Thomas Müller ist ein Arbeiter mit außergewöhnlichem Talent

Durban. Vielleicht hat der Torjubel alles über Thomas Müller ausgesagt. Ein 20 Jahre alter Emporkömmling schießt seinen ersten WM-Treffer, und er würdigt ihn so, als habe er gerade bei einem Freundschaftsspiel eine x-beliebige Aktion erfolgreich abgeschlossen. Ein Schuss mit rechts, der australische Torwart Mark Schwarzer ist chancenlos, und Müller bläst danach ein Handküsschen in den Nachthimmel von Durban. Die Geste galt Lisa, seiner Jugendliebe, die er bereits geheiratet hat. Jeder andere in seinem Alter wäre nach so einem triumphalen Ereignis wie diesem 3:0 wohl dreimal um die Eckfahne gerannt und hätte sich feiern lassen. Doch Müller ist zu entspannt, als dass er eine Jubelorgie für nötig erachten würde.

Er hat bei seinem FC Bayern dieses unerschütterliche Selbstverständnis von Kraft und Erfolg verinnerlicht. "Mir san mir", sagen die Bayern. "Ich bin ich", würde Müller in aller Bescheidenheit sagen. Was er denn über sein WM-Debüt denkt, wurde er gefragt. "Ich bin total zufrieden mit meinem Einsatz", sagte er. Es ist eine typische Müller-Antwort: selbstbewusst, bodenständig, auf den Punkt. Natürlich durfte der Zusatz nicht fehlen. Wichtig sei, sagte er, "dass wir nicht anfangen abzuheben".

Bei ihm besteht die Gefahr nicht, so viel ist sicher. Er vergisst nie, wo er herkommt - aus Pähl, einer bayrischen Gemeinde mit nur rund 2000 Einwohnern. Wer da abhebt, der hat verspielt. Das ist das Letzte, was Müller will, Starrummel oder Allüren sind ihm zuwider. Er ist ein Arbeiter, wenngleich mit außergewöhnlichem Talent. Müller ist ein äußerst flexibler Offensivspieler, der im rechten und linken Mittelfeld spielen kann, zentral hinter den Spitzen oder als Mittelstürmer. "Egal wo, der macht immer ein Tor", sagt Gerd Müller, "Bomber der Nation" und Nachwuchstrainer bei den Bayern, wo sein Pendant seit der E-Jugend spielt.

Bundestrainer Joachim Löw hat für ihn die rechte Außenbahn im offensiven Mittelfeld freigeräumt. Lange Zeit sah es so aus, als würde Piotr Trochowski vom HSV den Vorzug erhalten. Doch in den letzten Tagen vor dem Spiel gegen Australien wurde zunehmend deutlicher, dass Löw auf Müller setzen würde. Sein Vertrauen zahlte sich aus. Wie in der Abwehr, wo er auf der linken Seite Müllers 21 Jahre alten Vereinskollegen Holger Badstuber spielen ließ, gab er den Talenten den Vorzug vor den Erfahrenen. Weil sie gut sind und in München so spielen, wie es Löw bevorzugt: einen Fußball, bei dem eine perfekte Raumaufteilung an oberster Stelle steht, damit der Ball zirkulieren kann.

Ob Löws erfolgreiche Startformation auch die Elf sein wird, die am Freitag (13.30 Uhr/ZDF) in Port Elizabeth gegen Serbien beginnen wird, ließ der allerdings offen. Seine Botschaft war: Bei so viel Klasse habe er schlichtweg ein Luxusproblem. "Jetzt tue ich mich noch schwerer, eine Startformation zu finden. Weil in der Offensive unglaubliche Möglichkeiten bestehen", sagte Löw.

In Mesut Özil hatte Müller einen kongenialen Partner, der dem deutschen Angriffsspiel zu ungeahnter Effektivität verhalf und im Ausland für viel Anerkennung gesorgt hat. So schrieb die italienische Zeitung "Corriere della Sera": "Das neue Deutschland schickt die Fantasie an die Macht. Es war eine Show des Paares Müller-Özil." Dem wäre nichts hinzuzufügen, aber Müller tut es dennoch. "Nach einem Spiel und einem Sieg gibt es keinen Grund für Höhenflüge", sagt er. Abgeklärt und treffend - eben typisch Thomas Müller.