Immer mehr Fehlentscheidungen beeinflussen die Spiele. Jetzt stehen die Unparteiischen in der Kritik. Beckenbauer fordert Torrichter

Hamburg. Der Spruch des Tages kam von Ottmar Hitzfeld. "Bei einer Weltmeisterschaft sollten nur die besten Schiedsrichter pfeifen, die auch sonst in den großen Ligen pfeifen - und nicht irgendwo am Strand", sagte der Nationaltrainer der Schweiz ins Mikrofon des ZDF-Reporters Rolf Töpperwien. Das saß. Nur langsam verflog Hitzfelds Zorn über die Leistung des Unparteiischen Khalil Al Ghamdi aus Saudi-Arabien bei der Schweizer 0:1-Niederlage gegen Chile.

Der Unmut des deutschen Trainers ist nur zu verständlich. Das 31. Spiel dieser Weltmeisterschaft wurde in seinem Ausgang von den Entscheidungen des arabischen Referees beeinflusst, wenn nicht gar entschieden. Zunächst hatte der Schweizer Valon Behrami nach einem Allerweltsgerangel mit dem Chilenen Arturo Vidal die Rote Karte gesehen, weil der Südamerikaner in Diensten Bayer Leverkusens seine Schauspielkünste demonstrierte. Dann traf Mark Gonzalez aus stark abseitsverdächtiger Position zum Tor des Tages. Übrigens hatte Al Ghamdi neben der Roten noch neun weitere Gelbe Karten gezogen und damit einen neuen Rekord für diese WM aufgestellt. Sein Kollege Yuichi Nishimura, der gestern Abend die Partie zwischen Honduras und Spanien leitete, hatte die Karten dagegen offenbar vergessen: eine klare Tätlichkeit des Spaniers David Villa ahndete der Japaner nicht mal mit Gelb.

Wer spricht noch vom Lärm der Vuvuzelas? Das in den ersten Tagen dieses Turniers überwiegend positive Bild der Schiedsrichter hat sich schon seit einigen Tagen ins Gegenteil verkehrt und ist zum Ärgernis Nummer eins der WM geworden. Doch der Weltverband Fifa ignoriert die offensichtlichen Probleme weiter. "Grundsätzlich sind wir sehr zufrieden mit den Leistungen. Fehler sind nur menschlich", sagte José Maria Garcia-Aranda aus Spanien, Chef der Schiedsrichter-Kommission. "Wir haben exzellente Vorstellungen gesehen. Mit Blick auf Entscheidungen, die wir für nicht gut genug halten, versuchen wir uns aber auch zu verbessern." Das kommt zu spät für die Schweizer, aber auch für die US-Amerikaner, denen der Siegtreffer von Maurice Edu gegen Slowenien aus unerfindlichen Gründen aberkannt worden war, für die Elfenbeinküste, die ein eindeutiges Handspiel des brasilianischen Torschützen Luis Fabiano hinnehmen musste, für die Australier, deren Abwehrspieler Harry Kewell mit der Roten Karte und einem Elfmeter bestraft wurde, weil er auf der Torlinie angeschossen worden war.

Die Fifa behauptet nach wie vor, die besten Schiedsrichter der Welt nach Südafrika eingeladen zu haben. "Wenn das die besten Schiedsrichter sind, will ich die schlechtesten nicht sehen", sagte Neuseelands Mannschaftskapitän Ryan Nelsen, dessen Team gegen Italien immerhin von einem Abseitstor profitieren durfte.

Franz Beckenbauer schimpft wieder einmal am lautesten. Der Weltmeister von 1974 und 1990 und WM-Chef 2006 fragte: "Warum bekommt man das nicht hin? Früher hat man ein Schiedsrichter-Gespann von allen Erdteilen zusammengestellt. Jetzt hat man Teams aus einem Land und trotzdem funktioniert es nicht." Das sagt immerhin ein Mitglied des Fifa-Exekutivkomitees. Die Lösung der Probleme ist aus seiner Sicht ganz einfach: Torrichter müssen her.

Der ehemalige deutsche WM-Schiedsrichter Markus Merk kritisierte die ungleiche Regelauslegung der Referees: "Das ist Wettbewerbsverzerrung. Die Diskrepanz in der Regelauslegung ist gravierend." ZDF-Regelexperte Urs Meier pflichtete ihm bei: "Da wurde noch keine Linie gefunden."

Die Gründe für die schwachen oder zumindest uneinheitlichen Leistungen der Unparteiischen liegen, glaubt Merk, im System. Er bemängelt die internationale Ausbildung und eine völlig falsche Ausrichtung der Schiedsrichter-Schulungen. Bei solchen Lehrgängen werde die Präsentation der Karten wichtiger genommen als entscheidende Spielsituationen, so Merk. Man sollte sich mehr um eine andere Frage kümmern: "Wann ist es Gelb, wann ist Rot?"

Die Beteiligten sind kritikresistent. Der Spanier Alberto Undiano, der bei der deutschen Niederlage gegen Serbien achtmal den Gelben Karton zückte, fand beim Studium der Fernsehbilder "nichts, was ich mir vorwerfen muss". Dass sich Undiano überhaupt äußerte, muss als Sensation gelten. Die Fifa hat ihren Schiedsrichtern einen Maulkorb verpasst.