In Frankreichs Mannschaft geht es drunter und drüber - Anelka wird ausgeschlossen, die Spieler streiken

Knysna. Nicolas Sarkozy war entsetzt. Frankreichs Staatspräsident sah sich genötigt, bei einem hochoffiziellen Besuch in Russland zwischen Wirtschaftsverhandlungen und Abrüstungsgesprächen zu den Vorfällen im Fußball-Nationalteam seines Landes Stellung zu nehmen. "Das ist inakzeptabel", zürnte Sarkozy. Die einstmals so stolze und so erfolgreiche Mannschaft der Franzosen, sportlich nur noch ein Schatten früherer Tage, führt in Südafrika ein absurdes Theaterstück auf. Ein Käfig voller Narren.

Nachdem Nationalspieler Nicolas Anelka, 31, bereits am Sonnabend wegen übelster Beschimpfungen gegen Trainer Raymond Domenech das Mannschaftsquartier in Knysna verlassen musste, kam es gestern zum offenen Streit zwischen Spielern und Verband.

Statt ein geplantes öffentliches Training zu absolvieren, stiegen die Spieler in den Bus und fuhren zurück ins Hotel. Die Mannschaft solidarisierte sich mit dem Ausgestoßenen. Ausgerechnet der gescholtene Trainer Domenech musste anschließend eine Erklärung verlesen: "Alle Spieler der Mannschaft von Frankreich wollen ohne Ausnahme ihre Opposition gegen den vom Französischen Fußball-Verband beschlossenen Ausschluss von Nicolas Anelka bekannt geben."

Zuvor sollen zwischen Kapitän Patrice Evra und Konditionstrainer Robert Duverne die Fetzen geflogen sein, Domenech habe nur mit Mühe Handgreiflichkeiten verhindert, hieß es. Der Delegationsleiter des französischen Fußball-Verbandes FFF, Jean-Louis Valentin, hatte danach keine Lust mehr. "Ich bin empört und angewidert, ich gebe meinen Job hier auf. Was hier passiert, ist ein Skandal für den Verband, für die französische Mannschaft und für das gesamte Land." Das Gefüge im Team des Weltmeisters von 1998 scheint unrettbar zerstört. Die Mannschaft ist nur noch ein Trümmerhaufen. Laurent Blanc, designierter Nachfolger des umstrittenen Trainers Domenech, ist um seinen Job nicht zu beneiden.

Nicolas Anelka, Stürmer vom englischen Meister FC Chelsea, hatte seinen Coach in der Halbzeitpause des zweiten Gruppenspiels gegen Mexiko am vergangenen Donnerstag derart angepöbelt, dass ihn Domenech sofort zum Duschen schickte. Beim deutschen Torhüter Uli Stein genügte es 1986 in Mexiko, dass er seinen Teamchef Franz Beckenbauer als "Suppenkasper" titulierte, für die vorzeitige Abreise. Stefan Effenberg durfte gehen, als er den Zuschauern acht Jahre später in den USA den Mittelfinger zeigte. Anelka setzte noch einen drauf. Seine aus der Kabine kolportierten Worte lagen so weit unterhalb der Gürtellinie, dass der englische Dienst der Nachrichtenagentur AFP eine Meldung mit dem Warnhinweis versah: "Vorsicht, obszöne Wörter!" Anelka und Domenech hatten nie ein gutes Verhältnis. Schon vor der WM hatte der Stürmer gesagt: "In Frankreich macht man komische Menschen zum Nationaltrainer."

Der Disput war erst zum Skandal geworden, als die französische Sportzeitung "L'Equipe" am Sonnabend ein Wortlautprotokoll des Kabinenstreits veröffentlicht hatte. Anelka bestritt die ihm zur Last gelegten Sätze. Gegenüber der Zeitung "France Soir" wollte er allenfalls von einer "lebhaften Diskussion" mit Domenech sprechen. Die Auseinandersetzung, meinte er weiter, gehöre zu den "Geheimnissen einer Umkleidekabine". FFF-Vizepräsident Christian Teinturier forderte: "Er darf nie wieder das französische Trikot tragen." Zuvor hatte Anelka die vom Verband geforderte Entschuldigung bei Domenech verweigert.

Im verunsicherten französischen Team begann derweil die Suche nach dem "Maulwurf". Die Nationalspieler schienen weniger über Anelkas Aussagen erzürnt als über die Tatsache, dass offenbar ein Mitspieler intimste Details ausgeplaudert hatte. "Was in der Kabine passiert, muss auch in der Kabine bleiben", sagte Franck Ribéry vom FC Bayern München. Auch er bestritt, dass Anelkas angebliche Aussagen so gefallen seien. Frankreichs Kapitän Patrice Evra meinte sogar, der "Verräter" müsse "gefunden und ausgeschlossen werden". Die Suche dürfte schwierig werden, zumal "L'Equipe" "mehr als einen Zeugen" für den Vorfall haben will. Trotz eines Appells der Mannschaft für einen Verbleib Anelkas im Team kannte Verbandspräsident Jean-Pierre Escalettes keine Gnade. Der Sünder musste die Koffer packen.

In der Heimat haben die französischen Profis alle Sympathien verspielt. In einer Umfrage der Zeitung "Le Figaro" wünschten mehr als 80 Prozent der Leser dem Team das vorzeitige WM-Aus. Das wird sich, selbst bei einem Sieg im letzten Gruppenspiel am Dienstag gegen Südafrika, ohnehin kaum mehr vermeiden lassen.

Wenn Frankreich schon untergehe, so Kapitän Evra, dann als ganzes Team. Verantwortlich seien doch alle: "Der Trainerstab, der Verband, die Spieler sitzen alle im selben Boot. Wenn wir sinken, sinken wir gemeinsam." Genau das scheint jetzt zu passieren.