein Team trainierte, in dem internationale Stars die Akzente setzen. Der Erfolg vermochte den sportlichen Zustand des Weltmeisters nur vorübergehend zu verdecken. In Südafrika wurden die Tifosi mit der Wahrheit konfrontiert. Sie ist grausam. Aber sie eröffnet die Chance auf Veränderungen. Der Rücktritt des Nationaltrainers Marcello Lippi war ein erster Schritt für einen Neubeginn.