Der 49-Jährige spricht über die Chancen 2010 und die Bedingungen für seine Vertragsverlängerung.

Abendblatt:

Herr Löw, direkt nach dem Spiel waren Sie wenig euphorisch. Sie saßen auf der Bank und schrieben auf einen Zettel. Was?

Joachim Löw:

Es waren ein paar Worte, wie Mut, Selbstbewusstsein, Stärke. Das waren Dinge, die die Mannschaft gut umgesetzt hat. Dies wollte ich festhalten.

Abendblatt:

Jetzt können Sie es verraten: Hatten Sie im Vorfeld Pläne für alle Fälle erstellt?

Löw:

Nein.

Abendblatt:

Auch keine Rücktrittsgedanken?

Löw:

Nein.

Abendblatt:

Gut, fragen wir anders: Sie sind seit 2004 im Trainerstab. Wie lange kann man Bundestrainer sein?

Löw:

Das weiß ich nicht. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich völlig überlastet bin oder der Druck zu groß wird. Diese Frage hängt auch immer von Turnieren und Erfolgen ab. Aber man weiß ja: Hätten wir die Qualifikation nicht geschafft, wäre eine weitere Zusammenarbeit nicht einfach gewesen.

Abendblatt:

Wie stark spüren Sie nach längeren Länderspielreisen den Druckabfall?

Löw:

Wenn ich nach Hause komme, fühle ich schon eine geistige Müdigkeit. Dann gibt es eine Phase, in der ich nicht gerne angesprochen werde, erst einmal tief durchatme.

Abendblatt:

Wie kommen Sie damit klar, als Person des öffentlichen Interesses permanent im Blickpunkt zu stehen?

Löw:

Dass ich mich nicht mehr so ganz unbeobachtet bewegen kann, ist klar. Es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe: Etwas mehr Ruhe würde mir gut tun. Aber in Freiburg habe ich die Möglichkeit, mich zurückzuziehen.

Abendblatt:

Ihr Vertrag endet nach der WM. Knüpfen Sie eine Verlängerung an Bedingungen, zum Beispiel, dass der Betreuerstab zusammenbleibt?

Löw:

Das ist eine Grundvoraussetzung, mit dem Stab bin ich ja sehr zufrieden. In den nächsten Wochen werde ich mir in Ruhe ein paar Gedanken machen: Was möchte ich? Wie soll es weitergehen? Welche Dinge gibt es zu tun? Dann werde ich mich für einen konzeptionellen Austausch mit den Trainern zusammensetzen - und sicher zeitnah mit Präsident Theo Zwanziger reden. Er hat ja ein Gespräch angekündigt.

Abendblatt:

Was die Bedingungen betrifft: Wie wichtig wäre Ihnen ein Trainingszentrum?

Löw:

Das Allerwichtigste für mich ist eine Philosophie, die von jedem im DFB mitgetragen werden muss. Ein Trainingszentrum wäre wünschenswert und im Sinne des Verbandes ein wichtiger Schritt im Hinblick auf die nächsten Jahrzehnte. Aber daran arbeiten wir ja bereits intensiv.

Abendblatt:

Rund sieben Monate sind es noch bis zur WM. Wie reell ist die Chance auf den Titelgewinn?

Löw:

Eine Nation wie Deutschland gehört immer zu den Favoriten. Im Moment habe ich ein gutes Gefühl: Denn wir haben uns in den vergangen fünf Jahren in der Spitze etabliert. Es ist aber noch zu früh für ein endgültiges Urteil, denn über unsere Titelchance werden vor allem die vier Wochen Vorbereitung entscheiden.

Abendblatt:

Worin sehen Sie die Hauptaufgaben bis zur WM?

Löw:

Jeder Spieler ist angehalten, sich individuell zu steigern. Alle wissen, wie wir sie derzeit sehen und auf welchem Level wir sie gern hätten. Insgesamt müssen wir uns sicher noch spielerisch verbessern.

Abendblatt:

Ist der Bremer Mesut Özil, den Sie zuletzt als Kreativen im Mittelfeld eingesetzt haben, der mögliche Schlüssel zum Erfolg?

Löw:

Wir haben das 4-3-3-System ja auch schon ohne ihn praktiziert. Aber mit Mesut können wir es noch besser spielen. Durch ihn sind wir viel kreativer geworden.

Abendblatt:

Vor allem Michael Ballack, der etwas zurückgezogener spielt, profitiert von Özil. Wie beurteilen Sie derzeit die Rolle Ihres Kapitäns?

Löw:

Es kommt ihm gelegen, dass er mehr von hinten heraus agieren kann und das Spiel vor sich hat. Er kommt viel besser in die Zweikämpfe und wird so für den Gegner noch gefährlicher. Ich muss ganz klar sagen: Michael hat sich in den vergangenen Monaten noch einmal enorm gesteigert. Er ist ein wahrer Leader und Kapitän, weil er viel kommunikativer geworden ist und ständig versucht voranzugehen.

Abendblatt:

Wer sind neben Ballack Ihre Stützen?

Löw:

Philipp Lahm, der sehr konstant spielt und im Team absolut anerkannt ist. Oder Per Mertesacker. Er ist total zuverlässig. Bastian Schweinsteiger zähle ich ebenfalls dazu, weil er viel reifer in seiner Art und Spielanlage geworden ist. Dazu kommt Miroslav Klose, der mein Vertrauen seit Jahren rechtfertigt. Das ist meine Achse.

Abendblatt:

In der nur noch ein Torhüter fehlt. Wann legen Sie sich auf die Nummer eins fest?

Löw:

Nach dem Länderspiel gegen Ägypten (18.11., d. Red.) werden wir uns zeitnah zusammensetzen und die Vorgehensweise festlegen. Bislang hatte ich nicht den Eindruck, dass die Torhüter durch die offene Situation nervlich irritiert waren. Im Gegenteil, der Konkurrenzkampf - so war mein Eindruck - hat sie angetrieben und sogar ein stückweit besser gemacht.

Abendblatt:

Hat Torsten Frings, der zuletzt von Ihnen nicht berücksichtigt wurde, noch Chancen auf eine Rückkehr?

Löw:

Ja. Im September haben wir unseren Kader der Kandidaten von 40 auf 30 reduziert. Er zählt dazu. Ich werde die Tür für ihn offen halten, weil ich weiß, was für ein erfahrener Fußballer er ist. Aber bei ihm lege ich die Messlatte besonders hoch: Er ist in seinem Alter nur richtig gut für die Mannschaft, wenn er körperlich absolut fit ist. Wenn ich das Gefühl habe, dass Torsten so ein Turnier wie die WM optimal durchziehen kann, ist er eine Option.

Abendblatt:

Wie wichtig ist auf dem Weg zur WM die Unterstützung der Liga?

Löw:

Die ist ja grundsätzlich vorhanden. Mit einigen Trainern klappt die Kommunikation sehr gut, mit anderen etwas weniger. Ich denke, es ist wichtig, dass beide Seiten an die andere denken. So werden wir etwa für die Spiele im November sicher einige Stammkräfte eventuell nicht nominieren, so dass sie sich auf ihre Aufgaben im Verein konzentrieren können.