Hat der frühere Bundesliga-Referee Manfred Amerell einen jungen Unparteiischen belästigt? Die Anschuldigungen waren seit dem 17. Dezember bekannt. DFB-Vize Rainer Koch tritt zurück.

Berlin. Mitteilungen aus dem Hause des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) enthalten in diesen Tagen fraglos eine gewisse Brisanz, auch wenn diese auf den ersten Blick nicht immer erkennbar ist. Und so versteckte sich am Dienstagvormittag zwischen den vielen Meldungen rund um die geplatzte Vertragsverlängerung von Bundestrainer Joachim Löw folgender Satz eines DFB-Sprechers: "Wir können bestätigen, dass uns Herr Amerell in einem Schreiben vom 4. Februar gebeten hat, ihn aus gesundheitlichen Gründen von seinen Aufgaben zu entbinden."

Was harmlos klingt, hat offenbar einen sehr ernsten Hintergrund. Wie die "Frankfurter Rundschau" berichtete, war mitnichten die Gesundheit der Grund für den Rücktritt des Sprechers des Schiedsrichterausschusses des DFB. Vielmehr seien Anschuldigungen eines jungen Schiedsrichters Ursache von Amerells Abgang, der deswegen auch keinesfalls freiwillig geschehen sei. Der 62-Jährige, in der Branche auch "Herr der Pfeifen" genannt, soll den jungen Mann sexuell belästigt haben.

Der Beschuldigte bestritt die Anschuldigungen gestern vehement. "Da lache ich mich kaputt, die Vorwürfe sind haltlos und aus der Luft gegriffen", sagte Amerell. Er habe die Sache bereits an einen Münchner Rechtsanwalt weitergegeben. Bei dem vermeintlichen Opfer soll es sich laut "Bild" um einen durchaus prominenten Mann handeln: Michael Kempter gilt als kommender Star der Szene, erst Anfang des Jahres wurde der 27-Jährige als bislang jüngster Deutscher in den Rang eines Schiedsrichters des Weltverbandes Fifa befördert. Kempter darf nun Länderspiele leiten.

Wie gestern bekannt wurde, hat sich der Schiedsrichter bereits am 17. Dezember an Volker Roth, den Vorsitzenden des DFB-Schiedsrichterausschusses, gewandt. Auf diese Beschwerde hin scheint sich aber nichts getan zu haben. Deswegen ereignete sich der nächste Erdrutsch beim Fußballverband. Vizepräsident Rainer Koch gab gestern die Zuständigkeit für den Schiedsrichterbereich ab. Seine Begründung: "Ich wurde erst am vergangenen Mittwoch erstmals von den Vorgängen in Kenntnis gesetzt. Diese fehlende frühzeitige Information durch den Vorsitzenden des Schiedsrichterausschusses ist für mich nicht hinnehmbar und macht mir eine Fortsetzung meiner durch Geschäftsverteilung des DFB-Präsidiums übertragenen Zuständigkeit für den Schiedsrichterbereich unmöglich." Nach diesen Sätzen dürfte auch Roth kaum noch im Amt zu halten sein.

"Ich bedauere die Entscheidung von Rainer Koch, weil er im Schiedsrichterwesen sehr engagiert gearbeitet hat, kann den Schritt aber nachvollziehen, wenn er selbst den Vertrauensverlust aus diesem Vorgang so bewertet", reagierte DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger.

Zum Ablauf: Einen Tag nachdem Koch von den Vorfällen erfuhr, wurde das Thema am Donnerstag in der Sondersitzung des DFB-Präsidiums behandelt. Es war jenes Treffen, auf dem auch beschlossen wurde, die Vertragsverhandlungen mit Bundestrainer Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff zu verschieben. Noch am selben Tag trat Amerell zurück.

Tatsächlich steckt der DFB in einer sehr schwierigen Lage. Bereits auf der Präsidiumssitzung wurde die Frage diskutiert, wie lange die Vorwürfe intern bekannt sind. Es soll die Vermutung im Raum gestanden haben, zu lange geschwiegen zu haben. Würde sich dies bewahrheiten, wäre dies für den DFB verheerend. Schließlich versucht der Verband unter Zwanziger, hohe Sozialkompetenz zu erlangen.

Wie keiner seiner Vorgänger geht der Präsident öffentlich gegen Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Ausgrenzung vor. Im vergangenen Jahr erhielt er den Leo-Baeck-Preis "für seinen Einsatz gegen Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Rechtsextremismus". Bundestrainer Löw, der gestern mit Zwanziger Angela Merkel im Kanzleramt besuchte, sprach sich diese Woche in einem Interview mit der "Brigitte" dafür aus, Menschen mit einer Krankheit oder einer anderen Lebensform "respektvoll zu behandeln".

Andererseits kann es sich der DFB natürlich auch nicht leisten, einen verdienten Mitarbeiter aufgrund der Anschuldigung eines Einzelnen und ohne intensive Prüfung aus dem Verkehr zu ziehen. Diese Recherche werde intensiv geführt und dauere weiter an, versicherte gestern Stefan Hans, der für das Schiedsrichterwesen zuständige DFB-Direktor. "Für den DFB geht es jetzt allein darum, den Fall mit allem Nachdruck, größter Sorgfalt und hohem Verantwortungsbewusstsein zu prüfen. Vorverurteilung ist dabei ebenso unangebracht wie Verharmlosung", sagte Hans: "Mit Rücksicht auf die Personen können wir jetzt keine weiteren Aussagen machen und bitten auch im Namen der Beteiligten um einen sensiblen Umgang mit dem Thema."