Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft offenbart bei der 1:2-Niederlage gegen Frankreich enorme Defizite im Aufbauspiel und in der Defensive

Bremen. Als der italienische Schiedsrichter Paolo Tagliavento um 22.47 Uhr das Testspiel zwischen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Frankreich abpfiff, schritt Joachim Löw ohne erkennbare Regung in die Katakomben des Weserstadions. Dass der Bundestrainer sich nach dem 1:2 ernsthaft Sorgen macht, ist trotz des Resultats und des schwachen Auftritts seiner Mannschaft unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte sich Löw darin bestätigt sehen, dass das erklärte Ziel Europameister trotz aller erkennbaren Qualität in seinem Team ganz und gar kein Selbstgänger werden wird.

Dass der Start ins EM-Jahr exakt 100 Tage vor Beginn der Endrunde in Polen und in der Ukraine misslang, war wenig überraschend, nicht aber der so krasse Leistungsabfall gegenüber früheren glanzvollen Auftritten. Schon in der Anfangsphase wirkte es sich negativ aus, dass Löw nur einen Tag mit seinem Team auf dem Rasen trainieren konnte. Ohne die Stützen Bastian Schweinsteiger, Per Mertesacker und Philipp Lahm - dazu gab Löw zu Beginn Marco Reus den Vorzug vor Müller - fehlten der DFB-Elf von Anfang sichtlich Statik und Sicherheit. Auffällig auch, wie wenig die zentralen Mittelfeldspieler Sami Khedira und Toni Kroos miteinander harmonierten. Überhaupt gelang es viel zu selten, ein kontrolliertes Aufbauspiel aufzuziehen. "Wir haben etwas leichtfertig gespielt", gab Thomas Müller nach dem Abpfiff zu.

Die seit 17 Spielen ungeschlagenen Franzosen fanden viele Lücken in der deutschen Defensive, wenn sie ihre Angriffe schnell vortrugen. Vor allem Dennis Aogo war ein Leidtragender dieser Vorstöße. Als er sich in der 21. Minute von Mathieu Debuchy düpieren ließ, konnte dieser quer auf Olivier Giruod passen, der den Ball durch Tim Wieses Beine zirkelte und für das 0:1 sorgte. Ein bitterer Moment für Aogo, der eigentlich im Kampf mit dem Dortmunder Marcel Schmelzer um einen Platz im EM-Kader weiter punkten wollte.

Nicht nur wegen des Schnitzers verpasste der HSV-Profi vor den Augen seines Trainers Thorsten Fink, der die Partie auf der Tribüne verfolgte, diese Gelegenheit. Abwehrkollege Mats Hummels: "Die Balance hat nicht immer ganz gestimmt. Wir haben zwar hinten nicht viel zugelassen, aber dann haben die Franzosen gleich mit der ersten Chance das Tor gemacht."

Im Publikum begann es zu rumoren. Zehn Minuten später gab es sogar erste Pfiffe, als der ehemalige Hamburger Jerome Boateng den Ball unkontrolliert nach vorne schlug. Doch dann fing sich die DFB-Auswahl etwas und erspielte sich endlich Torchancen. Erst vergab Miroslav Klose nach einem Kroos-Freistoß frei vor Hugo Lloris (33.), dann scheiterte Badstuber per Kopf (34.). Den schönsten Spielzug der ersten Hälfte, ausgeführt von Khedira und Özil, vergab Klose (41.).

Dass Löw noch vor der Pause wechselte, hatte aber nicht mit einer eventuellen Verärgerung über das streikende deutsche Spiel zu tun. Bei einem Ellenbogencheck von Debuchy zog sich André Schürrle eine "Abschälung des Nasenknorpels vom Nasenknochen" zu (39.). So lautete die erste Diagnose von Nationalmannschafts-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Klingt böse, doch der Leverkusen-Profi soll am Wochenende wieder spielbereit sein.

Auch in der zweiten Hälfte war vom früher fast magischen Spiel der Nationalelf, das zum Beispiel beim 3:0 gegen die Niederlande in Hamburg zelebriert worden war, wenig bis nichts zu sehen. Das deutsche Spiel war weiter nicht konkret genug, während die lustvoll attackierenden Franzosen die Abwehr häufig in Bedrängnis brachten. Wie zum Beispiel in der 63. Minute, als Valbuena fast schon fahrlässig das 0:2 vergab. Deutschland bettelte förmlich um ein weiteres Gegentor, und die Gäste erfüllten den "Wunsch" schließlich. Erneut sah bei Aogo nicht gut aus, als er Debuchy flanken lassen musste, Höwedes' Grätsche wirkungslos blieb und der eingewechselte Malouda aus kurzer Distanz vollendete (69). Das Spiel hatte seinen verdienten Sieger gefunden, Cacau konnte kurz vor dem Abpfiff nur noch Ergebniskosmetik betreiben (90.)

Löws Team spielte gestern Abend erstmals seit elf Jahren wieder in Grün. Diese Farbe steht zwar für die Hoffnung, doch sie scheint dem DFB nicht besonders viel Glück zu bringen, schließlich gab es beim letzten Auftritt ein 1:5 gegen England. Für Löw und die Spieler wird noch eine Menge Basisarbeit notwendig zu sein, um sich in Topform zu bringen.

Zwei Tests stehen noch auf der Agenda, erst in der Schweiz (26. Mai) und dann in Leipzig gegen Isreal (1. Juni). Spätestens nach dem Auftritt gegen Frankreich wird Löw insgeheim darauf hoffen, dass die Bayern-Fraktion (Schweinsteiger, Lahm, Gomez, Kroos, Badstuber, Neuer, Boateng, Müller) nicht mehr allzu weit in der Champions League kommt und dadurch nicht noch mehr Vorbereitungszeit verliert. Schließlich steht auch noch das beim DFB ungeliebte Testspiel der Bayern gegen die Niederlande an (25. Mai.).

DFB: Wiese - Boateng, Hummels, Badstuber (46. Höwedes), Aogo - Khedira (70. L. Bender), Kroos - Reus (70. Cacau), Özil, Schürrle (45. Müller) - Klose (46. Gomez:

Frankreich: Lloris - Debuchy, Rami, Mexes, Abidal - M'Vila (62. Malouda), Cabaye (62. Diarra) - Valbuena (68. Amalfitano), Ribéry (46. Menez) - Nasri, Giroud (75. Saha).

Tore: 0:1 Giroud (21.), 0:2 Malouda (69.), 1:2 Cacau (90.). Z:: 37 800 (ausverkauft). SR: Tagliavento (Italien). Gelb: Boateng, Bender - Mexes.